Italienische Rechte geben Linken eine Mitschuld für sexuelle Gewalt migrantischer Männer gegen Frauen

Übergriffe in Mailand

In der Silvesternacht haben Männergruppen in Mailand mehrere Frauen umzingelt und sexuell belästigt. Die italienische Rechte nutzt die Angriffe, um die Linke zu diffamieren.

Zum Jahresanfang vermeldeten die Nachrichtenagenturen zunächst eine ruhige Silvesternacht in Mailand und Umgebung. Wegen des allgemeinen Böllerverbots habe es so wenige Verletzte gegeben wie lange nicht. Vier Tage später wurde bekannt, dass mehrere Frauen gegen Mitternacht auf dem Mailänder Domplatz und den anliegenden Straßen von Gruppen junger, mutmaßlich aus Nordafrika stammender Männer umzingelt, ausgeraubt, zu Boden gestoßen, teilweise entkleidet und sexuell belästigt worden waren.

Handyvideos, die zunächst auf lokalen Social-Media-Kanälen veröffentlicht und später von zahlreichen nationalen Zeitungsportalen weiterverbreitet wurden, bezeugen in wackeligen, unscharfen Bildern eine angespannte, chaotische Situation. In einer Filmsequenz, die den Angriff auf eine 19jährige junge Frau festhält, ist ein dichtes Gedränge zu sehen, viele Männer stoßen und werden gestoßen. Man hört Schreie, dazwischen auch die Aufforderung, von dem »Mädchen« abzulassen. Im Hintergrund sind explodierende Feuerwerkskörper zu hören und das Geräusch zerbrochener Gasflaschen. Ein zweites Video zeigt deutlich eine Gruppe, die einen Kreis bildet. Die Aufnahme bricht ab, als die Gruppe eine Absperrung erreicht, an der mehrere Polizisten stehen, zu denen sich zwei ­bedrängte Frauen flüchten. Warum die ­Sicherheitskräfte an Ort und Stelle nicht auf die Männergruppen aufmerksam geworden sind und sie aufgelöst haben, ist bisher nicht geklärt.

Italiens rechte und rechtsextreme Parteien sehen die sexuelle Gewalt in einer »muslimischen Tradition«, wie sie sich häufig in ara­bischen Län­dern auf öffentlichen Plätzen zeige.

Neun Frauen erstatteten unmittelbar zu Beginn des Jahres Anzeige, zwei ­weitere sind am Wochenende dazugekommen. In den kommenden Tagen könnten es noch mehr werden. Be­troffen sind auch zwei deutsche Studentinnen aus Mannheim, die als Touristinnen in der Stadt waren. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung berichten sie, von mindestens 30 Männern eingekreist und begrapscht worden zu sein. Sie hätten Angst gehabt, vergewaltigt oder totgetrampelt zu werden.

Nach Auswertung des umfangreichen Videomaterials aus privaten und öffentlichen Kameras rund um den Mailänder Dom hat die Staatsanwaltschaft am Dienstag vergangener Woche 18 Hausdurchsuchungen bei Jugendlichen und jungen Männern vorgenommen. Drei der Tatverdächtigen sollen minderjährig sein, der Jüngste 15 Jahre alt. Gegen zwölf von ihnen wurde ein Ermittlungsverfahren wegen gemeinschaftlicher sexu­eller Nötigung, Raub und schwerer Körperverletzung eingeleitet. Die Behörden teilten mit, es seien sowohl italienische als auch ausländische Staatsangehörige darunter. In den Medien wurde hervorgehoben, dass acht der Männer aus Ägypten und Marokko kämen und die anderen »Italiener der zweiten Generation« seien, deren Eltern ebenfalls aus Nordafrika stammten.

Fast alle leben außerhalb Mailands, in Turin, Bergamo oder umliegenden ­Provinzstädtchen. Zwei Tatverdächtige wurden anhand ihrer auffälligen Kleidung und aufgrund von Zeugenaussagen als Hauptakteure des Übergriffs identifiziert und in Haft genommen. Zwischen den beiden Männern, einem 21jährigen aus Turin und einem 18jäh­rigen, der in der nördlichen Peripherie von Mailand lebt, scheint es zuvor ­keinen Kontakt gegeben zu haben. Die Staatsanwaltschaft geht bislang davon aus, dass sich in der Silvesternacht mehrere Gruppen spontan zusammengeschlossen haben. Die Ermittlungsrichterin bescheinigt beiden Festgenommenen eine »klare und bewusste Beteiligung« an mindestens zwei Übergriffen auf verschiedene Frauengruppen. Ermittler gaben in einer ersten Stellungnahme an, die Täter hätten eine »präzise Technik« gehabt.

Italiens rechte und rechtsextreme Parteien sehen die sexuelle Gewalt in einer »muslimischen Tradition« der kollektiven Belästigung von Frauen, wie sie sich häufig in arabischen Ländern auf öffentlichen Plätzen zeige und von »Horden« eingewanderter Muslime auch in der Kölner Silvesternacht 2015 /2016 praktiziert worden sei. Der Vergleich mit den sexuellen Über­griffen auf Hunderte von Frauen auf der Kölner Domplatte dient den Rechten zur Diffamierung des politischen Gegners.

Anders als die Region Lombardei, die seit knapp 30 Jahren von einem rechten Bündnis regiert wird, kommt in der Regionalhauptstadt Mailand der Bürgermeister aus den Reihen einer linksliberalen Koalition. Giuseppe Sala, in seiner ersten Amtszeit noch der Kandidat des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD), inzwischen Mitglied der Europäischen Grünen Partei, wurde erst im Oktober vergangenen Jahres mit deutlicher Mehrheit im Amt be­stätigt. Fünf Tage nach Bekanntwerden sprach er den Betroffenen seine Anteilnahme aus und kündigte an, die Stadt werde in den anstehenden Prozessen als Nebenklägerin auftreten. Außerdem erneuerte er sein Wahlversprechen, die kommunale Polizei mit 500 neuen Stellen auszustatten.

In den rechten Tageszeitungen Il Giornale und Libero, die beide ihren Redaktionssitz in Mailand haben, wurde Sala für die verspätete Stellungnahme kritisiert und der für öffentliche Sicherheit zuständige Stadtrat zum Rücktritt aufgefordert: Wie damals in Köln scheue »die Linke« davor zurück, die Gewaltexzesse als »multikulturelle Vergewaltigung« zu verurteilen. Die Silvesternacht in Mailand entlarve jedoch einmal mehr die »Scheinheiligkeit« des ganzen politisch korrekten Geredes von Inklusion und Gendergerechtigkeit.

Als Silvia Roggiani, die Vorsitzende des Mailänder PD, postete, der »patriarchalen Kultur« innerhalb der italienischen Gesellschaft müsse in der Schule stärker entgegengewirkt werden, griff Alessandro Morelli von der rechtsextremen Partei Lega sie dafür scharf an. Er war früher Direktor des von der rechtsextremen Partei Lega betriebenen Senders Radio Padania Libera und ist seit März 2021 stellvertretender Infrastrukturminister in der ita­lienischen Regierung. Auf seiner Facebook-Seite postete Morelli neben einem Foto der demokratischen Lokalpoliti­kerin, erst lasse die Linke unkontrollierte Einwanderung zu und dann schiebe sie die Schuld für kriminelles Verhalten auf die italienische Gesellschaft. Binnen Stunden füllte sich die Kommentarspalte mit Beschimpfungen, in denen italienische Rechtspopulisten Roggiani auch Vergewaltigung androhten – noch schlimmere Gewalt als die, die die Frauen auf dem Mailänder Domplatz in der Neujahrsnacht erlitten haben.