Ein Gespräch mit der AG Antifa über den Versuch, ihren Arbeitskreis in der Uni Halle aufzulösen

»Diese rote Linie ist ein Phantasiekonstrukt, um uns loszuwerden«

Nach über 25 Jahren politischer Arbeit will ein Bündnis von Hochschulgruppen den Arbeitskreis Antifaschismus auflösen, der Teil des Studierendenrats (Stura) der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg ist. Als Begründung wird die angebliche trans- und queerfeindliche Ausrichtung ihrer jüngsten Veranstaltungen angegeben. Mit der »Jungle World« sprach Raik, Mitglied der AG Antifa, über die Anschuldigungen und den derzeitigen Stand des Verfahrens.
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Wie ist es zum Auflösungsantrag gegen euch gekommen?

Auf der von der AG Antifa im September organisierten Veranstaltung »Austreibung der Natur. Zur Queer- und Transideologie« hatten die Referenten Vojin Saša Vukadinović und Hannah Kassimi unter anderem die Gendertheorie von Judith Butler kritisiert. Im Vorfeld gab es aus der queeren Szene in der Region die Ankündigung, die Veranstaltung zu ­verunmöglichen beziehungsweise den »TERFs (trans exclusionary ­radical feminists, Anm. d. Red.) den Abend zu vermiesen«. Unser dadurch notwendiges Sicherheitskonzept wurde von der damaligen Stura-Vorsitzenden mutmaßlich direkt an die Störer weitergegeben, die es dann auf Twitter veröffentlichten.

»Es ist eine besonders autoritäre Abwehr von Kritik. Mehr noch: von Auseinandersetzung, Diskussion und Denken überhaupt.«

Nachdem wir im Oktober eine weitere Veranstaltung zu diesem Thema organisierten, auf der wir die Homophobie und Frauenfeindlichkeit in der queeren Szene näher beleuchteten und der Frage nachgingen, warum eine so kleine Gruppe bis in den Mainstream hinein wahrgenommen wird, wurde einige Wochen später von der Grünen Hochschulgruppe (GHG), der Juso-Hochschulgruppe und der Offenen Linken Liste (Olli) der Antrag gestellt, unseren Arbeitskreis aufzu­lösen. Diese drei Gruppen sind bestens mit der queeren Szene hier vernetzt. Der Vorwurf, der mantrahaft wiederholt wurde, lautete, wir seien transphob und behindertenfeindlich. Dabei ist es schockierend, wie wenig Mühe man sich gibt, diese Vorwürfe zu belegen.

Einer der Kritikpunkte an euch lautete, ihr würdet euch so gut wie immer allein auf »reine Theoriearbeit fokussieren«.

Wäre der Hintergrund nicht so ernst, könnte man über den Vorwurf, dass eine antifaschistische Hochschulgruppe Theoriearbeit mache, statt ­Demonstrationen durchzuführen, eigentlich lachen. Zumal es für einen Arbeitskreis im Stura aus juristischen Gründen schwierig ist, Demonstrati­onen anzumelden. Dieser Theorie-Vorwurf ist zum einen absurd, zum anderen aber auch bezeichnend. Immerhin kommt darin zum Ausdruck, dass geistige Arbeit, Reflexion, Aus­einandersetzung und Diskussion als problematisch erlebt werden. Und genau das ist auch das Problem.

Was ist nun auf der jüngsten Stura-Sitzung, auf der euer Arbeitskreis aufgelöst werden sollte, genau abgelaufen?

Da abgesehen von den drei Gruppen auch noch andere Hochschulgruppen im Studierendenrat vertreten sind, die zum einen dem Auflösungsantrag kritisch gegenüberstehen, zum anderen die Arbeitsfähigkeit des Sturas in Gefahr sehen (immerhin wurde über Wochen kein einziges Protokoll einer Stura-Sitzung online ­gestellt), wurde ein Antrag der Hochschulgruppe Eure Liste (Euli) auf Mediation gestellt, um den Konflikt zwischen uns und den Antragstellern beizulegen und danach den Schwerpunkt des Sturas wieder auf andere Themen zu richten.

Laut den antragstellenden Gruppen wird eure Arbeit nicht verboten, es gehe lediglich darum, dass ihr nicht mehr frei über Geldmittel verfügen könnt. Wie wirkt sich das auf eure Arbeit aus?

Mit einem Wort: fatal! Diese Begründung dient offensichtlich einzig und allein dazu, den berechtigten Vorwurf abzuwehren, dass hier antifaschistische Strukturen angegriffen werden. Ziemlich leicht zu durchschauen. Insbesondere, wenn man das Abstimmungsverhalten bezüglich der Mittelfreigabe einer von uns geplanten Veranstaltung in der letzten Stura-Sitzung gesehen hat. Die besagten drei Gruppen haben ohne Erklärung – und nur weil sie es wollen und können – den Antrag von uns auf die Finanzierung einer kommenden und etwas umfangreicheren Veranstaltung abgelehnt. Bisher waren solche Anträge unsererseits keine Hürde. Da ging es nicht um Inhalte, sondern um eine Machtdemonstration und einen Ausblick auf das, was uns in der kommenden Legislaturperiode blüht, selbst wenn wir nicht aufgelöst werden. Wenn wir kein eigenes Budget mehr haben und auf das Wohlwollen genau dieser Leute hoffen müssen, ist unsere Arbeit ­unmöglich. Dem gutgemeinten Antrag auf Mediation stehen wir selbstverständlich erst einmal offen gegenüber. Dennoch bleibt eine gewisse Skepsis. Es gibt ein Mediatorenteam des Sturas, doch bisher wissen wir nur von Personen, die dazugehören, die uns feindlich gesinnt sind. Wir hoffen, dass der Stura seine Zusage einhält, dass die Mediatoren unvoreingenommen und unparteiisch sein werden.

Gab es schon mal solche Angriffe auf euch?

Anfeindungen gab es immer mal wieder. Gerade aus queerfeministischen Kreisen wie dem AK queer_einsteigen oder von einzelnen Vertretern der Offenen Linken Liste sind uns solche Animositäten bekannt. Vor vielen Jahren waren es eher konservative und rechte Kreise, die uns das Leben schwergemacht haben. Heute scheint cancel culture eher ein Instrument von kleinen, aber lautstarken linken Gruppen zu sein. Mit den jetzigen Mehrheitsverhältnissen im Stura – die drei Antragssteller stellen zusammen 24 von 36 Mandatsträgern – gibt es aber nun die Möglichkeit, uns als Arbeitskreis aufzulösen. Das Erschreckende ist eben die Willkür, mit der dies geschieht. Die schlecht begründeten beziehungsweise nicht belegten Vorwürfe gegen uns sind ganz offensichtlich nur vorgeschoben. Man will uns mundtot machen, weil wir deren queere Theorie nicht teilen beziehungsweise diese gar kritisieren.

Ihr habt mit euren Veranstaltungen häufiger auch gegen linke Selbstverständlichkeiten polemisiert. Wie erklärt ihr euch, dass ausgerechnet bei dem Thema Gender eine »rote Linie überschritten« sein soll, wie das in der Begründung formuliert wurde?

Die einzige Erklärung dafür ist, dass es im Prinzip für die Antragssteller gar keine rote Linie gibt. Es wird zwar behauptet, diese Linie sei erreicht, wenn man das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und Geschlechts­identität in Abrede stelle, was selt­samerweise völlig kontextlos neben dem Existenzrecht Israels als weiterer nicht zu überschreitender »roter Linie« steht. Was das aber mit uns zu tun hat, ist nicht nachvollziehbar. Es gibt keine Äußerungen von uns oder unseren Referenten, die das auch nur im entferntesten begründen könnten.

Diese rote Linie ist schlichtweg ein Phantasiekonstrukt, um uns loszuwerden. Dass es gerade die Themen Trans und Kritik an der Gendertheorie sind, die den Vertretern der drei Gruppen die Zornesröte ins Gesicht treibt, liegt an mehreren Gründen, die auch Gegenstand unseres Vortrags waren. Die Skripte unserer Veranstaltung werden im Übrigen demnächst in Schriftform veröffentlicht, um den Nachweis zu erbringen, dass die verschiedenen Vorwürfe haltlos sind. Es ist ja auch kein Geheimnis, dass dieses Vorgehen kein spezifisches Problem in Halle ist, sondern ein weltweites. Als aktuelles Beispiel sei auf den Umgang mit der britischen Professorin Kathleen Stock verwiesen.

Nicht nur ihr habt von »cancel culture« gesprochen, so stand es auch in Stellungnahmen anderer Gruppen zur Sache.

Das Vorgehen der Antragstellenden ist der Versuch, eine Gruppe und damit deren Position zu diskreditieren. Und dies letztlich nur, weil ihre Gewissheiten von uns in Frage gestellt werden. Es ist also eine besonders autoritäre Abwehr von Kritik. Mehr noch: von Auseinandersetzung, Diskussion und Denken überhaupt. Mir würde spontan kein anderer Begriff als cancel culture für dieses Vorgehen einfallen.

Von linken und antifaschistischen Gruppen und Einzelpersonen aus Halle, aber auch aus Pirna, Leipzig und Berlin, gab es dagegen eine Welle der Solidarität mit euch. Die entscheidenden Stura-Sitzung am 15. November haben zu Spitzenzeiten über 130 Leute online verfolgt.

Wo seht ihr euren Platz in der linken politischen Arbeit in Zukunft?

Ehrlich gesagt haben wir nicht mit so viel Solidarität gerechnet. Über die vielfachen Bekundungen von befreundeten Gruppen und Einzelpersonen haben wir uns sehr gefreut. Besonders erstaunt und dankbar waren wir auch über die Solidarität von solchen Gruppen, an denen wir in der Vergangenheit und sicherlich auch in der Zukunft deutliche Kritik formuliert haben beziehungsweise werden. Gerade dies zeigt, das unsere jahrelange Arbeit, so konfrontativ sie auch mal gewesen sein mag, Leute zum Überdenken ihrer eigenen Selbstverständlichkeiten bewegen kann. Das mag sich nicht immer angenehm anfühlen, kann aber – und das wird gerade jetzt von vielen bestätigt – bereichernd sein. Genau diese Erfahrung verbauen sich die Mitglieder der drei Hochschulgruppen selbst. Statt sich in einer Diskussion weiterzuentwickeln, wird vermieden und abgestraft. Wäre so die ganze Linke in Halle, hätten wir darin in Zukunft keinen Platz. Aber – und das zeigt die vielfältige Solidarisierung mit uns – an diesem Punkt sind wir hier noch lange nicht.