Putins Propaganda, in der Ukraine herrschten Nazis, ist hanebüchen

Selber Nazi

Die Ukraine sei ein von Nazis beherrschter Staat, behaupten Wladimir Putin und seine Propagandaorgane. Gegen diese Lüge wenden sich Antifaschisten, Historiker und jüdische Gruppen. Eine Dokumentation von Ausschnitten ihrer Stellungnahmen.

Wladimir Putin hat die Invasion der Ukraine unter anderem mit der Behauptung gerechtfertigt, diese sei in der Hand von »Nazis«, die einen »Genozid« an der russischsprachigen Bevölkerung verübten. Diese propagandistische Lüge diente bereits 2014 als Legitimierung für die Annexion der Krim und die (zunächst uneingestandene) Unterstützung der sogenannten Separatisten im Donbass. Mehrere Organisationen haben diese Lüge nun als solche gebrandmarkt, darunter auch Gruppen und Personen, die sich in der Vergangenheit kritisch mit rechtsextremen Umtrieben in der Ukraine auseinandergesetzt haben.

So schrieb die ukrainische antifaschistische Organisation Marker, deren Arbeit unter anderem vom Kiewer Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung gefördert wird, in einem auf Ukrainisch, Russisch, Englisch und (bezeichnenderweise) Deutsch verfassten Text, der in mehreren sozialen Medien verbreitet wurde: »Als eine Monitoringgruppe, die sich seit drei Jahren mit Menschenrechtsverletzungen durch Rechtsradikale befasst, bestehen wir auf Folgendem: Die Ukraine ist ein bedeutend freieres Land als die Russländische Föderation. Sie benötigt keine externe ›Entnazifizierung‹ und der einzige Mensch, der heutzutage vollkommen einem Nazi-Führer entspricht, ist Wladimir Putin.« Marker beobachtet und dokumentiert seit 2018 rechtsextreme Gruppen und Gewaltverbrechen in der Ukraine, so auch die Asow-Bewegung und das mit ihr verbundene Regiment Asow, das Teil der ukrainischen Nationalgarde ist.

Eine Gruppe international renommierter Forscher zu Holocaust, Genozid, der Geschichte des Zweiten Weltkriegs und Nationalsozialismus schrieb in einer auf Englisch und Russisch publizierten Stellungnahme: »Wir weisen den zynischen Missbrauch des Begriffs ›Völkermord‹, der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust sowie die Gleichsetzung des ukrainischen Staats mit dem Nazi-Regime durch die russische Regierung zur Rechtfertigung ihrer unprovozierten Aggression entschieden zurück. Diese Rhetorik ist sachlich falsch, moralisch verwerflich und zutiefst beleidigend für das Gedenken an Millionen von Opfern des Nationalsozialismus und an diejenigen, die mutig gegen ihn gekämpft haben, darunter auch russische und ukrainische Soldaten der Roten Armee.« Zwar gebe es in der Ukraine »wie in jedem anderen Land« Rechts­extremisten und »gewalttätige fremdenfeindliche Gruppen« und das Land solle sich »besser mit den dunkleren Kapiteln« seiner Geschichte »auseinandersetzen«. »Doch nichts von alledem rechtfertigt die russische Aggression und die grobe Falschdarstellung der Ukraine.« Die Initiatoren der Stellungnahme sind die russisch-amerikanische Historikerin Izabella Tabarovsky vom Wilson Center und der ukrainisch-israelische Politikwissenschaftler Eu­gene Finkel, der an der Johns Hopkins University arbeitet. Zu den Unterzeichnern zählen der Historiker Jeffrey Herf, die Direktorin des NS-Dokumentationszentrums München, Mirjam Zadoff, und der Historiker und Jungle World-Autor Volker Weiß.

Auch das Ukrainische Jüdische Komitee, eine der zahlreichen Organisationen der jüdischen Bürger der Ukraine, wandte sich gegen die Lügen Putins. Eduard Dolinskyj, der Direktor der Or­ganisation, schrieb auf Facebook, man verurteile »den Akt der militärischen Aggression durch die russischen Streitkräfte gegen das souveräne Land Ukraine«. Weiter heißt es in der Stellungnahme: »Die jüdischen Gemeinden in der Ukraine und in der ganzen Welt unterstützen die Ukraine in ihrem Kampf gegen diesen Akt der Aggression voll und ganz. In Israel und auf der ganzen Welt finden Kundgebungen statt; es wird aktiv humanitäre Hilfe für die Flüchtlinge gesammelt.« Dolinskyj ist ein prominenter Kritiker von Antise­mitismus, Rassismus und Geschichtsrevisionismus in der Ukraine.