Das Buch über die Undergroundbands Mania D., Malaria! und Matador

M und Ms

Mania D., Malaria!, Matador – drei Bands und drei Frauen bestimmten Anfang der Achtziger den Post-Punk in Berlin mit. In dem Buch »M_Dokumente« wird ihre Geschichte auch mit vielen Abbildungen erzählt.

»Wir machen musik aber keine pol agitation« ist gerade heute, wo so ziemlich jede Band lieber über ihre politischen Vorstellungen und aktivistischen Ambitionen spricht als über Musik, eine ausgesprochen ­ungehörige Aussage. Sie findet sich entsprechend im Manifest einer Band, die sich bereits 1979 gründete: Mania D. Die Gründungsmitglieder kannten sich über den Klamottenladen »Eisengrau«, beheimatet im West-Berliner Bezirk Schöneberg, der bald ein Szenetreffpunkt wurde. Bettina Köster und Gudrun Gut betrieben den Laden, in dem es neben dunklen Strickpullis und Schmuck auch dort von Bands aufgenommene Kassetten zu kaufen gab.

Die beiden Frauen hätten sich aber auch statt in dem Laden beim Studieren kennenlernen können. Beide waren im Fachbereich 4 der damaligen Hochschule der Künste eingeschrieben und studierten explizit nicht Kunst (»Auf klassische Malerei hatte ich keine Lust«, so Gudrun Gut), sondern Visuelle Kommunikation. So wie sich im »Eisengrau« die Szene tummelte – Blixa Bargeld, der Sänger der Einstürzenden Neubauten, übernahm den Laden von Köster –, so war auch der Fachbereich 4 ein Hort des Westberliner Undergrounds: Hier studierte beispielsweise auch Wolfgang Müller, Gründer von Die tödliche Doris.

Dass diese Szene (die man laut Gudrun Gut überhaupt nicht so nannte: »Das waren einfach Freunde«) dann doch ziemlich überschaubar war, ­erfährt man aus dem kürzlich erschienenen Buch »M_Dokumente«. Sie war sogar so überschaubar, dass die drei Gründerinnen von Mania D. (neben Köster und Gut noch die Tontechnikerin Beate Bartel) zwei weitere Undergroundbands ins Leben riefen: 1981 ohne Bartel die Band ­Malaria! und dann 1982 wiederum ohne Köster Matador. Nicht nur sind in »M_Dokumente« Fotos und Flyer der Bands neben Interviews mit den drei ehemaligen Mitgliedern abgedruckt, auch ist fast gleichzeitig bei Monika Enterprise, dem Label von Gudrun Gut, eine Compilation mit »Rare Originals« unter dem Titel »M_Sessions« erschienen.

Fällt was auf? In der Tat: Die drei Bands und sogar der Name des Labels fangen alle mit dem Buchstaben M an. »Alle namen müßen mit M anfangen«, schrieben sich Malaria! 1983 in ihre Statuten. Viel mehr Regeln gab es nicht, die Musikprojekte waren beeinflusst vom Do-it-yourself-Geist des Punk. Und von Musik, die nicht in Deutschland entstand. Denn Malaria! orientierten sich (»religiös«, wie Köster im Buchinterview betont) wie auch schon Mania D. an dem, was in der BBC-Radiosendung von John Peel gespielt wurde, und der wiederum zeigte ein großes Interesse für das, was in New York musikalisch geschah. Der No-Wave-Sampler »No New York« von Brian Eno war gerade erschienen, darauf fanden sich Songs von beispielsweise Lydia Lunch oder James Chance. Die Aggressivität von Lunch und das Saxophonspiel von Chance ließ sich dann auch bald in der Musik von Mania D. und später auch bei Malaria! wiederfinden, was wiederum Peel dazu brachte, in Berlin anzurufen, um die Band zu einer seiner berühmten Peel Sessions einzuladen – aber ohne Erfolg. Gudrun Gut legte panisch auf, zu schlecht war ihr Englisch.

Die Peel Session kam dennoch zustande (Peel hatte in einer seiner Sendungen nach dem missglückten Telefonat die deutsch- und englischsprachigen Zuhörerinnen und Zuhörer gebeten, den Kontakt herzustellen, im Studio nannte er sie dann »queens of noise«), und auch Malaria! wandten sich dem Englischen zu. Die meisten Titel auf ihrem ersten Album »Emotion« von 1982 bestanden jeweils aus einem deutschen Wort und seiner englischen Übersetzung: »Geld/Money«, »Leidenschaft/Passion« oder »Eifersucht/Jealousy«. Auch einzelne Textstellen waren auf Englisch, das hatte es aber schon vorher bei Songs wie »Trash Me« oder »You You« gegeben. Im englischsprachigen Raum feierten sie dann auch, anders als in Deutschland, ­einigen Erfolg: Schon mit Mania D. spielten sie in New York im berühmten Underground-Club »Tier 3« und inspirierten den Sonic-Youth-Gitarristen Thurston Moore dazu, Musik zu machen, wie Bartel im Buch erzählt. Und Köster ergänzt: »Wir haben den New Yorkern mit unserem Mut imponiert.«

Sie haben aber nicht nur imponiert, sondern auch, jedoch ungewollt, provoziert. Ausgerechnet an Yom Kippur traten später Malaria!, gekleidet in schwarzen Reiterhosen und Stiefeln, im »Studio 54« in New York auf. Die Presse hielt sie für Nazis, die Band selbst sah sich in der Tradition der von den Nazis vertriebenen Avantgarde der zwanziger Jahre, sie verstanden sich als Sozialisten. Das Sprachproblem sorgte bei dem Auftritt für vollkommene Verwirrung. Doch auch wenn man des Deutschen mächtig ist, sind die Texte von Malaria! so rätselhaft, dass man sich nicht gleich einen Reim auf sie machen kann.

Mania D

Mania D. 1980, v. l. n. r.: Gudrun Gut, Bettina Köster und Beate Bartel

Bild:
Jutta Henglein

Eine Mischung aus Koketterie mit dem und Geisterbeschwörung des Nationalsozialismus zelebrierten Malaria! aber in jedem Fall. Eines ihrer Lieder heißt »Zarah«, wohl eine Anspielung auf den NS-Filmstar Zarah Leander, Gudrun Guts Schlagzeug hat nicht selten einen militärischen Einschlag und der Song »Geh Duschen« (»Geh Duschen, Geh Duschen / Ab in die Fabrik!«) scheint sich um ein deutsches Vernichtungslager zu drehen. In einer Art Postskriptum schreibt Köster, das Lied sei von dem US-amerikanischen Fernsehfilm »Playing for Time« inspiriert worden, in dem es um die Pianistin Fania Fénelon geht, die dem Mädchenorchester von Auschwitz angehört hatte. »Geh Duschen«, so Köster, »ist im Gegensatz zu dem, was manche glauben, eine Klage über die Gräueltaten in den Todeslagern.« Mädchenorchester ist wieder so ein Wort, das mit M beginnt – und es taucht auch in »M_Dokumente« noch ein weiteres Mal auf, nämlich auf dem Abdruck eines äußerst schlicht gehaltenen Flyers von 1981 für ein Konzert im Kreuzberger »SO 36«, in dessen Text Malaria! als eben solches bezeichnet wird.

Zwar spielten Malaria! im Vorprogramm von The Birthday Party und Siouxsie and the Banshees, doch großer Erfolg stellte sich nicht ein. Etwas Vergleichbares gab es in Deutschland eigentlich nur in Hamburg, wo sich 1980 die Band Xmal Deutschland gründete, die zumindest in ihrer Ursprungsbesetzung eine All-Girl-Band war. Xmal Deutschland aber waren im Gegensatz zu Malaria! ­tatsächlich Gruftis und veröffentlichten gleich ihr erstes Album zwar nicht bei einem Major, aber doch immerhin bei dem großen britischen Label 4AD. Solch ein Plattenvertrag war Malaria! zeit ihres Bestehens nicht vergönnt, also gründeten Gut und Köster ihr eigenes: Moabit Musik.

Auch sonst machte man sich ­wenig Freunde. Im Buch berichten die Musikerinnen davon, wie sie 1980 bei einem Frauenfestival auftraten. Auch dort hielt man die in Schwarz gekleideten und bestiefelten Frauen für »Nazi-Bräute« und pfiff sie aus. »Sie haben wohl ein Blockflötenkonzert erwartet«, erinnert sich Gudrun Gut. »Dabei waren wir eben vor allem moderne Frauen. Wir waren laut und eher Machos und machten, was wir wollten«, schlussfolgert Beate Bartel.

Das machten sie tatsächlich, nicht nur auf der Bühne, sondern auch in ihrem Leben. »M_Dokumente« gibt einen hautnahen Einblick, wie es ­Anfang der Achtziger in Westberlin war, zur Subkultur zu gehören. Mania D. machten einst einen Song über einen Heizradiator – zu dubios waren die in vielen Wohnungen noch betriebenen Kohleöfen (Köster war einmal davon aufgewacht, dass ihr Zimmer in Flammen stand), so dass man auf die elektrische Variante umstieg. Im Buch erzählt Gudrun Gut, wie man dann eine hohe Stromrechnung verhinderte, nämlich indem man das Zählwerk des Stromzählers manipulierte.

Ohnehin sind die Songs eine Reflexion des Lebens auf der Insel Westberlin: »Kaltes Klares Wasser«, der wohl berühmteste von Malaria!, sei einmal, wie Köster im Buch erzählt, von einem Musikstudenten so »wahnsinnig kompliziert und profund und tiefgreifend« analysiert worden, dass sie sich »kaputtgelacht« habe. Der Text des Lieds sei Köster, die einmal »Sprachforscherin« werden wollte, nämlich einfach nur beim Kiffen in ihrer kalten Wohnung gekommen, als sie auf einmal tierischen Durst bekam.

Diese Verwandlung von Banalitäten in Songtexte, dieses provokante und subversive Spiel mit Stilen und Mode, diese Hingabe, in wenigen Jahren gleich mehrere Bands zu gründen – das alles zeichnete die Subkultur aus. »Wir haben alle zusammengearbeitet. Die Maler und Filmemacher fanden nicht wirklich Galerien, und die Musiker suchten nach Orten zum Spielen. Also haben wir uns zusammengeschlossen und irgendwelche Räume okkupiert«, ­erzählt Köster, und Gut ergänzt: »Und die Musik war ein verbindendes Glied.« In der Berliner Goltzstraße, da, wo einst das »Eisengrau« war, ist jetzt ein Laden für Hobbybedarf beheimatet, der auch schon einige Jahre auf dem Buckel hat. Das ist in gewissem Sinne ein passendes Bild für den Zustand der Subkultur, der seit längerem schon die Coolness, die Ambivalenz und die Provokation abhanden gekommen ist. Und natürlich eine Stadt, in der so etwas ökonomisch überhaupt möglich war. Und wenn man Gudrun Gut glauben mag, dann gab es das in dieser Art in Berlin »danach nie wieder so«.

Beate Bartel, Gudrun Gut und Bettina Köster (Hg.): M_Dokumente. Mania D., Malaria!, Matador. Ventil-Verlag, Mainz 2021, 184 Seiten, 35 Euro