24.02.2022
Ein Gespräch mit dem Menschenrechtler Joaquín A. Mejía über den politischen ­Wandel in Honduras

»Wir erleben gerade einen Schlüsselmoment«

Demokratie statt Drogenhandel. Der Jurist und Menschenrechtler Joaquín A. Mejía spricht über den erhofften politischen Wandel in Honduras unter der neuen Präsidentin Xiomara Castro und das Auslieferungsgesuch gegen ihren Vorgänger.

Am 14. Februar sperrten Militär- und Landespolizei den Zugang zur Villa des ehemaligen Präsidenten Juan Orlando Hernández (2014–2022) in Tegucigalpa ab und nahmen ihn fest. Ihm werden Korruption und Verwicklung in den Drogenhandel vorgeworfen, die USA hatten des­wegen seine Auslieferung beantragt. Was bedeutet das?

Es ist das Ende einer Erfolgsgeschichte. Die Geschichte von Juan Orlando Her­nández ist die des Aufstiegs eines Mannes, der 18 Jahre lang im Drogenschmuggel aktiv war. Vergleicht man ihn mit Pablo Escobar, dem Kopf des ­kolumbianischen Medellín-Kartells, der auch in die Politik ging, aber nur Ab­geordneter wurde, dann ist Hernández deutlich weiter gekommen: Er hat das höchste Staatsamt für seine Geschäfte missbraucht. Escobar musste zurücktreten, weil der öffentliche Druck zu groß wurde. Hernández hingegen hat sich 2017 sogar wiederwählen lassen, obwohl die Verfassung das verbietet. Das wäre ohne das Stillhalten der USA und das Schweigen der Europäer kaum möglich gewesen.

»Das Drogennetzwerk hört nicht in der Nationalen Partei von Hernández auf, es reicht deutlich weiter – auch in die Partei Libre der amtierenden Präsidentin hinein.«

Hernández hat es so geschafft, eine parastaatliche Struktur aufzubauen und die staatlichen Institutionen sowie alle staatlichen Ressourcen für den Drogenschmuggel zu missbrauchen. Das Auslieferungsgesuch und in der Folge die Festnahme setzen Hernández’ Karriere ein abruptes Ende. Das ist zugleich ein Desaster für diejenigen vor allem in der Justiz und dem Sicherheitsapparat, die zu Handlangern der organisieren Kriminalität geworden waren.

Also eine gute Nachricht für Hon­duras?

Ja, denn ich bin Optimist und dafür gibt es zwei gute Gründe. Wir sprechen über den Kopf einer kriminellen Struktur, der nun ausgeliefert wird. Die USA haben mit der Verurteilung des jüngeren Bruders von Juan Orlando Hernández gezeigt, dass sie es ernst meinen. (Juan Antonio Hernández wurde am 30. März 2021 wegen Drogenschmuggel und Mord in den USA zu lebenslanger Haft verurteilt, Anm. d. Red.)

Der zweite wichtige Grund ist Ramón Sabillón. Er ist der neue Sicherheits­minister von Honduras. Sabillón ist aus dem Exil in den USA zurückkehrt, genießt das Vertrauen der USA und könnte dafür sorgen, dass sich bei den Ordnungskräften des Landes die Verhältnisse ändern. Das geht nicht über Nacht, aber die Stimmung in der Polizei hat sich bereits verändert. Die Entscheidung, dass zivile Aufgaben wieder komplett in die Verantwortlichkeit der Polizei übergehen, hat Signalcharakter. Die Präsidentin Xiomara Castro hat das verfügt und das Militär und damit auch die gefürchtete Militärpolizei ausgeschlossen. Das sorgt für Euphorie in den mittleren Rängen der Polizei und dieses Vertrauen der Präsidentin will man nicht enttäuschen. Auf der anderen Seite herrscht Nervosität in den höheren Rängen, denn Minister Sabillón und die USA wissen sehr genau, wer für was verantwortlich war und ist. Wichtig ist nun politischer Wille, neue Strukturen zu schaffen, und interna­tionale Unterstützung.

Das könnte bedeuten, dass die USA ihren Kurs ändern?

Ich glaube, dass es bereits Verhandlungen mit der Regierung von Xiomara Castro gegeben hat. Im Kabinett gibt es Leute, denen die USA vertrauen.

Heißt das im Umkehrschluss, dass die neue Regierung den korrupten Narco-Apparat, den Castros Vorgänger Hernández geschaffen hatte, deutlich früher beseitigen könnte als von Ihnen noch vor ein paar ­Wochen angenommen?

Ja, die Schlange hat ihren Kopf verloren und der Druck auf die Justiz und die Ordnungskräfte ist hoch. Es steht eine Entlassungswelle von Mit­arbeitern bei der Armee und der Polizei an, die zum ­Kartell des ehemaligen Präsidenten gehörten. Wir er­leben gerade einen Schlüsselmoment, aber das Drogennetzwerk hört nicht in der Nationalen Partei von Hernández auf, es reicht deutlich weiter – auch in die Partei Libre der amtierenden Präsidentin hinein. Es gibt handfeste Interessen.

Ist Jorge Cálix ein Beispiel dafür? Er führt eine Fraktion abtrünniger Abgeordneter von Libre an, die ihn gemeinsam mit den Stimmen der Abgeordneten der konservativen Nationalen Partei (PNH) Ende Januar zum Parlamentspräsidenten kürten, als Gegenkandidaten zu dem von Castro vorgeschlagenen Luis Redondo – letztlich erfolglos. Noch vor ihrer Vereidigung als neue Staatspräsidentin hatte er damit kurzzeitig eine Regierungskrise herbeigeführt.

Ja, aber der Versuch der Spaltung von Libre und die Strategie von Jorge Cálix sind gescheitert und das ist die posi­tive Botschaft. Nun weiß man, wer wer ist. Entscheidend dabei war das Ver­halten der Zivilgesellschaft, die auf die Straße ging, vor dem Parlament demonstrierte und Xiomara Castro den Rücken stärkte. Die Präsidentin ist es, die aus diesem Eklat gestärkt hervorging. Sie machte klar, dass die Ziele dieser Gruppe von Abgeordneten mit ihr nicht zu haben seien: Diese Abgeordneten forderten eine Regelung, die die Auslieferungen an die USA untersagte, und sie wollten die Legitimität und den Spielraum der Präsidentin beschneiden.

Allerdings hatten 83 von 128 Kongressabgeordneten für Jorge Cálix als Parlamentspräsidenten und ­Beatriz Valle als Generalsekretärin des Parlaments gestimmt, die sich gegen Castro stellten. Die beiden ehemaligen Libre-Abgeordneten galten vor dem Eklat gar als potentielle Kandidaten für die nächsten Prä­sidentschaftswahlen. Was bedeutet nun deren Niederlage?

Das ist ein Problem, denn es schafft das Risiko, dass die Familie von Xiomara Castro de Zelaya sich an der Spitze der Politik etabliert (Castros Ehemann ist der ehemalige Präsident Manuel Zelaya, gegen den das Militär 2009 putschte, Anm. d. Red.). Ihr Sohn Héctor Zelaya wird schon jetzt als Präsidentschaftskandidat für die nächsten Wahlen gehandelt.

Sie befürchten eine politische ­Dynastie?

Das Risiko besteht.

Aber ist es nicht erfreulich, dass sich viele Menschen in Honduras mit ihren Protesten gegen das ­Manöver Cálix’ deutlich auf die Seite der neuen Präsidentin gestellt ­haben?

Ja, das ist überaus positiv, denn derzeit ist der konservative und zutiefst religiöse Teil der Gesellschaft verstummt – das hat es seit Jahren nicht gegeben. Eine neue Generation, jung, gut ausgebildet, meldet sich zu Wort. Nicht erst jetzt, sondern bereits in der Pandemie, während der Korruption dank sozialer ­Medien aufgedeckt, gebrandmarkt und kritisiert wurde. Diese Generation hat ihre Empörung über das Geschacher um Posten im Kongress auf die Straße gebracht, agiert und protestiert – das ist etwas vollkommen Neues im Vergleich zu den ersten Amtsjahren von Juan Orlando Hernández.

Schlagzeilen hat aber auch die Entscheidung der Verfassungskammer des Obersten Gerichtshofs vom 10. Februar gemacht, die im Prozess gegen acht Umweltschützer ein ­Urteil des lokalen Gerichts kassierte, das sechs von ihnen tags zuvor zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt hatte. War der Zeitpunkt Zufall?

Nein, es gab Gründe dafür: Zunächst die internationale und die nationale Aufmerksamkeit für den Fall, die die Richter spürten. Hinzu kommt, dass die Richter sich von der Ära Juan Orlando Hernández’ distanzieren und ein besseres Image zulegen wollen. Dafür ist der Fall Guapinol eine gute Gelegenheit (die Umweltschützer hatten sich gegen die Verschmutzung des Flusses Guapinol durch Bergbauprojekte eingesetzt, Anm. d. Red.). Doch dieses Kalkül wird kaum aufgehen, denn die Richter sind derart stigmatisiert, dass kaum jemand ihnen das abnehmen wird.

Die Umweltschützer waren seit ­November 2020 inhaftiert gewesen. Hat ihre Freilassung Vorbildcharakter?

Ja, aber die Folgen hängen sehr von Reformen in Polizei und Justiz ab. Umweltschützer in Honduras werden häufig zunächst in den Medien stigmatisiert, daraufhin von Privatpersonen bedroht und von Polizei, Armee oder privaten Sicherheitsdiensten eingeschüchtert. Danach erfolgt die Kriminalisierung durch die Justiz und am Ende können, wie im Fall der Umweltschützerin Berta Cáceres, Auftrags­killer zum Einsatz kommen.

Zeichnet sich ab, wie die neue Regierung mit Umweltkonflikten, die nicht selten sind, umgehen will?

Ja, es gibt etwa neues Personal und neue staatliche Strukturen im Umweltbereich. Das ist ein erster Schritt, aber weitere müssen folgen, denn es gibt durchaus auch Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien, die zur Geldwäsche durch die Kartelle missbraucht werden.

Wie agieren die Medien auf den erhofften Wandel unter der neuen Regierung?

Einige haben sich bereits von der alten Regierung im vergangenen Jahr abgesetzt, andere sind per se kritisch und wieder andere richten sich neu aus. Die einflussreichen Medien hatten sich mit der Regierung von Juan Orlando Hernández arrangiert, waren ein ­Faktor des Machterhalts.

Gibt es einen Wandel in der US-Außenpolitik in Hinblick auf Zentralamerika?

Die USA haben Interessen, sie agieren nicht nach freundschaftlichen Erwägungen. Allerdings ist die Lage in der Region auch für die USA nicht rosig: El Salvador bewegt sich in eine autoritäre Richtung und nähert sich China an, in Nicaragua agiert eine offene Diktatur unter dem Regime von Daniel Ortega und seiner Frau Rosario Murillo und Guatemala versinkt in Korruption. Wen gibt es noch in der Region? Honduras, mit einer Präsidentin, die demokratisch legitimiert ist. Es bleibt nur der Schritt, sich an den Verhandlungstisch zu setzen und nach Lösungen zu suchen.

Natürlich hat uns die Promptheit überrascht, mit der die Auslieferung von Juan Orlando Hernández beantragt wurde, aber das bringt viel in Bewegung. Im Hintergrund steht natürlich auch die Frage der Migration aus Zentralamerika, die abzumildern im ureigenen Interesse der USA liegt.

 

Joaquín A. Mejía

Joaquín A. Mejía ist Jurist, Menschenrechtler und Mitarbeiter des jesuitischen Forschungszentrums ERIC-SJ ­sowie des Radiosenders Radio Progreso aus EL Progreso, Honduras. Mejías Einsatz für Menschenrechte sowie für die Rückkehr zur Demokratie im Land hat ihm immer wieder Morddrohungen eingebracht. Die Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten hat deshalb die honduranische Regierung mehrfach aufgefordert, den international bekannten Juristen zu schützen.