Die Historie der Helme beim American Football

Loch in der Schläfe

1940 siegten die Chicago Bears im einseitigsten Finale in der Geschichte der US-amerikanischen National Football League über die Washington Redskins. Damals spielte auch Herbert Gustave »Dick« Plasman mit, der als der letzte Helmverweigerer im American Football gilt.

Das NFL-Championship-Spiel von 1940 schrieb Geschichte, und das gleich aus mehreren Gründen. Die Chicago Bears dominierten das Match von Anfang an. Die T-Formation war die Offensivtaktik der Zeit, bei der drei Running Backs fünf Yard hinter dem Quarterback positioniert waren; aus Sicht der Zuschauer sieht diese Aufstellung wie der Buchstabe T aus. Wide Receiver hießen damals noch »Ends«. Dass sich Ends auch in einem Abstand von der Offensive Line aufstellten, war ganz neu, bezeichnet wurde das als Split End. Trotz dieser grundsätzlichen taktischen Defensivneuerung schafften es die Chicago Bears, gegen die Washington Redskins 73 Punkte zu erzielen.

Die beste Chance für die Redskins hatte der Wide Receiver Charlie ­Malone, der einen sicher geglaubten Touchdown in der Endzone fallen ließ. Der folgende Versuch eines Field Goal misslang ebenfalls.

»Er fing den Ball nicht, weil er nicht nur in die Endzone lief, sondern gleichzeitig auch gegen eine Mauer.« Die Zeitung »Southeast Missourian« über die Verletzung von Herbert Gustave »Dick« Plasman

Nach dem verlorenen Finale fragte ein Reporter den Quarterback der Redskins, Sammy Baugh, ob das Spiel eine andere Richtung genommen hätte, wenn Charlie Malone der Touchdown gelungen wäre. Baugh antwortete: »Ja. Der Endstand hätte dann 73:7 betragen.« So blieb es beim 73:0, und das ist noch immer der deutlichste Sieg in der NFL-Geschichte.

Das Spiel der Bears gegen die Red­skins ging aber nicht nur wegen des Ergebnisses in die Geschichte des American Football ein. Es war auch das letzte Endspiel, in dem ein Football-Spieler ohne Helm antrat. Der Chicagoer Running Back Herbert Gustave »Dick« Plasman, damals 26 Jahre alt, galt seinerzeit als eines der »monsters of the midfield«.

In einem Artikel über Plasman anlässlich seines 60. Geburtstags im Oktober 1974 schilderte ein Reporter in der Zeitung Southeast Missourian, dass der Jubilar aus den Zeiten, in denen sein Kopf durch »nichts als seinen dicken blonden Haarschopf« geschützt wurde, eine immer noch sicht- und ertastbare Verletzung zurückbehalten habe.

Die Verletzung hatte er sich 1938 auf dem Wrigley Field, der Heimspielstätte der Chicago Bears, zugezogen. Plasman rannte mit ausgestreckten Armen in die Endzone, um den Ball zu fangen. Aus dem sicheren Touchdown wurde aber nichts, wie die Zeitung schrieb: »Er fing den Ball nicht, weil er nicht nur in die Endzone lief, sondern gleich­zeitig auch gegen eine Mauer.«

Einige Tage später wachte Plasman, den Kopf dick bandagiert, in einem Krankenhaus aus dem Koma auf. Er hatte Glück im Unglück: Er und eine der ihn damals betreuenden Krankenschwestern verliebten sich ineinander, die beiden heirateten.

Helme waren schon, als Plasman gegen die Mauer rannte, keine Neuigkeit. Den ersten Football-Helm hatte im Jahr 1869 George »Rose« Barclay getragen, der als Halfback am Lafayette College spielte. Dieser Helm hatte jedoch nicht den Schädel geschützt, er bestand aus Riemen um den Kopf, an denen Ohrschützer befestigt waren. Einen richtiggehenden Kopfschutz trug mutmaßlich zum ersten Mal Joseph M. Reeves, ein Midshipman der U.S. Naval Academy 1893 in einem der traditionellen American-Football-Spiele zwischen Army und Navy. Ärzte hatten Reeves gesagt, er müsse mit dem Football aufhören, weil er bei einem weiteren Tritt gegen den Kopf vermutlich sterben würde. Stattdessen beauftragte er einen Schuhmacher, eine Kappe aus Maulwurfsleder zu fertigen. Reeves überlebte und machte Karriere, im Ersten Weltkrieg kommandierte er das Schlachtschiff USS Maine, im Zweiten Weltkrieg war er Teil des Stabs des Secretary of the Navy. Er gilt heutzutage als Pionier der flugzeugträgerbasierten militärischen Luftfahrt.

Durchgesetzt hat sich das Konzept des Kopfschutzes damals jedoch nicht, denn während Polster, Schützer und Schoner für Spieler und Coaches schon am Ende des 19. Jahrhunderts als unverzichtbar galten, wurde dem Schädel, obwohl man sich durchaus Sorgen um diesen machte, weniger Schutz zuteil: Es war üblich, dass die Spieler ihre Haare möglichst lang wachsen ließen, um wenigstens für ein bisschen Polsterung und damit Schutz zu sorgen. Auf die Idee, den Schädel nicht nur mit einer Lederkappe zu schützen, sondern diese zusätzlich mit ein wenig Schaumstoff zu polstern, kam man erst 1917.

Die Verpflichtung, Helme zu tragen, gab es im College-Football erst ab 1939 und in der NFL sogar erst ab 1943. 1955 kamen single face bars dazu, eine Stange vor dem Kinn, um das Gesicht zu schützen. Die Rede vom Football ohne Helm ging in die Alltagssprache ein, was bis in die Politik wirkte: In den sechziger Jahren sagte der damalige Präsident Lyndon B. Johnson über den damaligen Kongressabgeordneten Gerald Ford verächtlich: »Er hat ein Spiel zu viel ohne Helm absolviert.«

Warum aber trug Plasman keinen Helm? Der Running Back hasste Kopfbedeckungen. In einem Interview schilderte er zwei Jahrzehnte später, die gängigen Helme seien ihm schlichtweg zu unbequem gewesen. Sie bestanden aus Leder und neigten dazu, zu verrutschen und im schlimmsten Fall, so Plasman, plötzlich die Augen zu bedecken. Das hätte auf dem Wrigley Field womöglich ebenfalls dazu führen können, dass er mit der Mauer kollidiert wäre.

Plasmans Verachtung für Kopf­bedeckungen aller Art blieb auch ­bestehen, als er 1942 zur U.S. Army eingezogen wurde, in der er bis 1946 diente. Einmal habe ihm in dieser Zeit sogar ein Disziplinarver­fahren gedroht, weil er seinen Helm nicht aufgesetzt hatte, erinnerte er sich später. Von 1946 bis 1948 spielte Plasman für die Chicago Cardinals. Damals galt Helmpflicht, aber er erwirkte eine Ausnahmegenehmigung. Und als Assistant Coach bei den Green Bay Packers und den Pittsburgh Steelers war er regelmäßig der einzige Offizielle an der ­Seitenlinie, der keinen Hut trug.

Bleibende Schäden habe er aus ­seiner Profizeit nicht davongetragen, sagte Plasman 1974 der Zeitung ­Southeast Missourian – um gleich einzuschränken: Lediglich auf der rechten Seite schlafen könne er aufgrund einer damaligen Verletzung nicht mehr. Hüftschutz zu tragen, habe er eben auch immer abgelehnt, lediglich Schulterpolster habe er ­getragen. Und da war selbstverständlich noch das Loch in seinem Kopf, das bis zu seinem Lebensende 1981 ertastbar blieb.

Kein Gegenspieler habe jemals versucht, ihn an dieser Stelle – der Fläche um seine linke Schläfe herum – vorsätzlich erneut zu treffen, betonte er. Bis auf einen, dessen ­Namen er nicht nennen wollte und der Defensive Tackle beim Gegner der Bears im Finale von 1940 war. »Er versuchte dauernd, mich mit dem Ellenbogen zu treffen.« Und machte immer weiter, obwohl ­Plasman ihm sagte, er solle damit aufhören. »Eines Tages, als er am ­Boden lag, habe ich dann in einen sehr verletzlichen Teil von ihm ­getreten«, erzählte Plasman. Danach habe der Spieler nie wieder versucht, ihn mit dem Ellenbogen zu verletzen. »Ich war im Recht«, fand Plasman noch Jahrzehnte später, »nach zwei Jahren hatte ich es einfach satt.«

Nach seiner Zeit im Football arbeitete er als Vertreter für optische Geräte. Und antwortete 1974 auf die Frage, ob er denn einen Schutz tragen würde, wenn er jetzt ein junger Spieler wäre, mit ja und fügte hinzu: »Ohrenschützer«.

Das letzte Mal, dass ein Spieler in der NFL ohne Helm, aber mit dem Ball in den Händen und von den Gegenspielern verfolgt, über das Feld lief, war am 4. November 2007. Kurz nachdem Jason Witten den Ball gefangen hatte, verlor er seinen Helm bei einer Kollision. Er trug den Ball noch 35 Yard, bevor er an der Fünf-Yard-Linie getacklet wurde. Dies führte zur Einführung der sogenannten Witten Rule, der zufolge ein Spielzug in dem Moment vorbei ist, in dem der ballführende Spieler ­seinen Kopfschutz verliert. Manchmal dauert es eben, bis sich Vernunft durchsetzt.