Was bedeutet eine sinkende Nachfrage nach fossilen Brennstoffen für Öldiktaturen?

Krise der Ölstaaten

In den kommenden Jahrzehnten wird die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen stark sinken. Gerade die Opec-Staaten könnten davon jedoch zunächst sogar profitieren.

Kaum etwas war im 20. Jahrhundert eine so verlässliche Quelle von Wohlstand wie große Erdöl- oder Erdgasvorkommen. Doch für die Bevölkerung von Staaten mit großen Energievorkommen waren diese oft kein Segen: ressource curse oder Ressourcenfalle nennen Ökonomen das. Weil die Wirtschaft vom Export von Rohstoffen bestimmt wird, verkümmern andere Branchen, etwa die Güterproduktion – ein Beispiel dafür ist Venezuela, in dem heutzutage trotz Erdölreichtum Hunger herrscht und selbst lebensnotwendige Güter importiert werden müssen.

Auch führen Rohstoffe oft zu Instabilität und Konflikten oder bilden die Grundlage für brutale Diktaturen und Kleptokratien. Die Reihe der eigentlich wohlhabenden Ölstaaten mit bitterarmer Bevölkerung reicht vom Tschad über Äquatorialguinea und Nigeria, die der Öl- und Gasdiktaturen von Saudi-Arabien bis Aserbaidschan. Auch der russische Autoritarismus wäre ohne die riesigen Einkommen der staatlichen Energiekonzerne wie Gazprom, dessen Profite teils in den Staatshaushalt, teils in korrupte Elitennetzwerke fließen, kaum so stabil.

Lakonisch kommentieren die Forscher: »Einkommensverluste könnten in Ländern, die fossile Energieträger exportieren, zu politischer Instabilität führen.«

Kein Wunder, dass viele an die geplante Dekarbonisierung der Weltwirtschaft die Hoffnung knüpfen, sie könnte einigen Diktatoren dieser Welt die Geschäftsgrundlage entziehen und die Abhängigkeit demokratischer Staaten von Energielieferungen aus Autokratien verringern. Doch eine neue Studie kommt zu einer ernüchternderen Prognose.

Im November veröffentlichten elf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Fachzeitschrift Nature Energy einen Aufsatz mit dem Titel »Reframing incentives for climate policy action«, in dem sie abzuschätzen versuchen, wie sich eine Umstellung auf eine klimaneutrale Weltwirtschaft bis 2050 auf verschiedene Länder auswirken würde. In ihren Modellen gehen die Forscher von einem starken Rückgang des Verbrauchs fossiler Brennstoffe in den kommenden Jahrzehnten aus. Das werde zu einer »Entwertung von mit fossilen Brennstoffen verbundenen physischen und natürlichen Werten führen«: Kraftwerke und Pipelines würden stillgelegt, Ölförderanlagen verschrottet und riesige bisher als wertvoll geltende Energievorkommen unter der Erde bleiben. Das, so die Forscher, werde »zu einer tiefgreifenden Reorganisa­tion der industriellen Wertschöpfungsketten, des internationalen Handels und der Geopolitik führen«.

Dabei werde es Verlierer geben, aber eben auch Gewinner: Gerade Länder, die derzeit viel Energie importieren, weil sie keine eigenen Öl- oder Gasvorkommen besitzen, würden längerfristig vom Aufbau einer heimischen Energieproduktion aus erneuerbaren Quellen profitieren. Das betrifft etwa rohstoffarme Industrieländer wie die EU-Staaten, Japan, Südkorea und Indien.

Doch bedeutet das keineswegs, dass fossile Brennstoffe gar keine Rolle mehr spielen werden. Im Mai veröffentlichte die Internationale Energieagentur (IAEA) eine Studie, in der sie vorrechnete, wie sich der weltweite Energieverbrauch zusammensetzen würde, falls das Ziel einer Senkung des Nettoausstoßes von CO2 auf null im Jahr 2050 erreicht werden sollte. Der Bericht weist darauf hin, dass selbst in diesem optimistischen Szenario – denn wenig deutet derzeit darauf hin, dass es erreicht werden wird – noch Öl und Gas als Energieträger genutzt werden würden, wobei der dadurch entstandene CO2-Ausstoß durch sogenannte carbon capture-Technologie kompensiert werden müsste. 2050 würde demnach der weltweite Ölverbrauch bei einem Viertel des heutigen Volumens liegen, der Gasverbrauch bei etwa der Hälfte.

Viele Öl- und Gasproduzenten müssten deshalb in den kommenden Jahren die Produktion einstellen. Dadurch würde, so die Prognose der IAEA, der Weltmarktanteil der Länder der Organisation erdölexportierender Länder (Opec) steigen, von 37 Prozent heute auf 52 Prozent im Jahr 2050. Ähnlich ist es mit den Erdgasimporten der EU aus Russland: Weil die relativ teure Produktion von Erdgas in EU-Ländern wie den Niederlanden oder Großbritannien in den kommenden Jahren wohl stark zurückgehen wird, dürfte die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen zunächst zunächst stark zunehmen und erst langfristig wieder sinken.

Der Aufsatz der Forschergruppe in Nature Energy kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass eine Senkung des CO2-Ausstoßes zur Entwertung fossiler Wirtschaftsgüter um 14 Billionen US-Dollar bis zum Jahr 2036 führen werde – Kraftwerke, die abgeschaltet werden, Ölvorkommen, deren Förderung nicht mehr profitabel ist, und so weiter. Doch wird diese Wertvernichtung nicht gleichmäßig verteilt sein, sondern auf bestimmte Länder konzentriert. Unprofitabel würde die Ölförderung beispielsweise in den Teersandgebieten Kanadas, den Fracking-Regionen der USA, in der Nordsee oder der russischen Arktis werden: überall dort, wo die Förderung aufwendig und teuer ist; nicht jedoch in Saudi-Arabien, wo das Erdöl direkt aus dem Boden ­sprudelt.

Die Öl- und Gasproduzenten dürften deshalb, so prognostizieren die Forscher, schon bald in einen harten Wettbewerb darum treten, angesichts des schrumpfenden Energiemarkts die Verluste ihren Konkurrenten aufzubürden und sie in den Bankrott zu treiben. Vor allem die Opec-Länder, die sehr günstiges Erdöl produzieren können, könnten den Weltmarkt geradezu »fluten«. Für Länder wie die USA, wo die Ölförderung in weiten Teilen auf der aufwendigen Frackingtechnologie beruht, die nur bei hohen Preisen und günstigen Krediten profitabel ist, würde das auf einen Schlag weite Teile der Energiewirtschaft in den Ruin stürzen. Bis 2036 würden sich 60 Prozent der bisherigen fossilen Werte in »gestrandete Werte« verwandeln, wie es die Forscher ausdrücken, und wertlos werden. Ähnlich wäre die Situation in Kanada und in Russland, wo 50 Prozent der fossilen Wirtschaftsgüter die Entwertung droht. Die Opec-Länder jedoch könnten in diesem Szenario eine Entwertung ihrer fossilen Vermögenswerte fast gänzlich verhindern, indem sie ihren Anteil an den Ölexporten ausweiten.

Lakonisch kommentieren die Autoren: »Einkommensverluste könnten in Ländern, die fossile Energieträger exportieren, zu politischer Instabilität führen.« Auch eine Weltwirtschaftskrise durch eine solche »kreative Zerstörung« ganzer Wirtschaftsbereiche sei vorstellbar. Um diese Krise abzumildern, könnten vor allem die USA versuchen, Druck auf die Opec auszuüben, um mit Produktionsquoten einen zu heftigen Preiswettbewerb zu verhindern. Selbst dann jedoch, prognostizieren die Forscher, würden bis 2036 knapp die Hälfte der US-Energieindustriewerte wertlos. Insbesondere die Ölindustrie in den USA steht vor einer großen Krise.

Diese Zahlen verdeutlichen, warum in den USA Klimapolitik immer sehr viel umstrittener war als etwa in Deutschland: Präsident Barack Obama unterschrieb zwar 2015 das Pariser Klimaabkommen, sorgte allerdings auch dafür, dass die US-Ölindustrie zum größten Produzenten der Welt aufstieg. So war es nicht nur die Öllobby, die seit Jahrzehnten Propaganda gegen Klimapolitik macht, sondern es waren die Wirtschaftsinteressen ganzer Landstriche, die sich in den USA gegen eine Energiewende stellten. Donald Trump war der erste US-Präsident, der den Klimawandel offen leugnete.

Wie die Autoren resümieren, könnte die Transformation zu erneuerbaren Energien zu »lokalem postindustriellen Niedergang in den USA, Russland, Kanada, Brasilien und anderen ölproduzierenden Ländern führen«. Städte wie Houston in Texas, die wegen des US-Ölbooms der vergangenen Jahre derzeit prosperieren, könnten einen ähnlich heftigen Niedergang erleben wie einst Städte des heutigen »Rostgürtels« wie Detroit oder Michigan in den achtziger Jahren.

Während also Öldiktaturen wie Saudi-Arabien und Katar sorglos zumindest in die nähere Zukunft blicken können, werden vor allem die USA, Kanada und Russland von einer Dekarbonisierung der Weltwirtschaft stark negativ betroffen sein – sollte diese nicht überhaupt angesichts der vielen Ländern drohenden wirtschaftlichen Verwerfungen scheitern.