Amnesty International wirft Israel in einem Bericht Apartheid vor

BDS lässt grüßen

Amnesty International bezeichnet in seinem jüngsten Report Israel als »Apartheidregime« und spricht von »Verbrechen gegen die Mensch­heit«. Nicht nur die Wortwahl irritiert dabei.

Alles, was den israelbezogenen Antisemitismus ausmacht, wurde am 1. Fe­bruar im Konferenzraum des St. George-Hotels im Ostjerusalemer Stadtteil Bab A-Zahara aufgefahren. Dort stellte Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International (AI), den 280 Seiten langen Bericht »Israels Apartheid gegen die Palästinenser: Grausames Herrschaftssystem und Verbrechen gegen die Menschheit« vor, der sich wie eine einzige Anklageschrift liest. So heißt es darin unter anderem, Israel habe ein »institutionalisiertes Regime systematischer Unterdrückung und Beherrschung« aufgebaut, »diskriminierende Gesetze« erlassen und betreibe eine Politik der »Segregation, Enteignung und Ausgrenzung«. Kurzum, zwischen Mittelmeer und Jordan sei längst ein System der »Apartheid« geschaffen worden.

Zugleich beinhaltet der Bericht Forderungen nach dem Ende jeglicher Lieferungen von Rüstungsgütern an Israel sowie den Appell an die »internationale Gemeinschaft«, politischen Druck aufzubauen, damit die israelischen Behörden den in dem Bericht ausgesprochenen Handlungsempfehlungen folgen. »Der UN-Sicherheitsrat sollte außerdem gezielte Sanktionen wie das Einfrieren von Vermögenswerten gegen die am tiefsten in das Verbrechen der Apartheid verwickelten israelischen Regierungsvertreterinnen und -vertreter verhängen.« Bei den Anhängerinnen und Anhängern der antisemitischen BDS-Bewegung dürfte bei solchen Aussagen, formuliert von einer der weltweit renommiertesten Menschenrechtsorganisationen, gewiss große Freude geherrscht haben.

Israels Außenminister Yair Lapid bezeichnete den Bericht als »falsch, einseitig und antisemitisch« und warf dessen Autorinnen und Autoren vor, die »Lügen von Terror­organisationen weiterzuverbreiten«.

Die israelische Regierung reagierte auf den Bericht mit Entsetzen und kritisierte ihn scharf. In einer ersten Stellungnahme – übrigens einige Stunden vor dessen Veröffentlichung durch AI – bezeichnete Außenminister Yair Lapid den Bericht als »falsch, einseitig und antisemitisch« und warf dessen Autorinnen und Autoren vor, die »Lügen von Terrororganisationen weiterzuverbreiten«. Israel sei gewiss alles andere als perfekt, so Lapid, aber eine Demokratie, die sich dem internationalen Recht verpflichtet fühle und in der Pressefreiheit herrsche. Der Minister für regionale Entwicklung, Issawi Frej, von der linkszionistischen Partei Meretz, selbst Araber, erklärte: »Israel hat zweifelsohne viele Probleme, die gelöst werden müssen, und zwar innerhalb der Grünen Linie und sicherlich in den besetzten Gebieten. Aber Israel ist kein Apartheidstaat.«

Während die israelische NGO B’Tselem den neuen Bericht ordentlich abfeierte, weil »darin die israelische Herrschaft als das bezeichnet wird, was sie ist, nämlich Apartheid«, gibt sich Amnesty International Israel etwas bedeckter, hat aber mit dem Apartheidsvorwurf offenbar keine Probleme. Auf Twitter fordert man mehr Diskussionen dazu und hofft, dass der Bericht anderen Regierungen helfen werde, die Art und Weise der Unterdrückung, die in den besetzten Gebieten herrsche und sich nicht allein mit dem Begriff »Besatzung« erklären ließe, zu verstehen.

In nahezu der gesamten jüdischen Welt zeigte man sich irritiert von den Aussagen von Amnesty International. Ronald Lauder, der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, sprach von einer »Dämonisierung des Staates Israel«. Die Anti-Defamation League (ADL) benutzte ähnliche Worte und nannte das Ganze einen Versuch, Israels »Legitimität als jüdischer und demokratischer Staat zu untergraben«. Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, bezeichnete den Bericht als »fahrlässig, weil er den ohnehin verbreiteten israelbezogenen ­Antisemitismus in Europa weiter schüren wird«.

Amnesty Internationals Generalsekretärin sieht das alles ganz anders. So habe man Antisemitismus stets verurteilt und sich zum Selbstbestimmungsrecht des jüdischen Volks bekannt, ­betonte Callamard. Doch zu dem Apartheidsvorwurf würde man auf jeden Fall stehen. Schließlich sei dieser das Ergebnis von vier Jahren »gründlicher Recherche«. Man hätte eigens dafür »die besten Rechtswissenschaftler im Bereich Apartheid« zu Rate gezogen. Israel sei nun nach Myanmar das zweite Land, bei dem der Apartheidsbegriff zur Anwendung komme. Sie habe in ihren über 20 Jahren bei Amnesty ja schon eine Menge gesehen und erlebt, merkte Callamard ferner an, aber was in Israel und den Palästinensergebieten geschehe, habe sie »von Grund auf erschüttert«. Ursache dafür seien we­niger singuläre Gewaltakte, vielmehr sei es die »Grausamkeit des Systems«, das Palästinensern auf allen Ebenen das Leben zur Hölle mache, wobei Callamard exemplarisch Enteignungen von Grund und Boden sowie die Konflikte in der Wüste Negev in den vergangenen Jahren nannte. Dort wehren sich die Beduinen gegen Aufforstungsprogramme der israelischen Regierung, mit denen diese auf die Aridisierung des Landes reagiert, die auch mit der Erderwärmung ein­hergeht.

Ein genauerer Blick in den Bericht relativiert die Aussagen der Generalsekretärin. Bereits die Selbstbezeichnung »jüdischer Staat« wird von den Autorinnen und Autoren als Problem genannt, weil Teile der Bevölkerung so ausgeschlossen würden. Ähnliche Einschätzungen zu Ländern, die ein »islamisch« im Namen tragen, wird man bei AI allerdings vergeblich suchen. In der ersten Version des Berichts, die ­vorab an die Presse verteilt wurde, hieß es, dass »ein System der Apartheid mit der Gründung Israels im Mai 1948 entstanden ist und über Jahrzehnte hinweg ausgebaut und aufrechterhalten wurde«. Auf die sofortige Kritik mehrerer Zeitungen, dass Amnesty International offenbar ein Problem mit der Gründung und Existenz Israels habe, wurde der Text revidiert. Nun heißt es: »Israel hat ein institutionalisiertes ­Regime der Unterdrückung und Beherrschung der palästinensischen Bevölkerung zum Vorteil der jüdischen Israelis errichtet und aufrechterhalten – ein System der Apartheid – wo immer es seit 1948 die Kontrolle über das Leben der Palästinenser ausgeübt hat.«

Es sind immer wieder Wortwahl und bestimmte Formulierungen, die in dem Bericht auffallen. So wird das arabische »Naqab« für den Negev parallel zur hebräischen Bezeichnung verwendet – auch das lässt sich als Versuch deuten, Israel als jüdischen Staat in Frage zu stellen. Denn diese Schreibweise findet sich vor allem bei BDS oder auch in ­explizit antizionistischen Publikationen von anderer Seite. Auf einen weiteren entscheidenden Punkt weist David Horovitz in der Times of Israel hin: »Es ist die Zerstörung Israels, die Amnesty International offenkundig anstrebt und unterstützt – indem die Organisation ein ›Rückkehrrecht‹ für womöglich Millionen Palästinenser nach Israel fordert, anstatt deren Aufnahme in ihren eigenen zukünftigen Staat, sobald sie sich mit unserem abgefunden haben.«

Der Eindruck, dass Amnesty International Forderungen von BDS unterstützt, verstärkte sich ebenfalls, als Philip Luther, Forschungsleiter für den Nahen Osten und Nordafrika bei AI, am Rande der Präsentation des Berichts einem Journalisten der Times of Israel erklärte, man habe Israel deshalb auf Kriterien untersucht, die für eine Identifizierung als »Apartheid­regime« ausschlaggebend seien, weil »es eine intensive Debatte zu diesem Thema gibt«. In dem Bericht beteuert Amnesty International übrigens, dass man nicht behaupte, dass die repressive Politik in Israel und den besetzten Gebieten »mit dem System der Segregation, Unterdrückung und Herrschaft, wie es in Südafrika zwischen 1948 und 1994 herrschte, identisch oder gleichzusetzen ist«. Warum dann aber überhaupt von Apartheid sprechen?