»Paradies« von Gewalt

Paradiesisch wütend

Platte Buch Von

»Wir brauchen aber die Bücher, die auf uns wirken wie ein Unglück, (…) ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns«, schrieb Kafka in einem seiner Briefe. Zwar kein solches Buch, aber Musik mit ähnlicher Wirkung hat die Berliner Band Gewalt, bestehend aus Patrick Wagner, Jasmin Rilke und Helen Henfling, für ihr Debütalbum »Paradies« geschrieben. Die Beats peitschen krachend nach vorne. Wagner singt vom Ficken, von Unterwerfung, Gier und Ich-Verlust. Das Anrüchige dieser Themen steht in krassem ­Widerspruch zum Titel des Albums. Was soll das für ein »Paradies« sein, in dem es heißt: »Was uns verbindet, ist unsere Gier«? Paradiesisch geht es hier kaum zu. Das von Gewalt vorgestellte Paradies kann vor allem eines: »Es funktioniert«, wie der zweite Song des Albums verrät.

Punk-, Wave- und Noiserock-Fans mag der umtriebige Sänger und Gitarrist Patrick Wagner wegen des von ihm mitgegründeten Labels Kitty-Yo und seiner ehemaligen Band Surrogat ein Begriff sein. Mit Gewalt hat er unüberhörbar einen anderen Weg eingeschlagen. Das Album ist satt produziert, jeder Gitarren- und Drum-Einsatz ist on point. Klare Techno-Sounds im Stil eines Sam Paganini flankieren stampfige Wave-Beats. Dazu gibt es Post-Punk-Riffs, existentielle Parolen und eine zuverlässige Portion Krach. Das hat manchmal was von Front 242, manchmal was von Rammstein und manchmal was von zeitgenössischem Post-Punk, aber immer was von Patrick Wagner. Mit »Wagner liest Wagner« hat er dem Album sogar einen Episodenfilm beigelegt, in dem er zu jedem Song eine kleine selbstgeschriebene Geschichte vorliest – an Orten, die zum Vorlesen einer Geschichte so gar nicht geeignet sind.

Alles in allem kämpft »Paradies« kraftvoll gegen die Alltäglichkeit an, der sich Wagner auch mit 51 Jahren nicht beugen möchte. Gewalt selbst bezeichnen ihren Sound als »German Wutwave«. Besser kann man es nicht treffen.

Gewalt: Paradies (Clouds Hill)