Qanon-Gläubige erklären den Ukraine-Krieg mit angeblichen Corona-Laboren

Qanon stürzt sich auf die Ukraine

Diverse Versatzstücke der Verschwörungstheorie von Qanon haben sich weltweit etabliert. Auch die Interpretation des Ukraine-Kriegs bleibt davon nicht verschont.

Es ist relativ ruhig geworden um die Verschwörungssekte Qanon. Das liegt unter anderem daran, dass die Urheber möglicherweise enttarnt wurden. Ende Februar legten Spezialisten des schweizerischen Sprachsoftware-Unternehmens Orphanalytics Ergebnisse ihrer stilometrischen Studie vor. Demnach sei es wahrscheinlich, dass Ronald Watkins und Paul Furber die Botschaften des angeblichen Insiders der Regierung von Donald Trump namens »Q« verfasst haben. Eine große Überraschung war das nicht, Ronald Watkins und sein Vater Jim werden dessen schon lange verdächtigt. Als das von Jim Watkins betriebene Imageboard 8chan im August 2019 nach drei dort vorab angekündigten rechten Terroranschlägen offline ging, war auch Q zunächst verstummt, um dann auf 8kun, einem von Ronald Watkins adminis­trierten Board, wiederaufzutauchen. Auch über eine Beteiligung Furbers, eines südafrikanischen Rechtsextremen und frühen Verbreiters der Qanon-Theorien, war zuvor bereits spekuliert worden. Der interessanteste Punkt ist noch nicht geklärt: Kamen Watkins und Furber von allein auf Idee, Q zu etablieren, oder wurden sie dafür bezahlt, und wenn ja, von wem?

In einer Reddit-Gruppe für verzweifelte Freunde und Angehörige von Qanon-Gläubigen ist das Hauptthema nun Russland.

Die Zeit der großen Auslegungen von mysteriösen Q-Postings und des Hineininterpretierens von geheimen Botschaften in Bilder und Texte war ohnehin so gut wie vorbei. Möglicherweise waren die Anhänger des Wartens auf den großen Endkampf ihres Idols Donald Trump gegen die Kräfte der Finsternis müde geworden.

Ohnehin wird Qanon als Verbreiter der Mythen über elitäre Geheimzirkel, die die Menschheit versklaven wollen, nicht mehr gebraucht. Q-Versatzstücke haben sich weltweit etabliert und werden nun ganz selbstverständlich anderswo benutzt, wie zum Beispiel kürzlich beim kanadischen »Freedom Convoy« und seit längerem von Impfgegnern. Und ganz neu: beim Ukraine-Krieg. Am Dienstag vergangener Woche vermeldete das regierungsnahe russische Nachrichtenportal Sputnik, im Besitz von Dokumenten zu sein, die die Standorte von US-Biolaboren in der Ukraine zeigen sollen. Dass in Laboren gezielt immer neue Varianten von ­Covid-19 gezüchtet würden, um die Menschheit zu knechten, mit Gedankenlese-Chips zwangszuimpfen oder auszurotten, gehört selbstverständlich auch zu den Glaubenssätzen vieler Impfgegner und Qanon-Fans.

In einer Reddit-Gruppe für verzweifelte Freunde und Angehörige von Qanon-Gläubigen, in der zu Hochzeiten des Kults ratlose Menschen nicht nur aus den USA täglich in zig Beiträgen um Hilfe baten, ist das Hauptthema nun Russland. Die Angehörigen schreiben, dass Eltern, Partner, Kinder den Krieg in der Ukraine nun als die schon so lange angekündigte große Schlacht ansähen, bei der das Gute schließlich siegen werde – und das Gute verkörpere Wladimir Putin. Die Ukraine ist der Qanon-Lehre zufolge nämlich von Russland angegriffen worden, weil sich dort das größte Biolabor zur Herstellung von Adenochrom befände, also des angeblich aus Kinderblut gewonnenen Stoffs, mit dem die »Eliten« der Welt sich regelmäßig verjüngen.

Nun belassen Qanon-Anhänger es aber nicht dabei, solche Theorien bloß zu konsumieren. Neben diversen Terrordrohungen, einigen Anschlagsversuchen, Entführungen und Körperverletzungen gehen auch Morde auf ihr Konto. Wie zum Beispiel im Fall Troy Burke, der seit Februar in Michigan vor Gericht steht und zurzeit psychiatrisch evaluiert wird. Er hatte im Januar vergangenen Jahres seine Frau Jessica umgebracht, weil er sie, so gab er an, für eine CIA-Agentin und ein Mitglied eines Kinderhändlerrings hielt. Außerdem habe sie Joe ­Biden gewählt.

Nun brauchen Deutsche nicht unbedingt Qanon-Auslegungen, um ihnen nicht genehme Minderheiten zu hassen, zu beleidigen, zu bedrohen und anzugreifen. Wie am Wochenende bekannt wurde, haben sich hierzulande seit dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine die Übergriffe auf Russen und Russinnen oder für solche gehaltene Menschen sowie von ihnen betriebene Läden sprunghaft vermehrt.

Darüber hinaus gibt es allerdings auch die üblichen fake news. Am 3. März vermeldeten beispielsweise nicht nur bei Twitter zahlreiche Accounts aus dem »Querdenken«- und AfD-Umfeld das angebliche »Resultat medialer Russland-Hetze«: 30 Busse eines Unternehmens, dessen Chef Russlanddeutscher sei, seien komplett zerstört worden. Auch Markus Haintz, Rechtsanwalt und »Querdenken«-Führungsfigur, verbreitete auf Twitter entsprechend empört diese Meldung. In der Tat waren in der Nacht zum 28. Fe­bruar auf dem Betriebshof der Kraftverkehr GmbH (KVG) in Seevetal-Hittfeld (Niedersachsen) die Scheiben an insgesamt 29 Bussen und einem PKW mutwillig beschädigt worden.

Das 1928 in Stade von den Brüdern Alex und Heinrich Peill gegründete Unternehmen betrieb zunächst die Buslinien der Stadt. Mittlerweile fahren rund 106 000 Menschen täglich mit KVG-Bussen, unter anderem im Stadt­linienverkehr in Cuxhaven, Lüneburg und Winsen an der Luhe sowie im Überland- und Schulbusverkehr. Gesellschafter der KVG sind der Verkehrsbetrieb Osthannover GmbH sowie die Eisenbahnen und Verkehrsbetriebe Elbe-Weser GmbH. Über verschiedene Beteiligungen gehört die KVG der italienischen Staatsbahn Ferrovie dello Stato Italiano.

Warum Anhänger von Verschwörungsmythen den Vandalismus in Seevetal-Hittfeld als durch »Russland-Hetze« motiviert deuten, ist unklar. Allerdings passen ihnen die Zerstörungen sehr gut ins Konzept, das vorrangig darin besteht, unermüdlich die Unterdrückung sogenannter Wahrheiten durch die von ihnen schon seit Jahren als »Lügenpresse« bezeichneten eta­blierten Medien anzuprangern. Seit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine beklagen »Querdenker« und andere eine umfassende Verteufelung Russlands und versuchen immer wieder – nicht unbedingt an Fakten orientiert, dafür sehr eifrig –, einzelne Journalisten der Lüge zu überführen. So war es auch im Fall der KVG. Praktisch sofort wurden die Berichte in den regionalen Zeitungen als typische Propaganda bezeichnet, weil sie den angeblichen Terror gegen Russlanddeutsche verschwiegen.

Die Polizei geht derzeit nicht von Hass auf Russen als Tatmotiv aus. »Wir haben keinerlei Anhaltspunkte, dass die Tat politisch motiviert ist«, sagte der Sprecher der Polizeiinspektion Harburg, Jan Krüger, diese Woche im Gespräch mit der Jungle World. Eines hat sich auch nach der wahrscheinlichen Enttarnung von Qanon nicht geändert: Diejenigen, die daran interessiert sind, Desinformation zu verbreiten, werden sich an Tatsachen wie dieser nicht stören.