Small Talk mit Torsten Hahnel über die Schüsse aus einem Luftgewehr auf eine ­Moschee in Halle (Saale)

»Es gibt ein rassistisches Klima«

Am Sonntag wurde in Halle (Saale) mit einem Luftgewehr auf eine Moschee geschossen. Die Polizei vernahm einen Anwohner, in dessen Wohnung eine entsprechende Waffe gefunden wurde, nahm ihn aber nicht fest. Die »Jungle World« sprach mit Torsten Hahnel von der Arbeitsstelle Rechtsextremismus bei »Miteinander – Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt e. V.« über den Kontext der Tat.
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Schon 2018 wurde zweimal mit einem Luftgewehr auf die Moschee geschossen, die Täter blieben unbekannt. Was sagt das über das Klima in der Stadt aus, dass schon zum dritten Mal jemand die Moschee angreift?

Es gibt offensichtlich ein rassistisches Klima in der Stadt, das Menschen dazu ermuntert, auf eine islamische Einrichtung zu schießen. Es war zwar »nur« ein Luftgewehr, und insofern im Vergleich zum Attentat auf die Synagoge 2019, bei dem Menschen umgebracht wurden, eher eine symbolische Tat. Doch soll diese zeigen: Wir haben euch im Visier, wir können euch verletzen.

Die Moschee befindet sich in Halle-Neustadt. Was ist das für ein Viertel?

Es ist ein sehr großes typisches ostdeutsches Neubaugebiet, bis 1990 war es eine eigene Stadt. Früher lebten dort um die 100 000 Menschen, inzwischen deutlich weniger. In der Nachwendezeit war es stark rassistisch geprägt, mit vielen organisierten Nazi-Strukturen. Mittlerweile ist es migrantisch geprägt, besonders in der Gegend um das islamische Kulturcenter, in dem sich die Moschee befindet. Die meisten Leute leben dort, weil es bezahlbare Mieten gibt. Deshalb gibt es in Neustadt einen relativ hohen Anteil an Menschen, die Sozialhilfe beziehen.

Gibt es in Neustadt immer noch rechtsextreme Präsenz?

Die gibt es, wie es sie in sogenannten sozialen Brennpunkten eben gibt. Aber tatsächlich existieren in Halle inzwischen sehr wenige organisierte Nazi-Strukturen. Wir haben zwar ein riesiges Problem mit Alltagsrassismus, aber die Situation in Halle ist ambivalent. Es gibt eine relativ gut organisierte Zivilgesellschaft. »Halle gegen rechts« organisiert regelmäßig Gegenaktionen gegen Nazi-Aktivitäten. Es hat schon lange keinen klassischen Nazi-Aufmarsch in der Stadt mehr gegeben und die »Identitären« mussten ihr groß geplantes Hausprojekt nach nicht einmal drei Jahren aufgeben. Gleichzeitig finden jede Woche Kundgebungen und Demos unter anderem aus der »Querdenker«-Szene statt, an denen ganz selbstverständlich Nazis teilnehmen.

Werden diese Demonstrationen von Nazis dominiert oder treffen dort verschiedene Milieus aufeinander?

Eher Letzteres. Demos finden unter anderem immer montags statt, seit einigen Wochen nehmen regelmäßig etwa 2 000 Menschen daran teil. Hier in Halle sind die Demos immer angemeldet, es gibt eine Organisationsstruktur, die sich »Bewegung Halle« nennt. Vor anderthalb Jahren hat diese mit 30 Leuten angefangen zu demonstrieren. Dieser Organisationskern entspricht dem klassischen »Querdenker«-Milieu, es handelt sich um eher esoterisch geprägte Verschwörungsgläubige. Sie sind unter dem Label »extreme Rechte« oder »Nazis« nicht zu fassen.

Aber seit einigen Wochen laufen bei diesen Demos etwa 30 bis 40 Suff-Nazis und Hooligan-Typen mit, die bisher nicht organisiert waren. Sie bilden die Demospitze. Für sie ist das eine Aufwertung und ein Organisationsschub, den sie in Halle vorher nicht hatten. Und hinter ihnen laufen schließlich 1 000 bis 1 500 Leute, bei denen die Polizei bei der Anwendung von »Hufeisen«-Kategorien an Grenzen stößt. Die sind nicht links, aber auch nicht wirklich rechtsextrem, sie lassen sich nicht einsortieren. Der Begriff »verrohte Bürgerlichkeit« passt vielleicht am besten.