Small Talk mit Anna Staroselski über die Apartheid-Vorwürfe von Amnesty International gegen Israel

»Verzerrte Darstellungen«

Ein Bericht mit dem Titel »Israel’s Apartheid Against Palestinians – Cruel System of Domination and Crime Against Humanity« von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) ist Gegenstand heftiger Kontroversen. Die »Jungle World« sprach mit Anna Staroselski, der Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschlands (JSUD), über den Bericht und seine Auswirkungen.
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Warum haben Sie am Dienstag voriger Woche vor der Zentrale von Amnesty Deutschland in Berlin-Mitte demonstriert?

Die britische Sektion von AI hat an diesem Tag ihren antisemitischen Bericht herausgegeben, in dem ­Israel dämonisiert und als illegitimer Apartheidstaat schon seit seiner Staatsgründung geschmäht wird. Dass eine Menschenrechtsorganisation mit ihrer Arbeit dem Antisemitismus Nahrung gibt und ihn ­legitimiert, ist unverantwortlich. Wir haben vor der AI-Zentrale in Berlin demonstriert, um eine Distanzierung seitens der deutschen Sektion zu erwirken.

Der Sprecher des israelischen Außenministeriums, Lior Haiat, kritisierte den Bericht und wirft AI »einseitige Darstellungen« und sachliche Fehler vor. Teilen Sie diese Analyse?

Absolut! Der Bericht liefert in vielerlei Hinsicht verzerrte Darstellungen und stellt falsche Behauptungen auf, beispielsweise bei der Beschreibung der Entstehungsgeschichte des Staats Israel. Zudem wird das schreckliche Apartheidregime in Südafrika verharmlost und der Begriff zweckentfremdet. Israel, der einzigen Demokratie im Nahen Osten, wirft die britische Sektion von AI »ethnische Säuberung« im Zuge der Staatsgründung 1948 vor, während sie die terroristischen Aktivitäten der Hamas ignoriert.

Welche Aspekte in dem 280seitigen Bericht sind aus Ihrer Sicht besonders kritikwürdig?

Der Bericht verzerrt insgesamt die Realität. Allein der Blick auf die aktuelle israelische Regierung, in der sich die Gesamtbreite der Diversität der israelischen Bevölkerung wiederfinden lässt, verdeutlicht, dass dem Vorwurf der Apartheid jede Grundlage fehlt. Araber, Drusen, jüdische Israelis und queere Menschen wurden in freien und demokratischen Wahlen gewählt und haben sich auf eine Koalition geeinigt. Der Bericht versucht zudem, den israelisch-palästinensischen Konflikt von einem politischen in einen ethnischen umzudeuten. Etwa 20 Prozent der Israelis sind arabischer Herkunft, sie haben die gleiche Staatsbürgerschaft und gleiche Rechte wie jüdische Israelis. In keinem anderen Land in der Region können Menschen ihren Glauben, ihre sexuelle oder politische Orientierung so frei ausleben wie in Israel. In Israel gibt es keine Segregation, weder in den Universitäten noch im öffentlichen Nahverkehr oder Krankenhäusern. Kürzlich wurde Osila Abu Assad als erste arabische Richterin an einem Bezirksgericht ­ernannt und selbst am Obersten Gerichtshof sind arabische Juristen vertreten.

Handelt es sich bei dem Bericht von AI um einen Einzelfall oder sehen Sie eine verzerrte Darstellung Israels auch bei anderen Menschenrechtsorganisationen?

Ich nehme den Versuch wahr, eine pseudoakademische Legitimierung des israelbezogenen Antisemi­tismus im internationalen Diskurs zu forcieren, an dem sich zunehmend auch Menschenrechtsorga­nisationen beteiligen. Dass israelbezogener Antisemitismus zur realen Bedrohung für Jüdinnen und ­Juden werden kann, haben wir spätestens im Mai und Juni vergangenen Jahres auf deutschen Straßen erlebt.