Leitzinserhöhungen der US-Zen­tralbank Fed könnten die Schuldenkrise der Schwellenländer verschärfen

Schwellenländer in der Krisenfalle

Es wird erwartet, dass die US-Notenbank Fed bald den Leitzins erhöht, um der Inflation entgegenzuwirken. Das könnte insbesondere für sogenannte Schwellenländer verheerende Folgen haben.

Die große Liquiditätsparty neigt sich ihrem Ende entgegen. Nachdem die Inflation in den USA im Dezember mit sieben Prozent Preissteigerung zum Vorjahresmonat so hoch war wie seit 1982 nicht mehr, signalisierte die US-Notenbank Anfang Januar, die bereits im ­Dezember angekündigte Zinswende rascher als geplant einzuleiten. Die Dynamik ist beeindruckend: Die jährliche Teuerungsrate lag in den USA im November bei 6,8 Prozent, im Oktober waren es noch 6,2, im September 5,4 Prozent. Zunächst hatten Vertreter des US-Zentralbanksystems (Federal Reserve System, kurz Fed) angedeutet, das Ende der Nullzinspolitik mit einer ersten Anhebung des Leitzinses im Sommer dieses Jahres einzuleiten. Nun gehen Analysten davon aus, dass die Fed angesichts der sich beschleunigenden ­Teuerung den Leitzins in diesem Jahr ab März viermal erhöhen werde und dass dieser am Jahresende bei rund einem Prozent liegen dürfte. Im kommenden Jahr könnten vier weitere Zinserhöhungen folgen.

Auf den pandemiebedingten Wirtschaftseinbruch 2020 reagierten die Notenbanken mit beispiellosen Stützungsmaßnahmen, insbesondere einer anhaltenden Nullzinspolitik und ausgedehnten Ankäufen von Staatsanleihen und Wertpapieren, um die Finanzmärkte zu stabilisieren und staatliche Konjunkturprogramme zu ermöglichen – was einer Erhöhung der Geldmenge gleichkam. Das entfachte nicht nur einen kurzfristigen konjunkturellen Aufschwung, es führte auch zu neuen Höchstständen der Aktienkurse und ließ – in Wechselwirkung mit den pandemiebedingten Lieferengpässen – die Inflation ansteigen. Mit der Zinswende, bei der die Fed überdies ihre auf neun Billionen US-Dollar angeschwollene Bilanz durch das Abstoßen zuvor aufgekaufter Wertpapiere ver­ringern will, droht den USA eine Schwächung der Konjunktur, womöglich bis hin zu einer Rezession: Kredite und staatliche Konjunkturmaßnahmen werden teurer, die Liquiditätsblase auf den Finanzmärkten deflationiert, es drohen Pleiten überschuldeter Konzerne.

Die größte Gefahr für Länder wie die Türkei, Brasilien, Mexiko oder Südafrika stellten Kapital­abflüsse dar, die mit einer Währungs­abwertung einher­gingen, so der IWF.

Die Zentren der Weltwirtschaft stehen somit vor einem abermaligen Krisenschub mit ungewissem Ausgang. Für etliche Nationalökonomien der Semi­peripherie könnte die Zinswende in den USA sogar einer regelrechten Katastrophe gleichkommen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) forderte daher am 10. Januar die sogenannten Schwellenländer auf, sich auf die »Straffung der Geldpolitik« durch die Fed vorzubereiten. Rasche Zinserhöhungen in den USA könnten »die Finanzmärkte erschüttern und weltweit zu einer Straffung der Finanzierungsbedingungen führen«, warnte der IWF in einem Blog-Beitrag.

Die größte Gefahr für Länder wie die Türkei, Brasilien, Mexiko oder Südafrika stellten dabei Kapitalabflüsse dar, die mit einer Währungsabwertung einhergingen, so der IWF. Die Schwellenländer hätten nun »schwierige Kompromisse« zu schließen, da eine schnell vollführte Zinswende der Fed insbesondere Nationalökonomien der Semipe­ripherie mit »hohen öffentlichen und privaten Schulden«, ausgeprägter Devisenabhängigkeit und einer ungünstigen, negativen Leistungsbilanz hart treffen könne. Gerade Ökonomien, die bereits »große Bewegungen ihrer Währung« erfahren haben, seien gefährdet, warnte der IWF auf die Türkei anspielend. Die Kombination von »langsamerem Wachstum« und »zunehmender Anfälligkeit« könnte »negative Rückkopplungsschleifen« auslösen, weshalb Schwellenländer die Straffung ihrer Geldpolitik den »engeren Finanzierungsbedingungen« individuell anpassen müssten.

Der IWF beschreibt hier faktisch eine vielen Schwellenländern drohende Schuldenfalle: In Perioden niedriger Zinsen in den Zentren, insbesondere in den USA, fließt Anlagen ­suchendes Kapital in Erwartung höherer Renditen in die Semiperipherie, was dort zu vermehrter Kreditaufnahme, einer anziehenden Defizitkonjunktur sowie oft zur Ausbildung von Schulden- und Spekulationsblasen führt. Diese Überflutung der Schwellenländer mit billiger Liquidität vollzog sich vor allem zwischen 2008 und 2015, als nach dem Zusammenbruch der transatlantischen Immobilienblase in den USA und Westeuropa die Fed und die Europäische Zentralbank (EZB) faktisch eine Nullzinspolitik betrieben. Mit der 2015 eingeleiteten Zinswende der US-Notenbank floss das Kapital wieder zurück in die Zentren, was die Konjunktur der Schwellenländer erlahmen ließ, während die damit einhergehende Währungsabwertung und die höheren Zinsen den Schuldendienst verteuerten oder unmöglich machten. Als die Pandemie 2020 einsetzte, hatten sich viele Schwellenländer – etwa Brasilien, das nach 2008 einen kurzen, schuldenfinanzierten Immobilienboom erlebt hatte – noch gar nicht von der vorangegangenen Zinswende der Fed erholt.

2020 drohte die Ökonomie weiter Teile der bereits angeschlagenen Semi­peripherie zu kippen, da in der anfänglichen Krisenpanik, in den ersten zwei Monaten nach Pandemiebeginn, die Kapitalabflüsse aus der Region mit 78 Milliarden US-Dollar rund dreimal so hoch waren wie im selben Zeitraum nach dem Platzen der Immobilienblasen 2007/2008. Die expansive Geldpolitik der Notenbanken hat mit ihrer Gelddruckerei somit nicht nur die Defizitkonjunkturen in den Zentren initiiert, sondern auch viele Schwellenländer zeitweise stabilisiert, indem sie diese panischen Kapitalabflüsse beendete und partiell revidierte. Doch geschah dies um den Preis eines weiteren ­rasanten Anstiegs der globalen Staatsschulden, die ohnehin seit den acht­ziger Jahren schneller als die Weltwirtschaftsleistung wachsen. 2020 sei die globale staatliche Schuldenlast um 28 Prozent auf 226 Billionen US-Dollar oder 256 Prozent der Weltwirtschaftsleistung angestiegen, meldete der IWF Mitte Dezember, was »den größten jährlichen Anstieg seit dem Zweiten Weltkrieg« darstelle.

Angesichts der abermaligen Zinswende finden sich viele Schwellen­länder in einer ausweglosen Situation: Sie müssten eigentlich die Zinsen senken, um die Konjunktur zu stützen, was aber zu Währungsabwertung, Inflation und Schuldenkrisen führt, wie es das Beispiel der Türkei illustriert. Hohe Zinsen samt Sparmaßnahmen hingegen würgen die ohnehin unter Kapitalabflüssen leidende Konjunktur ab und führen tendenziell in die Deflation.

Der krisenbedingte globale Schuldenaufhäufung der neoliberalen Ära, mit dem das Fehlen eines neuen Akkumulationsregimes nach dem Ende des Nachkriegsbooms kompensiert wurde, ist inzwischen so weit vorangeschritten, dass drohende Entwertung nicht nur Währungen der Peripherie, sondern auch den US-Dollar als Weltleitwährung, gewissermaßen als Wertmaß aller Dinge, erfasst. Dem wird sich die Fed wohl mit aller Macht entgegenstellen. Für die Lohnabhängigen in den USA und den Zentren des Weltsystems werde dieser Kampf der Geldpolitik ­gegen den drohenden Entwertungsschub »nicht ohne Turbulenzen« verlaufen, wie es die Financial Times vorsichtig formulierte.

Doch der Peripherie droht eine Katastrophe, wie sie sich so zuletzt Anfang der achtziger Jahren entfaltete, als die Teuerung so hoch war wie heutzutage und die US-Notenbank den Leitzins auf bis zu 22 Prozent anhob, um die mit­unter zweistellige Inflation zu bekämpfen. Das stürzte die USA in eine Rezession – doch die Peripherie in die große Schuldenkrise der »Dritten Welt«, die in vielen Weltregionen, etwa dem subsaharischen Afrika, zu einem ökono­mischen Zusammenbruch führte, von dem die Länder sich bis heute nicht ­erholt haben.