Immer mehr Impfgegner wollen sich mit Covid-19 infizieren

In Virengewittern

Was kümmert mich der Dax Von

Als unangefochtener Meister der »alternativen Fakten« kann wohl Donald Trump gelten, der es in seiner Amtszeit nach Zählung der Washington Post auf mehr als 30 000 falsche und irreführende Äußerungen brachte. Zudem zog sein gewaltiger Output an oftmals offenkundigen Lügen und Absurditäten einen Gewöhnungseffekt nach sich. Man vermag sich nicht einmal mehr über den blühendsten Unfug und Irrsinn zu wundern, denn sie sind Teil einer Normalität geworden, mit der man zurechtkommen muss. Wenigstens aber sollte man noch versuchen, den Unfug und Irrsinn zu analysieren, so unerfreulich das Ergebnis sein mag.

So verstärkt sich derzeit offenbar ein Trend, über den seit dem Herbst vergangenen Jahres vornehmlich aus Deutschland und Österreich berichtet wird: Impfgegner infizieren sich absichtlich mit Covid-19. Es werden unterschiedliche Motive genannt. Manche sagen, sie wollten die Harmlosigkeit der Krankheit beweisen, andere, dass sie den Genesenenstatus erstreben, um dem Impfen und den Tests zu entgehen.

Mag diese Gruppe noch relativ klein sein, so handelt es sich letztlich doch nur um die konsequenteste Form der pandemischutzfeindlichen Haltung, die ­einer ­Erklärung bedarf. Denn nach knapp zwei Jahren dürfte es kaum noch jemanden geben, der nicht zumindest im Bekannten- oder Kollegenkreis damit konfrontiert wurde, dass Covid-19 auch bei sogenannten ­milden Verläufen keineswegs harmlos ist.

Konsequente Realitätsleugnung? Ohne unethische (und zudem unzuverlässige) Methoden wie Zwangstests mit Lügendetektoren lässt sich nicht feststellen, was Coronaleugner wirklich glauben. Fest steht hingegen, dass man ihnen nicht glauben sollte, und man dürfte den tatsächlichen Motiven eher auf die Spur kommen, wenn man sich der 1914 von Thomas Mann bekundeten Begeisterung über »den Zusammenbruch einer Friedenswelt« erinnert, die er »so überaus satt hatte«: »Es war Reinigung, Befreiung, was wir empfanden.« Wenn schon kein Krieg mit Stahlgewittern, dann wenigstens eine Pandemie als Bewährungsprobe und Härtetest. Endlich ergibt sich eine Gelegenheit, die lästigen Fesseln der Zivilisation abzustreifen, für etwas Großes zu leiden und dabei der »natürlichen Auslese« nachzuhelfen. Man streitet wacker gegen eine imaginierte Diktatur, will sich aber auch selbst beweisen, dass man – je nach Milieu – Herrenmensch, spirituell starker Naturbursche oder belastbarer Leistungsträger ist. Sich gefährlichen Viren auszusetzen, ob durch demonstrative Sorglosigkeit oder gezielt, ist die neue Feuertaufe für die ex­treme Rechte. Sie erlaubt den Coronaleugnern eine Selbst­adelung, die die kollektive Heldenpose bestä­tigen soll.