Höhere Lebensmittelpreise helfen nicht gegen die Missstände in der Landwirtschaft

Planwirtschaft statt Preiserhöhung

Bundesagrarminister Cem Özdemir fordert höhere Lebensmittelpreise. Das soll unter anderem für mehr Tierwohl sorgen. Doch der Vorschlag und die daran anschließende öffentliche Diskussion gehen an der Wurzel der Missstände vorbei.

Es klingt einfach: Wenn für Lebensmittel höhere Preise gezahlt werden, verbessern sich die Haltungsbedingungen für Tiere und Bauern bekommen mehr Geld für ihre Produkte. So suggeriert es der Vorschlag des neuen Agrarministers Cem Özdemir (Grüne), die Preise für Lebensmittel zu erhöhen. Am vergangenen Freitag sage er in einer Bundestagsdebatte, es sei »einfach eine Sauerei«, wie niedrig die Lebensmittelpreise seien und wie wenig Landwirte mit ihren Produkten verdienten. Es handele sich um ein »ausbeuterisches System«.

Mit Äußerungen dieser Art hatte Özdemir in den letzten Wochen für reichlich Schlagzeilen gesorgt. Dabei ist der Vorschlag nicht neu. Özdemirs Amtsvorgängerin, Julia Klöckner (CDU), und andere Agrarminister vor ihr haben schon Ähnliches gefordert. Doch zeugen sowohl der Vorschlag wie auch die öffentlichen Reaktionen von einer reflexhaft geführten, moralisierenden Agrardiskussion mit allerhand romantischen Vorstellungen und fernab von ökonomischem Basiswissen.

Letztlich läuft die Debatte über die Landwirtschaft – egal an welchem Punkt sie aufgenommen wird – immer auf die Frage hinaus: Markt oder Plan?

Warum sollte sich die Lage der Tiere überhaupt verbessern, wenn Lebensmittel teurer werden? Entscheidend ist, wo das Geld landet: beim Bauern oder beim Handel. Diese Frage beantwortet der Markt und dort haben vor allem die Supermärkte eine enorme Macht. Die derzeitig gängigen Versprechen der Discounter an ihre Kunden, für mehr Tierwohl zu sorgen, werden in den nationalen wie globalen Lieferketten als Druck an Bauern weitergegeben. Es werden sich Landwirte finden, die die neuen Vorgaben für mehr Tierwohl einhalten und die zusätzlichen Kosten durch mehr Wachstum kompensieren. Und selbst wenn Landwirte zum Beispiel für Milch mehr Geld erhalten würden, müsste das nicht unbedingt dazu führen, dass Lebensmittel relevant teurer werden – denn der Anteil des Rohprodukts macht bei Lebensmitteln oft nur einen kleinen Teil des Endpreises aus.

Richtig ist, dass in Deutschland durchschnittlich nur zehn Prozent des Einkommens für Lebensmittel ausgegeben werden und die Preise oft sehr niedrig sind. Arme Menschen geben freilich einen höheren Anteil für Lebensmittel aus. Hartz-IV-Bezieher zum Beispiel erhalten neben Leistungen für Miete und Krankenversicherung einen monatlichen Regelsatz von 449 Euro, davon ist mehr als ein Drittel für »Nahrungsmittel, Getränke und Tabakwaren« vorgesehen, nämlich 155,82 Euro – das sind 5,19 Euro am Tag. Richtig ist ebenso, dass Tiere oft schlecht gehalten werden, Bauern trotzdem wenig verdienen und immer öfter ihren Hof aufgeben müssen.

Bauern sind hier wie in den ärmeren Ländern der Welt reine Rohstofflieferanten und partizipieren kaum an dem Gewinn aus der Weiterverarbeitung ihrer Produkte. Bei Rohmilch beispielsweise funktioniert das so: Erst Wochen nach dem Abholen der Milch teilt die Molkerei dem jeweiligen Bauern mit, was sie ihm nach Abzug ihrer Kosten dafür bezahlt. Dieses Marktmachtgefälle zwischen Molkerei und Milchviehbetrieben hat das Bundeskartellamt seit 2012 bereits mehrfach kritisiert. Geändert hat sich nichts.

Auch international herrscht ein Machtgefälle. In Paraguay wurden massenhaft Bauern von ihrem Land vertrieben, um dort Soja unter anderem für deutsche Schweine und Kühe anzubauen. Dieses »billige« Soja lässt Bauern hier gerade so über die Runden kommen, indem sie immer mehr Milch produzieren. Überschüssige Milch wird zu Milchpulver und Kondensmilch verarbeitet und in Westafrika zu Preisen verkauft, mit denen dortige Produzenten nicht mithalten können. Die Folge: Höfesterben, hier wie dort. In der Konsequenz gibt es zum Beispiel in Frankreich eine hohe Selbstmordrate bei Bauern. Auch in Deutschland häufen sich Berichten zufolge psychische Probleme bei Landwirten.

Hinzu kommt, dass der in der Debatte gerne verwendete Begriff »die Bauern« mindestens irreführend ist. Es gibt mehrere Bauernverbände, von denen der Deutsche Bauernverband (DBV) auffallend eng mit der Lebensmittelindustrie verflochten ist. Auch wenn ein Interessenverband von autonomen Kleinproduzenten keine Gewerkschaft ist, könnte man den DBV analog zu entsprechenden Gewerkschaften als »gelb«, sprich »arbeitgebernah« bezeichnen. Neben den Interessenvertretungen der Biobauern gibt es die grün gefärbte Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und den Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM), der sich mehrheitlich aus dem Bauernverband herauslöste. Letzterer versucht, abseits von Wachstums- oder Biofanatismus, durch marktkonforme Korrekturen materielle Verbesserungen für Bauern zu erreichen. Ein Beispiel wäre eine Milchmengensteuerung, mit der die Überproduktion zumindest verringert werden könnte. Das ähnelt dem, was Gewerkschaften tun, indem sie sich für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen einsetzen.

Auf Bundesebene versammelt sich die Agraropposition unter dem Dach des Bündnisses »Meine Landwirtschaft – unsere Wahl«, dem über 50 Organi­sationen angehören, von Bauernverbänden über Umwelt- und Tierschützer sowie kirchliche Gruppen bis hin zu den linken Exoten von der »Aktion 3.Welt Saar«, einem gemeinnützigen Verein, bei dem der Autor dieses Artikels arbeitet. Dieses Bündnis organisiert seit 2011 alljährlich im Kontext der Internationalen Grünen Woche im Januar in Berlin die Demonstration »Wir haben es satt« – dieses Jahr am 22. Januar coronabedingt in reduzierter Form. Dort werden sinnvolle Forderungen gestellt, wie etwa die nach transparenter Kennzeichnung von Lebensmitteln.

Aber beileibe nicht alle Forderungen sind so sinnvoll. Seit Jahren wird etwa verlangt, »Landraub durch außerlandwirtschaftliche Investor*innen« zu unterbinden. Das Problem ist richtig benannt: Es gibt (weltweit) einen Run auf fruchtbares Ackerland, denn dieses stellt eine relativ sichere und profitable Anlagemöglichkeit dar. Doch indem vor allem die globalen Kapitalströme problematisiert werden, wird suggeriert, Kapital sollte geographisch an einem Ort oder Lebensbereich gebunden sein. Es wäre wenig besser, wenn der größer werdende Bauer von nebenan das Land von bankrotten Kollegen mit Bankkrediten aufkaufte. Das Kapital geht dahin, wo es die besten Verwertungsbedingungen findet oder zu finden glaubt. Das ist systemimmanent und nicht die Entscheidung des Einzelnen – ebenso wie der Wachstumszwang im Kapitalismus, dem auch der nette freundliche Biobetrieb von nebenan auf Gedeih und Verderb ausgesetzt ist. Bio steht für eine Anbaumethode, nicht für ein anderes Wirtschaftssystem.

Wie könnte eine Lösung aussehen? Nun, wer sagt eigentlich, dass Land Privateigentum sein muss? Mit etwas Phantasie kann man sich vorstellen, dass bebaubares Land Gemeinbesitz ist und von Bauern nur lebenslang gepachtet wird. Das ist beispielsweise in Israel der Fall. Bauern würden dann immer noch unter marktwirtschaftlichen Bedingungen arbeiten, aber der Preisdruck wäre dann womöglich geringer.

Auch Saatgut und seine Züchtung dürften nicht im Privateigentum verharren, sondern sollten ein öffentliches Gut (commons) sein. Die sogenannten Nachbaugebühren, mit denen Bauern finanziell geknechtet werden – also Gebühren, die Bauern an  den sogenannten Sortenschutzinhaber des Saatguts zahlen müssen, wenn sie von ihrer eigenen Ernte einen Teil aufbewahren, um diesen wieder als Saatgut zu verwenden –, würden dann der Vergangenheit angehören.

Sänke durch die Änderung der Eigentumsverhältnisse der Gewinndruck, könnte eher auf Ertragssicherheit sowie auf größere Vielfalt gezüchtet werden und nicht allein auf Hochertrag. Das dazu passende Leitbild wäre die Ernährungssouveränität. Den Begriff prägte die internationale Bauernbewegung »Via Campesina«. Gemeint ist, gemeinsam auszuhandeln, was in einer Gesellschaft produziert und verarbeitet wird, mit welchem Saatgut und wer dies wie macht. Zu einer solchen anderen Landwirtschaft, in der die deutsche Milchviehwirtschaft nicht in ärmeren Ländern gewaltige Flächen für ihre Futtermittel belegt, sollte auch die Reduzierung des Fleischkonsums gehören. Was spricht dagegen, dies gesellschaftlich auszuhandeln, es mit Bezugsscheinen, also einer Rationierung, zu organisieren und in Kantinen und Mensen überwiegend fleischlos aufzutischen?

Dazu wäre es nötig, die von vielen NGOs, aber auch von Linken allgemein gepflegte Distanz zu den Kämpfen von Bauern und Bäuerinnen aufzugeben. Hand aufs Herz: Welche Öko-­Aktivisten oder welche Linke beteilig(t)en sich an den politischen Kämpfen des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter? Letztlich läuft die Debatte über die Landwirtschaft – egal an welchem Punkt sie aufgenommen wird – immer auf die Frage hinaus: Markt oder Plan? Und auch bevor eine globale demokratische Planwirtschaft erreicht sein könnte, wäre im Sinne eines radikalen Realismus einiges zu erreichen. Das berühmte letzte Gefecht kann noch warten.