Small Talk mit Nikolai Prodöhl über den Ausschluss von Behindertenwerkstätten vom Mindestlohn

»Manchmal würde ich gern schwänzen«

Zum 1. Oktober soll der Mindestlohn hierzulande auf zwölf Euro pro Stunde steigen. Allerdings bleiben die Werkstätten für Menschen mit Behinderung wohl wieder außen vor. Die dort Beschäftigten verdienen nicht mehr als ein Taschengeld, sind dafür aber sozial sehr gut abgesichert. Die »Jungle World« sprach darüber mit Nikolai Prodöhl, der als Gärtner in einem Betrieb der Elbe-Werkstätten in Hamburg arbeitet und zusammen mit Ing Han auf dem Hamburger Radiosender Tide die Sendung »Wohnen und Arbeiten« über die ­Erfahrungen von Menschen mit Handicap moderiert.
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Sie arbeiten als Gärtner auf einem Hof, der zu den Elbe-Werkstätten gehört. Wie sieht Ihre Arbeit dort aus?

Ich arbeite jeden Tag von acht bis 16 Uhr auf dem Hof. Wir bauen Gemüse und Salat an und haben auch einige Tiere. Am Mittwoch habe ich frei, um meine Sendungen für den Bürgerfunk Tide zu machen, und am Donnerstag habe ich etwas früher Schluss. Ich bin bei Wind und Wetter draußen. Der Job macht mir Spaß, aber im Winter ist es manchmal hart.

Gibt es Vorteile, wenn man in einer Werkstatt für behinderte Menschen arbeitet?

Ja, einige gibt es. Wir haben 35 Urlaubstage, Kündigungsschutz und können häufiger Praktika machen oder Bildungsurlaub nehmen. Und die Grundsicherung übernimmt immer die Miete und die Nebenkosten. Viele Menschen halten den Druck auf dem ersten Arbeitsmarkt auch nicht aus. Den hat man in der Werkstatt zum Glück nicht.

Aber Sie kritisieren auch viele Punkte an den Werkstätten. Was läuft da schief?

Wir verdienen sehr wenig. Ich verdiene nur rund 1,50 Euro pro Stunde. Im Monat komme ich auf etwa 400 bis 500 Euro, da die Werkstätten auch eine Art Leistungsprämie zahlen. Damit kann ich mal essen gehen, aber für einen Urlaub muss ich sehr lange sparen. Und dann wird seit einigen Jahren auch das Essen in der Werkstatt berechnet. Für das Mittagessen wurden mir im Januar 28,80 Euro abgezogen. Das finde ich eine Frechheit. Vergangenes Jahr habe ich ein Stipendium für meine journalistische Arbeit bekommen. Das Geld darf ich aber nicht behalten, denn es wird mit der Grundsicherung verrechnet.

Man kann also so gut wie nichts ansparen?

Das ist sehr schwierig. Man muss alle Nebeneinnahmen melden, denn wir sind zur Mitwirkung bei den Angaben verpflichtet. Mein Stipendium habe ich gar nicht erst angenommen, denn es wäre mir sowieso sofort wieder abgenommen worden.

Wie kommt es, dass Sie so wenig verdienen? Und was denken Sie über eine Anhebung des Mindestlohns?

Wir sind keine Arbeitnehmer, sondern haben nur arbeitnehmerähnliche Verträge. Darin ist der Lohn geregelt. Es ärgert mich sehr, dass wir bei der Debatte über den Mindestlohn so gut wie gar nicht berücksichtigt werden. Manchmal würde ich gern schwänzen und mich einfach krankmelden, aber ich will auch nicht lügen. Ich würde mir aber wirklich mehr Wertschätzung wünschen und die Einführung des Mindestlohns auch für die Werkstätten. So bringen Werkstätten wenig für die Inklusion.

Was würden Sie machen, wenn der Mindestlohn endlich käme?

Ich würde sofort mit meinem Freund Ing Han in den Urlaub fahren. Und wir würden weniger kochen und häufiger essen gehen. Ich hätte aber auch Sorge, dass man dann in der Werkstatt härter für sein Geld arbeiten müsste.