In Griechenland ist die Pressefreiheit bedroht

Gegen kritische Berichterstattung

Die Pressefreiheit in Griechenland ist unter der konservativen Regierung immer mehr in Gefahr.

Die Pressefreiheit in Griechenland ist gefährdet. Allein in der ersten Novemberhälfte gab es eine Reihe besorgniserregender Ereignisse. Am 5. November wollte der 56jährige Agenturfotograf Orestis Panagiotou für die staatliche Nachrichtenagentur Amna eine Demonstration von Feuerwehrleuten dokumentieren. Als die Polizei den Strahl ­eines Wasserwerfers auf ihn richtete, befand er sich unbegleitet einige Meter von den Demonstrierenden entfernt. Panagiotou flog mehrere Meter durch die Luft und blieb mit doppelt gebrochenem Bein liegen. Sämtliche Presseverbände protestierten.

Nur der eigenen Agentur war der verletzte Kollege nicht einmal eine Namensnennung wert. Verständlich, denn die Amna untersteht seit dem Regierungswechsel 2019 ebenso wie der staatliche Rundfunk direkt dem Büro des Ministerpräsidenten. Diese per Dekret getroffene Entscheidung wurde bereits vom Staatsrat, einem der obersten Gerichte des Landes, kritisiert, noch aber gibt es kein entsprechendes Urteil.

Die Journalistin Ingeborg Beugel musste das Land fluchtartig ver­lassen, weil ihr nationalistische Fana­­­tiker auf offener Straße
Steine an den Kopf warfen.

Nur vier Tage später kam es in Athen bei der gemeinsamen Pressekonferenz des Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis von der konservativen Partei Nea Dimokratia (ND) und seines geschäftsführenden niederländischen Amtskollegen Mark Rutte zum Eklat. Die Jour­nalistin Ingeborg Beugel stellte den beiden eine scharf formulierte Frage zu den Pushbacks von Flüchtlingen in der Ägäis und an der Landgrenze Griechenlands zur Türkei und bezichtigte die griechische Regierung in diesem Zusammenhang der Lüge. Sie fragte zudem nach den inhumanen Bedingungen in den Flüchtlingscamps und wollte von den beiden Regierungschefs zudem wissen, inwieweit die EU für das derzeitige Drama an den Außengrenzen verantwortlich sei.

Mitsotakis zeigte sich zunächst verstört über die »direkte Frage«. Er sei dies von griechischen Journalisten nicht gewöhnt, ließ er Beugel wissen und ging sofort in die Offensive. Er warf der Journalistin vor, ihn und das gesamte Land vorsätzlich zu beleidigen – ein Vorwurf, der von einem großen Teil der einheimischen Presse aufgenommen wurde.

Die Mehrheit der prominenten griechischen Journalistinnen und Journalisten störte sich nicht daran, dass der Ministerpräsident ihnen damit indirekt eine unkritische Haltung attestierte. Sie betrieben eine regelrechte Verleumdungskampagne gegen Beugel. Der Chefkommentator von Mega TV, Giannis Pretenteris, meinte, sie sei gar keine Kollegin. Die Hauptnachrichtensprecherin von Skai TV, Sia Kossioni, die mit Mitsotakis’ Neffen verheiratet ist, beklagte, der Ministerpräsident habe zu sanft geantwortet. Nikos Chatziniko­laou, bis Januar 2021 Vorsitzender des Verlegerverbands, warf Beugel auf Twitter »Türkenfreundlichkeit« und aktive Propagandatätigkeit für die Türkei vor. In großen Zeitungen und Internetportalen wurde die Niederländerin mehrfach sexistisch beleidigt, in den sozialen Medien brach ein Shitstorm über sie herein.

In einer dringlichen Stellungnahme rief die Organisation Reporter ohne Grenzen Mitsotakis am Dienstag vergangener Woche auf, die Kampagne mit einem Machtwort zu beenden, worauf dieser jedoch nicht reagierte. Die konzertierte Hetze hat Folgen für Beugel: Sie musste das Land fluchtartig verlassen, weil ihr nationalistische Fanatiker auf offener Straße Steine an den Kopf warfen. In ihrer Athener Nach­barschaft wurde sie von Anwohnern bedroht und beschimpft. Auf die Insel Hydra, wo sie eine Ferienwohnung besitzt, konnte sie sich ebenso wenig trauen. Der dortige Bürgermeister hat Anzeige gegen die Journalistin erstattet.

Aus Sicht der Regierung, aber auch von Journalisten wie Chatzinikolaou, ist die Frage nach Pushbacks angesichts einer angeblichen »nationalen Bedrohung«, als welche griechische Konservative die Flüchtlinge oft bezeichnen, nicht statthaft. Notis Mitarakis (ND), der Minister für Migration und Asyl, meint zudem, dass der Begriff »Pushback« nicht eindeutig definiert sei. Der stellvertretende ND-Vorsitzende und Minister für Entwicklung und Investitionen, Adonis Georgiadis, behauptet, dass sämtliche Grund- und Menschenrechte sowie die Verfassung den nationalen Interessen unterzuordnen seien. Was nationale Interessen sind, bestimmt die Regierung.

Hätte Beugel ihre Frage nur zwei Tage später gestellt, dann hätten die Konsequenzen für sie noch ­dramatischer ausfallen können. Mit den Stimmen von Nea Dimokratia hat das griechische Parlament am 11. November das im Sommer 2019 verabschiedete neue Strafgesetzbuch um einen Presseparagraphen erweitert: »Wer öffentlich oder über das Internet Falschnachrichten verbreitet (…), die geeignet sind, in der Öffentlichkeit Besorgnis oder Angst zu erregen oder das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Volkswirtschaft, die Verteidigungs­fähigkeit oder die öffentliche Gesundheit des Landes zu untergraben, wird mit einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten und einer Geldstrafe bestraft.« Es handelt sich um die Neuauflage eines von der Militärdiktatur (1967–1974) in der altgriechisch angehauchten Kunstsprache Katharevousa formulierten Gesetzes, nun allerdings auf Neugriechisch (Dimotiki) abgefasst. Mit diesem Gesetz kriminalisierten und gängelten die Diktatoren die Presse. Was Falschmeldungen sind, entscheiden jetzt wieder die Regierenden.

Am 12. November richtete das Parlament mit den Stimmen der Opposition einen Untersuchungsausschuss ein. Dieser soll unter anderem die Affäre um die Coronabeihilfen aufklären, mit denen die Regierung unter Ausschluss regierungskritischer Medien die ihr genehme Presse bedacht hatte. Es geht ­zudem – ähnlich wie bei der Causa Se­bas­­­tian Kurz in Österreich – um mit staatlichen Geldern bezahlte Meinungsumfragen. Zudem hat ND mit staatlichen Geldern eine internationale PR-Agentur beauftragt, ihr Image im ­Ausland zu pflegen.

Im Land selbst hat die Regierung die politische Berichterstattung dadurch weitgehend eingeschränkt, dass bei Presseterminen Agenturfotografen die wenigen Plätze einnehmen, so dass freie Kolleginnen und Kollegen keinen Zugang erhalten. In abgeschwächter Form gilt dies auch für die übrigen Journa­listinnen und Journalisten. Auch Beugel gelangte nicht über die übliche Akkreditierung der griechischen Regierung in die Pressekonferenz, sondern war über die niederländische Botschaft in Athen akkreditiert worden.

Am 14. November kam es zur nächsten Affäre. Die linke Zeitung Efimerida ton Sintakton (Efsyn) veröffentlichte in ihrer Sonntagsausgabe einen Bericht über irreguläre Abhör- und Überwachungsaktionen des griechischen Geheimdiensts EYP. So wurde bekannt, dass nicht nur Impfgegner, Gegner der Pandemieschutzmaßnahmen und suspendiertes medizinisches Personal, das gegen seine Entlassung protestiert hatte, überwacht wurden, sondern auch Journalisten und Mitarbeiter der UN-Flüchtlingshilfe. Efsyn druckte ano­nymisierte Protokolle aus den ihr zugespielten Akten ab.

Einer der überwachten Journalisten, Stavros Malichoudis, erkannte sich in den Protokollen wieder. Die EYP hatte lückenlos überwacht, wie er die Geschichte des zwölfjährigen syrischen Flüchtlings Jamal recherchierte. Eine Zeichnung Jamals, mit der dieser das Elend und die Perspektivlosigkeit des jahrelangen Lebens in gefängnisartigen Lagern verarbeitet hatte, war auf dem Cover einer Beilage der französischen Zeitung Le Monde gelandet. Malichoudis recherchierte daraufhin den Lebensweg Jamals – Grund genug für die EYP, den Journalisten wegen »einer Bedrohung nationaler Interessen« zu überwachen.

Denn dies, die »Bedrohung nationaler Interessen«, ist dem Regierungssprecher Giannis Oikonomou zufolge der Grund für die Aktivitäten des Geheimdiensts. Die EYP wurde übrigens ebenso wie die staatlichen Medienanstalten direkt nach dem Wahlsieg per Präsidialdekret Ministerpräsident Mitsotakis unterstellt.