Die regierenden Sozialisten haben die vorgezogenen Neuwahlen in Portugal gewonnen

Europas sozialistischer Westen

In Portugal haben die Sozialisten die Parlamentswahl deutlich gewonnen. Die rechtsextreme Partei »Chega!« war allerdings auch erfolgreich und kam auf den dritten Platz.
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Endlich nicht mehr in der Minderheit. Der Partido Socialista (PS) hat bei den vorgezogenen Parlamentswahlen in Portugal am vergangenen Sonntag deutlich Stimmen dazugewonnen, so dass die Regierung von Ministerprä­sident António Costa sich voraussichtlich auf eine stabile Mehrheit stützen kann. Zuvor war sie als Minderheitsregierung auf Unterstützung der Demokratischen Einheitskoalition (Coligação Democrática Unitária, CDU), einem Bündnis aus Kommunisten und Grünen, sowie des Linksblocks (Bloco de Esquerda, BE) angewiesen. Ende Oktober 2021 hatten diese sowie die Opposition den Haushaltsplan der Regierung für 2022 abgelehnt, woraufhin Portugals Präsident Marcelo Rebelo de Sousa Anfang November die Auflösung des Parlaments und in der Folge Neuwahlen ankündigte. Das Parlament wurde schließlich am 5. Dezember aufgelöst und die ­Neuwahl für den 30. Januar festgesetzt.

Zunächst hatte es allerdings so aus­gesehen, dass sich auch die Sozialdemokratische Partei (Partido Social Democrata, PSD), eine Mitte-rechts-Partei unter Rui Rio, dem ehemaligen Bürgermeister von Porto, Hoffnungen auf den Wahlsieg machen konnte. In Umfragen lagen PS und PSD zuletzt fast gleichauf, von einem Kopf-an-Kopf-Rennen war die Rede.

Zwei Legislaturperioden lang stand Costa einer Minderheitsregierung vor. Anfangs war diese noch spöt­tisch als »geringonça« bezeichnet worden, als etwas mehr schlecht als recht Zusammengeschustertes.

Doch die Umfragen irrten. Mit rund 41,7 Prozent der Stimmen (Stand vom 1. Februar nach Auszählung von über 99 Prozent der Stimmen) hat der PS den größten Erfolg seit der Parlamentswahl 2005 errungen; damals erhielt er 45 Prozent der Stimmen. 117 der insgesamt 230 Parlamentsmandate sind dem PS jetzt sicher. Costa, von 2007 bis 2015 Oberbürgermeister Lissabons und seit 2015 Ministerpräsident, kann nun voraussichtlich ohne die Unterstützung von CDU und BE regieren. BE und CDU haben Stimmen verloren und kamen auf 4,46 beziehungsweise 4,39 Prozent. Zwei Legislaturperioden lang stand Costa nur einer Minderheitsregierung vor. Anfangs war diese noch spöttisch als geringonça bezeichnet worden, als etwas mehr schlecht als recht Zusammengeschustertes, hatte jedoch offenbar ­sieben Jahr lang funktioniert. In den Jahren vor Costas Amtsantritt, von Mai 2011 bis Mai 2014, hatte das damals von der Eurokrise gebeutelte Portugal noch unter Aufsicht der sogenannten Troika aus aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds gestanden. Seither hat es sich wirtschaftlich erholt.

Der PSD kam auf den zweiten Platz mit lediglich 27,8 Prozent der Stimmen und 71 Mandaten. Rio ist der große Verlierer, noch in der Wahlnacht kündigte er an, die Partei möge über seine Zukunft als Vorsitzender entscheiden. Er wisse nicht, wie er seiner Partei noch dienlich sein könne, sagte er enttäuscht. Für die traditionsreiche rechtskonservative Volkspartei CDS-PP kam es noch herber: Sie verfehlte erstmals den Einzug ins Parlament; in Portugal gibt es zwar keine generelle Sperrklausel, aber in den Wahlbezirken unterschiedlich hohe Mindeststimmenanteile, die ein Partei für einen Sitz erringen muss.

Ihr deklariertes Wahlziel erreichte die rechtsextreme Partei Chega! (»Es reicht!«, CH). Ihr Wahlkampf war neben typisch »kulturkämpferischen« rechtsextremen Themen vor allem von Antiziganismus geprägt (Jungle World 3/2022). Die Partei von André Ventura holte 7,15 Prozent der Stimmen und ist fortan drittstärkste Kraft mit zwölf Mandaten. Ventura, der 2019 als erster und einziger Abgeordneter von CH ins Parlament einzog, beanspruchte damals für seine Partei umgehend die Rolle als »wahre Opposition gegen Costa« und kündigte an, von nun an werde im Parlament nichts mehr so wie früher sein. Seit der sogenannten Nelkenrevolution 1974, die die rechte Diktatur des »Estado Novo« beendete, hatte Portugal eigentlich als immun gegen den Rechtspopulismus gegolten.

Neben CH hat bei den Parlamentswahlen vom Sonntag auch die rechtsliberale Iniciativa Liberal (IL) dazugewonnen, sie erhielt knapp fünf Prozent der Stimmen und acht Mandate. Des Weiteren im Parlament vertreten sein werden die Umwelt- und Tierschutzpartei Pan (Pessoas, Animais, Natureza) sowie die linksgrüne Parte Livre mit je einem Sitz.

Offen war bis Redaktionsschluss, ob es der angolanisch-französischen Po­litikerin Ossanda Liber von der Mitte-rechts-Partei Aliança gelingt, mit ihrem auf Auslandsportugiesen in Europa ausgerichteten Wahlkampf ein erstes Mandat für ihre Partei zu erringen. Über drei Millionen Portugiesinnen und Portugiesen leben im EU-Ausland, das Gros davon in Frankreich. Vom Wahlrecht Gebrauch zu machen, wird ihnen nicht leicht gemacht, so sind etwa ein persönlicher Antrag in der Botschaft oder den Konsulaten nötig; auch die Stimme muss dort abgegeben werden. Die Wahlbeteiligung dieses Personenkreises liegt daher meist nur um etwa drei Prozent. In Madrid etwa haben am Sonntag nur 14 portugiesische Wahlberechtigte ihre Stimme in der Botschaft abgegeben, wie der Jungle World auf Anfrage mitgeteilt wurde.

Zweifelsohne ging Costas Triumph zu Lasten der Parteien links des PS, seine einstigen »Königsmacher«, die er in den Fernsehdebatten beschuldigt hatte, mit ihrer Ablehnung des Haushaltsplans eine »unnötige politische Krise« ausgelöst zu haben. Die CDU erhielt sechs Sitze, der BE fünf. Bei den Wahlen 2019 hatte der BE noch 19 Sitze erhalten. Seinen einstigen Partnern, aber auch anderen Parteien signalisierte Costa dennoch Interesse an Zusammenarbeit im Rahmen einer »Regierung des Dialogs«. »Eine absolute Mehrheit bedeutet nicht absolute Macht; es heißt nicht, alleine zu regieren«, sagte er. Sollte er bis zum Ende der Legislaturperiode im Amt bleiben, wäre Costa der am längsten amtierende Minis­terpräsident seit der Rückkehr zur Demokratie.

Die Wahlbeteiligung war trotz Covid-19-Pandemie mit knapp 58 Prozent rund fünf Prozentpunkte höher als 2019 und höher als bei allen vier Parlamentswahlen in den vergangenen 13 Jahren. Über 1,2 Millionen Portugiesinnen und Portugiesen waren am Vortag der Wahlen in häuslicher Quarantäne, bei derzeit über 40 000 gemeldeten Covid-19-Neuinfektionen täglich. Ihnen wurde, neben der Briefwahl, auch ein einstündiger Zeitkorridor in den Wahllokalen, von 18 bis 19 Uhr, ­eingeräumt. Zur Mobilisierung der Wahlberechtigten hat sicherlich beigetragen, dass Costa gekonnt Wahlkampf gegen eine drohende Rechtsentwicklung und das Erstarken der rechtsextremen CH gemacht hat.