Die Europäische Kommission will die Produktion von Mikrochips in der EU fördern

Mehr Chips für den Standort

Die Europäische Union will unabhängig von Mikrochiplieferungen aus Asien werden und den Markt selbst dominieren. Doch die chinesischen Produktionskapazitäten wachsen weiter.

Die Autohersteller hatten Alarm geschlagen. Bereits Anfang des vergangenen Jahres wiesen sie auf den großen Mangel von Mikrochips hin, ohne die kein modernes Auto mehr funktioniert. Die Covid-19-Pandemie und die damit zusammenhängende Unterbrechung von Lieferketten hatten die Abhängigkeit der deutschen Industrie von der Versorgung mit Halbleitern vor allem aus Ostasien schonungslos offengelegt. Und dies galt nicht nur für den nach wie vor wichtigsten Industriesektor der Bundesrepublik. Auch im Maschinenbau oder in der Produktion von Elektronik- oder Haushaltsgeräten traten erhebliche Engpässe auf. Selbst digitale Fahrradschaltungen wurden zur Mangel­ware. »Wenn ein so großer Block wie die Europäische Union nicht in der Lage ist, Chips herzustellen«, klagte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im vergangenen Mai, »dann ist mir nicht wohl.«

Der damalige Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hatte bereits vor dem Ende der deutschen Präsidentschaft im Rat der Europäischen Union im Dezember 2020 das EU-Programm »Digitales Europa« zur Stärkung der »digitalen Souveränität« angekündigt. Mit dem Programm stünden 7,6 Milliarden Euro für die Erprobung und Anwendung digitaler Tech­nologien für die Privatwirtschaft und den öffentlichen Sektor zur Verfügung, sagte Altmaier bei der Vorstellung.

 »Mittelfristig wollen wir Europa zum Anführer in diesem strategisch wichtigen Markt machen.« EU-Kommissionspräsidentin
Ursula von der Leyen

Geschehen ist wenig, trotz der Dringlichkeit der Angelegenheit, die häufig betont wurde. Noch immer verzeichnen europäische Unternehmen eine noto­rische Chipknappheit. Dass es selbst Altmaier kurz vor dem Ende seiner Amtszeit im vergangenen Oktober schwerfiel, einen neuen Dienstwagen zu bestellen, verdeutlichte anekdotisch die Probleme des Industriestandorts Europa. »Es ist sehr, sehr schwer derzeit, überhaupt einen Liefertermin zu bekommen«, sagte der damalige Bundeswirtschaftsminister resigniert.

Das von Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) neugeschaffene Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz scheint nun Tatsachen schaffen zu wollen. Zunächst durch Nichtstun: Am 31. Januar hat es die Frist für die Genehmigung der knapp 4,35 Milliarden Euro schweren Übernahme der Münchner Siltronic AG durch den taiwanesischen Konkurrenten Globalwafers verstreichen lassen. Sowohl die Siltronic AG als auch Globalwafers gehören zu den fünf größten Herstellern der ausgesprochen kompliziert zu fertigenden dünnen Siliziumscheiben (sogenannte Wafer), aus denen Tausende Chips geschnitten werden können. Siltronic ist das einzige in Europa ansässige Un­ternehmen dieser Art; es produziert Wafer an seinen Standorten im oberbayerischen Burghausen und im sächsischen Freiberg ebenso wie in Singapur und dem US-amerikanischen Portland (Oregon).

Eine Sprecherin des Ministeriums begründete das Auslaufen der über ein Jahr dauernden und bereits einmal verlängerten Prüfungsfrist mit Zeitmangel.

Die rechtliche Grundlage des Prüfverfahrens stellen die 2018 verschärften Vorschriften zur Investitionskon­trolle nach dem Außenwirtschaftsgesetz und der Außenwirtschaftsordnung dar. Diesen Vorschriften zufolge kann der Kauf eines inländischen Unternehmens durch einen ausländischen Investor überprüft und im Ausnahmefall untersagt werden, sofern der Kauf die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder die eines anderen Mitgliedstaats der EU »voraussichtlich beeinträchtigt«. Das betrifft neben Rüstungs-, Infrastruk­­tur- oder Medienunternehmen seit Frühjahr 2021 auch die als »sicherheitsrelevant« eingestuften »Hoch- und Zukunftstechnologiesektoren« wie Künstliche Intel­ligenz, Quantentechnologie, Luft- und Raumfahrt, Nukleartechnologie und eben die Halbleiterherstellung.

Den gescheiterten Verkauf von Siltronic nahmen auch SPD und Union erfreut zur Kenntnis. »Technologische Souveränität gewinnen wir nicht dadurch, dass wir unser Tafelsilber veräußern«, sagte der stellvertretende Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses Hannes Walter (SPD). Die wirtschafts­politische Sprecherin der Bundestagsfraktion der CDU/CSU, Julia Klöckner, lobte, dass man offenbar »unsere Sicherheitsinteressen im Blick« habe.

Der geplatzte Verkauf fügt sich in eine Strategie, die Habeck nur wenige Wochen zuvor präsentiert hatte. »Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, unseren Bedarf an Mikroelektronik selbst zu decken, und Produktion wieder stärker nach Deutschland und Europa holen«, sagte der Wirtschafts- und Klimaschutzminister Ende Dezember. Er kündigte an, »Fördermittel in ­Milliardenhöhe« – die Rede war von einem Gesamtvo­lumen von etwa zehn Milliarden Euro – in die Hand zu nehmen, um 32 Investitionsvorhaben deutscher ­Unternehmen im Rahmen des europäischen Projekts IPCEI Mikroelektronik und Kommunikationstechnologien zu fördern. Neben Deutschland beteiligen sich 19 weitere EU-Staaten an IPCEI (Important Projects of Common European Interest), unter anderem mit dem Ziel, durch Entwicklung und Fertigung von Halbleitern eine »europäische Wertschöpfungs­kette« aufzubauen.

Bei IPCEI handelt es sich um einen 2018 eingerichteten Fördertopf, mit dem die Europäische Kommission zukunftsträchtige Investitionsprojekte der EU-Mitgliedstaaten mit öffentlichen Mitteln finanziert. Zunächst hatte das Bundeswirtschaftsministerium im Rahmen des sogenannten IPCEI Mikroelektronik lediglich eine Milliarde Euro an Fördermitteln vor allem für die sächsischen Chipfabriken der Robert Bosch GmbH, Globalfoundries Inc. und Infineon Technologies AG zur Verfügung gestellt. Jetzt wird großzügig aufgestockt: denn dass vom Volumen her kleinere Förderprogramme angesichts der Größenordnung des derzeitigen Chipmangels nicht ausreichen würden, musste selbst dem letzten Hinterbänkler im EU-Parlament aufgefallen sein.

Die EU-Kommission hat Anfang Fe­bruar den European Chips Act vorgeschlagen, dessen Volumen weit über bisherige Förderungen hinausweist: 30 Milliarden Euro sollen aus laufenden anderen Programmen abgezweigt und weitere 15 Milliarden paritätisch von der EU und den Mitgliedstaaten eingespeist werden. Das Gesetzesvorhaben ist langfristig und strategisch angelegt. »Kurzfristig wollen wir uns für künftige Krisen besser wappnen, indem wir Versorgungsengpässe erkennen und dadurch vermeiden«, sagte die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen. »Und mittelfristig wollen wir Europa zum Anführer in diesem strategisch wichtigen Markt machen«, ergänzte sie.

Einfach dürfte das aber nicht werden. Denn nicht nur das Ziel, den derzeitigen Anteil der EU-Staaten an der globalen Chipproduktion auf 20 Prozent zu verdoppeln, nimmt sich eher bescheiden aus. Auch das Investitionsvolumen sowie der Zeitpunkt sprechen dafür, dass sich der Abstand zu den Konkurrenten eher vergrößern könnte.

Das US-Repräsentantenhaus hat Anfang Februar mit dem »America Competes Act« ein Gesetz verabschiedet, das mit 52 Milliarden US-Dollar den Niedergang der Halbleiterproduktion in den USA aufhalten und die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber China steigern soll. Der Anteil der in den USA ­gefertigten Chips an der Gesamtproduktion war von fast 40 Prozent in den neunziger Jahren auf zwölf Prozent im vergangenen Jahr gesunken. Firmen wie Nvidia, Advanced Micro Devices, Broadcom Corporation oder Qualcomm sollen mit Hilfe der Förderung animiert werden, ihre Mikrochips ­wieder in den USA herzustellen, statt die Fertigung in asiatische Stätten ­auszulagern.

Dort, vor allem in Ostasien, werden fast 80 Prozent aller Chips hergestellt. Und dort wird alles dafür getan, dass das so bleibt. So hatten die beiden größten Hersteller der Welt, die taiwanesische TSMC und die südkoreanische Samsung Electronics Company Limited, schon Mitte vergangenen Jahres an­gekündigt, in den kommenden Jahren 100 beziehungsweise 151 Milliarden US-Dollar in die Ausweitung der Produktionslinien investieren zu wollen. Nach dem Rekordjahr 2021 – der US-amerikanische Branchenverband ­Semiconductor Industry Association (SIA) hatte vor kurzem eine globale Umsatzsteigerung um 26,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf zuvor nie ­erreichte 555,9 Milliarden US-Dollar bekanntgegeben – sollten die Kassen ­dafür prall gefüllt sein.

Vor allem aber in der Volksrepublik China werden im Zuge der 2015 beschlossenen und über eine Billion Euro schweren Initiative »Made in China 2025« die Kapazitäten in gigantischem Maße ausgebaut. Und im vergangenen Jahr kündigte der chinesische Staatspräsident Xi Jinping an, das Tempo sogar noch steigern zu wollen. Derzeit liegt der chinesische Anteil an globalen Halbleiter-Fertigungskapazitäten bei 15 Prozent. Einem im vergangenen Jahr gemeinsam veröffentlichten Bericht von SIA und der Boston Consulting Group zufolge könnte China durch diese gewaltigen Investitionen in den kommenden zehn Jahren zum größten Chiphersteller der Welt heranwachsen werden.