Im Land Berlin hat die rot-grün-­rote Koalition ihr Regierungsprogramm vorgestellt

Burgfrieden in der Zukunftshauptstadt

Im Land Berlin hat sich die rot-rot-grüne Koalition für die nächste Legislaturperiode auf ein Regierungsprogramm geeinigt.

Am Montag stellten die Spitzen der Berliner Landesverbände von SPD, Grünen und Linkspartei ihren Koalitionsvertrag für die »Zukunftshauptstadt Berlin« vor, wie es im Titel heißt. Bei der gemeinsamen Pressekonferenz wurden die üblichen Phrasen bemüht: Man ha­be nicht einfach seine eigenen Positionen durchzusetzen versucht, sondern gemeinsam die beste Lösung gefunden, hieß es etwa von Nina Stahr, der Co-Vorsitzenden der Berliner Grünen. Doch in vieler Hinsicht dürfte diese Harmonie nur vorgetäuscht gewesen sein.

Als etwa die Spitzenkandidatin der SPD und wohl zukünftige Regierende Bürgermeisterin, Franziska Giffey, gleich zu Anfang betonte, man müsse sich immer wieder bewusst machen, dass Berlin »natürlich Kiez ist«, aber eben auch »Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland«, war schon herauszuhören, dass es aus ihrer Sicht keine einfache Verlängerung der bisherigen Koalition geben solle, vor allem nicht im inhaltlichen Bereich. Giffey hatte im Wahlkampf eher konservative Akzente gesetzt, Wähler in den Außenbezirken umworben und eigentlich eine Koalition mit der CDU und den Grünen angestrebt. Doch nach der Wahl sah sich die SPD-Vorsitzende auch wegen des Drucks aus Teilen ihrer eigenen Partei gezwungen, die rot-rot-grüne Koalition fortzusetzen. Besonders belastet ist Giffeys Verhältnis zur Linkspartei, vor allem wegen deren wohnungspolitischen Positionen.

Franziska Giffey hatte im Berliner Wahlkampf eher konservative Akzente gesetzt und eigentlich eine Koalition mit der CDU und den Grünen angestrebt.

Die Linkspartei war zwar gemeinsam mit der SPD dafür verantwortlich, dass in den frühen nuller Jahren große Teile des kommunalen Wohnungsbestandes privatisiert wurden, doch unter dem Druck einer starken Mieterinnenbewegung bemüht sie sich seit einigen Jahren darum, als deren parlamenta­rische Interessenvertretung aufzutreten. Im Wahlkampf hatte sich die Linkspartei für das von Giffey strikt abgelehnte Volksbegehren zur Enteignung gro­ßer Immobilienunternehmen stark gemacht. Angesichts des überwältigenden Erfolges der Initiative konnte die Linkspartei das Anliegen in den Koalitionsverhandlungen nicht einfach aufgeben.

Das Volksbegehren sorgte denn auch für einen der größten Streitpunkte zwischen den Parteien. Vorerst beigelegt wurde der Konflikt durch eine Vertagung. 100 Tage nach Amtsantritt der neuen Landesregierung soll eine Expertenkommission, die auch Vertreter der Enteignungsinitiative umfassen soll, benannt werden. Diese soll innerhalb eines Jahres prüfen, ob und unter welchen Voraussetzungen die Umsetzung des Volksbegehrens möglich ist. Auf Basis dieser Vorarbeiten soll der Senat anschließend entscheiden, ob ­
er dem Abgeordnetenhaus ein Enteignungsgesetz zur Abstimmung vorlegt.

Die Initiative »Deutsche Wohnen und Co.« enteignen bezeichnete diesen Plan schon im Oktober als »durchschaubare Verzögerungstaktik« und fordert, einen dem Abstimmungsergebnis von 59,1 Prozent für das Volksbegehren entsprechenden Anteil der Mitglieder der Kommission zu benennen. Doch trotz des erfolgreichen Volksentscheids ist fraglich, wie groß der Einfluss der Mieterbewegung in Zukunft sein wird. So wird in der zukünftigen Regierung die SPD das Ressort Stadtentwicklung und Wohnen übernehmen, das bislang von der Linkspartei geführt wurde.

Aber auch Giffeys Verhältnis zu den Grünen ist belastet. Insbesondere in Fragen der Stadtentwicklung und des innerstädtischen Verkehrs gibt es Differenzen. Das starke Abschneiden der Grünen schlägt sich in einem Kompromiss nieder. So soll die Stadtautobahn A 100 weitergebaut, gleichzeitig aber auch das Angebot des öffentlichem Nahverkehrs durch Inbetriebnahme neuer Bahn- und Busstrecken ausgeweitet werden.

Ähnliche Kompromisse finden sich im Bereich der sogenannten inneren Sicherheit, einem Feld, in dem sich die SPD mit der Forderung nach einem »starken Staat« offensiv als Vertreterin rigoroser Maßnahmen profiliert hat. So soll einerseits die Videoüberwachung kriminalitätsbelasteter Orte ausgebaut, andererseits ein Beauftragter für Beschwerden über polizeiliches Handeln eingesetzt werden und der Berliner Polizei das racial profiling ausdrücklich gesetzlich verboten werden. Die Polizei soll in Zukunft sogar verpflichtet werden, bei einer Kontrolle den Betroffenen eine schriftliche Begründung für die Kontrolle auszustellen.

Von Brisanz könnte die von den Koalitionsparteien verabredete Einsetzung eines Untersuchungsausschusses sein, der das Versagen der Berliner Polizei und Justiz bei der Aufklärung einer Serie von Anschlägen Rechtsextremer im Bezirk Neukölln beleuchten soll. Ob von dem Ausschuss wirklich neue Erkenntnisse zu erwarten sind, hängt davon ab, ob die darin vertretenen Abgeordneten der drei Regierungsparteien gewillt sind, die Verstrickung von Mitarbeitern der Strafverfolgungsbehörden kritisch zu beleuchten.

Auch in anderer Hinsicht fällt die Bilanz gemischt aus. So sollen etwa zukünftig dauerhaft in Berlin lebende Ausländer leichter und schneller eingebürgert werden können. Mehr Durchlässigkeit im Bildungssystem soll es hingegen nicht geben. Das dreigliedrige Schulsystem, das insbesondere ärmere und migrantische Kinder benachteiligt, soll erhalten bleiben. Statt eines Probejahres in der ersten Gymnasialklasse soll zukünftig ein Eingangstest über den Zugang zur höheren Bildung entscheiden. Dies wird mit dem Wohl der Kinder begründet, denen das Erlebnis des Scheiterns bei Nichtbestehen des Probejahres erspart werden soll, dürfte aber die soziale Auslese auf dem Weg zum Abitur noch strenger machen.

Sollten, wovon auszugehen ist, in den nächsten Wochen Parteitage der Grünen und der SPD sowie ein Mitgliederentscheid in der Linkspartei den Koalitionsvertrag akzeptieren, wird Franziska Giffey voraussichtlich am 21. Dezember zur Regierenden Bürgermeisterin gewählt. Es spricht einiges dafür, dass die Machtkämpfe zwischen den Koalitionspartnern damit nicht beendet sind, sondern erst richtig beginnen.