Das vierte Verfahren ­wegen angeblicher Beleidigung der Polizei auf einer Demo in Fulda steht an

Antifa vorm Amtsgericht

2019 soll bei einer Demonstration gegen Polizeigewalt in Fulda ein Teilnehmer die Polizei beleidigt haben, indem er eine Parole rief. Zuletzt wurde er schuldig gesprochen, nun steht das vierte Verfahren an.

Am 21. Januar soll ein heute 27jähriger Teilnehmer einer antifaschistischen Protestdemonstration zum vierten Mal vor Gericht stehen. Nachdem ihn das Amtsgericht Fulda zunächst freigesprochen hatte, hob das Oberlandesgericht Frankfurt seinen Freispruch in zweiter Instanz auf. In einem dritten Verfahren wurde er dann zu einer Geldstrafe in Höhe von 1 800 Euro auf Bewährung verurteilt. Doch das war der Staatsanwaltschaft nicht genug. Sie legte Revision ein und fordert im vierten Prozess ein höheres Strafmaß.

Das Vergehen des Angeklagten: Er hat bei einer angemeldeten Demons­tration in Fulda die Parole »Bullen morden, der Staat schiebt ab, alles das gleiche Rassistenpack« durch ein Mikro­phon skandiert. Insgesamt vier Teilnehmer der Demonstration wurden anschließend von der Polizei Fulda wegen Beleidigung, Verleumdung und übler Nachrede angezeigt. Eine der Angeklagten war Sarmina Stuman, Sprecherin der Gruppe Afghan Refugees Movement. Sie habe als Versammlungsleiterin die beleidigenden Sprechchöre nicht unterbunden, so die Staatsanwaltschaft damals. Das Verfahren gegen sie wurde gegen die Auflage einer Geldzahlung eingestellt.

Die Demonstration am 13. April 2019 lief unter dem Motto »Gerechtigkeit für Matiullah«. Genau ein Jahr zuvor war der 19jährige, afghanische Flüchtling Matiullah Jabarkhil im Fuldaer Münsterfeld von der Polizei erschossen worden. Noch immer fordern Angehörige und Unterstützer eine Aufklärung des Falls. Der Beamte, der insgesamt 12 Schüsse abfeuerte, von denen vier Jabarkhil trafen und zwei ihn tödlich verletzten, behauptet, aus Notwehr gehandelt zu haben.

Da es Zweifel an der Darstellung des Polizeibeamten gab, wurden insgesamt drei Ermittlungsverfahren gegen diesen eingeleitet. Doch wurden diese letztlich wieder eingestellt, zuletzt im Juli 2021. Die Fuldaer Staatsanwaltschaft kam zu dem Schluss, der Polizist habe aus Notwehr geschossen. Der Geflüchtete habe zuvor den Auslieferungsfahrer einer Bäckerei sowie einen Streifenbeamten mit einem faustgroßen Stein verletzt, anschließend einen Schlagstock von einem Polizisten entwendet und mit diesem auf ihn losgegangen.
Eine andere Darstellung, die unter anderem die Gruppe Afghan Refugees Movement vertritt, lautet folgendermaßen: Der Geflüchtete soll Steine gegen eine Bäckerei geworfen haben, nachdem die Verkäuferin von innen die Tür verschlossen hatte, als er nach Brot fragen wollte. Als einige Minuten später die Polizei eintraf, flüchtete ­Matiullah Jabarkhil, wurde jedoch nach 150 Metern gestellt und schließlich erschossen. Er soll unbewaffnet gewesen sein. Ein einminütiges Handyvideo ­eines Augenzeugen soll diese Darstellung untermauern. Die Staatsanwaltschaft, der das Video vorlag, deutet es jedoch anders – es bestätige die »bereits ermittelte Tatversion und damit auch die Begründung der Einstellung des Verfahrens«.

Die Demonstration am 13. April 2019 richtete sich gegen das Vorgehen der Polizei gegen Matiullah Jabarkhil sowie institutionellen Rassismus bei der Polizei im Allgemeinen. Darauf bezogen sich die damaligen Redebeiträge – und darauf zielte auch die Äußerung des angeklagten Antifaschisten, der durch die Parole »Bullen morden, der Staat schiebt ab, alles das gleiche Rassistenpack« eine allgemeine Kritik am Rassismus in der deutschen Polizei formulierte und keinen einzelnen Beamten ansprach, wie etwa seine Verteidigerin argumentierte. Parolen wie diese oder auch »ACAB« (All Cops Are Bastards) sind nach deutscher Rechtsprechung vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Eine »Kollektivbeleidigung« könne es dem Strafgesetzbuch zufolge nur mit »Bezug zu einer hinreichend überschaubaren und abgegrenzten Personengruppe« geben. Die Polizei insgesamt könne deshalb, wie etwa das Bundesverfassungsgericht 2016 bezüglich des Slogans ACAB entschied, im juristischen Sinne nicht beleidigt werden.

Der Staatsanwalt Christoph Wirth sah in der Äußerung des Antifaschisten jedoch eine persönliche Beleidigung und Schmähkritik der anwesenden Polizisten und forderte eine Strafe in Höhe von 2 250 Euro. Doch das Amtsgericht Fulda sprach den Angeklagten frei. Gegen dieses Urteil legte die Staatsanwaltschaft Fulda Revision ein, woraufhin das Oberlandesgericht Frankfurt am Main das erste Urteil aufhob und zur erneuten Entscheidung zurückverwies.

Bei einem dritten Prozess am Fuldaer Amtsgericht wurde der Antifaschist schließlich schuldig gesprochen. Der Ausdruck »Rassistenpack« habe keinen sachlichen Bezug gehabt und stelle deshalb eine Beleidigung der Polizisten dar. Da stoße das Recht auf freie Meinungsäußerung an seine Grenzen, so Richter Ulrich Jahn. Er verurteilte den Angeklagten zu einer Geldstrafe von 1 800 Euro, die aber für zwei Jahre auf ­Bewährung ausgesetzt wird. Doch auch dieses schien der Fuldaer Staatsanwaltschaft zu milde und sie ­legte erneut Revision ein. Der nächste Prozess ist nun für den 21. Januar angesetzt.

Bei den Anwaltskosten für die vier Prozesse unterstützt mittlerweile die Rote Hilfe den Fuldaer Antifaschisten. Dieser sagte der Jungle World, er leide psychisch unter der Ungewissheit und empfinde die Prozesse gegen ihn als »voreingenommen«, wolle jedoch auch nicht aufgeben, da er sich im Recht sehe; es werde mit offensichtlich mit zweierlei Maß gemessen. »Das ist in Zeiten, wo der Antifaschistin Lina E. der Prozess gemacht wird, keine Seltenheit, offenbart jedoch die nicht vorhandene Neutralität staatlicher Organe und ihre repressiven Methoden gegenüber Linken.«

Der zweifelhafte Umgang der Fuldaer Staatsanwaltschaft und Polizei mit Kritikern wurde auch bei einer früheren Episode deutlich. 2019 erschien ein Artikel auf Belltower News, in dem stand, dass Matiullah Jabarkhil durch zwölf Schüsse getötet worden sei, ohne an­zumerken, dass nur vier der Schüsse ihn trafen und nur zwei davon als tödlich galten. Deshalb wurde gegen den Autor und die Autorin des Artikels ­Anklage wegen Verdachts der gemeinschaftlich begangenen üblen Nachrede erhoben. Auch für den damals 52jäh­rigen Journalisten Timo Schadt aus Fulda hatte dies Konsequenzen. Dieser hatte den Artikel nicht verfasst – und, wie er damals der Taz mitteilte, habe er ihn nicht einmal gelesen. Doch er war als Kontaktperson der Facebook-Seite des Netzwerks »Fulda aktiv gegen Rassismus« angegeben. Dort hatte jemand den Belltower News-Artikel gepostet. Am 17. Oktober 2019 um halb acht Uhr morgens stand deshalb unangekündigt die Polizei bei Schadt vor der Tür, mit einem Durchsuchungsbefehl vom Amtsgericht Fulda. Um zu verhindern, dass sein Computer und sein Laptop beschlagnahmt würden, musste Schadt einem Polizisten sein Facebook-Passwort aushändigen. Der Beamte löschte den Beitrag dann in seiner Anwesenheit.