Nazis setzten sich in der Schweiz bei Demonstration gegen Corona­maßnahmen an die Spitze

Nazis gegen Coronamaßnahmen

Organisierte Rechtsextreme stellen sich in der Schweiz an die Spitze von Demonstrationen gegen Infektionsschutzmaßnahmen. Vorne mit dabei ist die Neonazi-Gruppierung »Junge Tat«.

Was sich in Deutschland »Querdenken«-Bewegung nennt, gibt es so ähnlich auch in der Schweiz. Fast jedes Wochenende treffen sich mehrere Hundert, manchmal wenige Tausend Teilnehmer in verschiedenen Städten, um gegen die geltenden Infektionsschutzmaßnahmen zu protestieren. Die Demons­trationen sind meist zuvor nicht bewilligt – in der Schweiz muss bei Demonstrationen eine Bewilligung ersucht werden –, vereinzelt kommt es zu Ausschreitungen.

Eine Demonstration am 22. Januar in Bern mit 2 000 Teilnehmenden war jedoch anders. Sie wurde von bekannten Neonazis angeführt, die rot-weiße Transparente mit der Aufschrift »Jetzt ist Schluss« und »Rote Linie« trugen. In Deutschland und Österreich werden viele der Coronaproteste schon seit längerer Zeit von Rechtsextremen angeführt, doch in der Schweiz war das bisher nicht der Fall. Zwar liefen auch in der Vergangenheit bekannte Rechtsextreme bei den Demonstrationen mit, sie bildeten aber nicht die Spitze der Aufmärsche.

Am selben Tag nahmen an Demonstrationen in Österreich und Deutschland Rechtsextreme mit identisch gestalteten Transparenten teil.

Lediglich in Schaffhausen war eine Woche zuvor, am 15. Januar, eine Demonstration mit rund 200 Teilnehmern durch rechtsextreme Gruppierungen angeführt worden. Auch dort wurde das Transparent mit der Aufschrift »Rote Linie« getragen. Eine Medienmitteilung der Schaffhauser Polizei bestätigte, dass auch Personen anwesend waren, »die der rechten Gesinnung zuzuordnen sind«.

In Bern war es vor allem die Gruppierung »Junge Tat«, die sich an die Spitze des Demonstrationszugs drängte. Medienberichten zufolge handelte es sich an jenem Tag nur um knapp 20 Leute. In einem Propagandavideo, das auf der Demonstration entstand, zeigen sich schwarz vermummte junge Männer. »Wir sind die Junge Tat, eine junge patriotische Gruppierung, die genauso wie alle anderen gegen Impfzwang und ungerechtfertigte Maßnahmen vom Bund einsteht«, erzählten Mitglieder der Gruppierung nach der Demonstration bereitwillig im Livestream der bekannten Maßnahmengegnerin Sabine Seibold.

Auf ihrem Twitter-Account inszeniert sich die Junge Tat als Gruppe tapferer, kampfbereiter Jungen. »Gemeinschaft ist das Fundament, Sport die Voraussetzung, Bildung und Verstand unsere Kraft, die Tat unser Schwert«, heißt es in der Selbstbeschreibung des Accounts. »Lieber Heimatschutz als Mundschutz«, steht auf Flyern der Gruppe. Ihr Logo enthält die in Deutschland als verfassungsfeindliches Symbol eingestufte Tyr-Rune, die die Nationalso­zialisten als Abzeichen verwendeten.

Ähnlich wie die Identitäre Bewegung versucht die Junge Tat sich im Auftreten von altmodischen Neonazis abzusetzen – sie bezeichnen sich als »Patrioten« und in ihren Propagandavideos blättern sie auch schon mal in Büchern. Es sollen auch Verbindungen zur Identitären Bewegung in Österreich und Belgien bestehen, wie das Magazin Republik mit Berufung auf Antifa-Recherchen berichtete. Der Republik wies zudem darauf hin, dass an demselben Tag, an dem die Junge Tat in Bern den Protestzug anführte, an entsprechenden Demons­trationen in Österreich und Deutschland ebenfalls Rechtsextreme mit identisch gestalteten rot-weißen Transparenten teilgenommen hatten.

Die Junge Tat ist auch mit Neonazis aus Deutschland vernetzt, wie etwa der »Jungen Revolution«. Dabei handelt es sich um einen Youtube-Kanal, der vor allem Interviews mit Nazi-Szenegrößen zeigt. Dahinter steht wohl der Versuch, Jugendliche für Neonazi-Organisationen wie etwa die NPD zu rekrutieren. Belltower News zufolge wird das Merchandise der Jungen Tat vom deutschen Versandhandel »Versand der deutschen Jugend« vertrieben, der auch Produkte der Jungen Revolution verkaufe und seinen Sitz in Thüringen habe.

Der Republik zufolge führen drei Personen die Junge Tat an: Manuel C., ein ehemaliger Kunststudent aus Winterthur, Tobias L. aus Luzern und ein Mann, der sich »Moritz« nennt. Manuel C. und Tobias L. wurden bereits wegen in der Schweiz so genannter Rassendiskriminierung verurteilt, nachdem sie am 17. Januar 2021 ­einen Online-Vortrag der Jüdischen Liberalen Gemeinde in Zürich mit Bildern von Adolf Hitler, Hakenkreuzen und Pornographie gestört hatten. Bei einer Hausdurchsuchung durch die Polizei sollen dem Tagesanzeiger zufolge auch Schusswaffen gefunden worden sein.

Die Junge Tat steht dem harten Kern der rechtsextremen Szene der Schweiz nahe. In ihrem Block auf der Demons­tration in Bern lief auch Manuel B. mit, ein Mitglied des in Deutschland verbotenen internationalen Neonazi-Netzwerks »Blood & Honour«. Nur einen Tag zuvor war er Recherche Nord zufolge bei der Beerdigung des Dortmunder Hooligans Siegfried Borchardt, genannt SS-Siggi, noch in Deutschland gewesen. Auch Alessandro B. war in Bern dabei: Er war früher Mitglied der Hammerskins, einer internationalen neonazistischen Gruppierung, die in den USA 1988 gegründet wurde und seit den neunziger Jahren auch in der Schweiz Anhänger hat.

Dass sich nun auch in der Schweiz Neonazis an die Spitze der Coronaproteste stellen, überrascht nicht. Die Anknüpfungspunkte sind nicht nur ideologisch – auf den Demonstrationen werden antisemitische Botschaften und Verschwörungstheorien verbreitet und der Holocaust verharmlost –, sondern auch personell: Bekannte rechtsextreme Schweizer sind schon lange in der Impfgegner-Szene aktiv. Ganz vorne mit dabei ist der rechtsextreme Schweizer Politiker Ignaz Bearth, dessen Videos und Livestreams von Coronademonstrationen bei Schweizer Maßnahmengegnern und deutschen »Querdenkern« beliebt sind. Bearth nahm zusammen mit »Shipi«, einem bekannten Impfskeptiker und Mitglied der sogenannten Freiheitstrychler, an der Coronaleugnerdemonstration am 24. Januar in Brüssel teil, die in heftigen Krawallen endete.

Eine wichtige Rolle spielt außerdem Sandra P., die mit dem bekannten deutschen Neonazi Jarno E. verheiratet ist. Sie ist eine Koordinatorin der »WG«, auch »Männer-WG« und »Swiss Men’s Club of Freedom« genannt, die sich 2021 formierte. Die Männer (und wenigen Frauen) stellen auf entsprechenden Demonstrationen einen Sicherheitsdienst, um die Teilnehmenden »vor der Polizei, Journalisten und Gegendemonstranten zu schützen«, wie die Gruppe auf Telegram schreibt.

Das Auftreten der Jungen Tat in Bern wurde von anderen Demonstrierenden kaum kritisiert. »Die waren friedlich und haben keinem etwas getan. Und solange das so ist, dürfen die ihre Meinung kundtun«, schrieb eine Frau später auf Telegram. Andere sehen jedoch eine Verschwörung der Massenmedien und halten die vermummten Männer für gekaufte »Antifanten«.

Für Februar sind Demonstrationen in verschiedenen Schweizer Städten angekündigt. Ob sich die Rechtsextremen wieder an die Spitze stellen werden, ist offen.