Russlands und Chinas Einfluss in Lateinamerika wächst

Seidenstraße durch die Anden

Ob links oder rechts regiert – um sich aus der Abhängigkeit von den USA zu lösen, wenden sich viele lateinamerikanische Staaten an die Regierungen in Moskau und Peking. Russland hat außer Militär wenig zu bieten, doch China ist ökonomisch in Lateinamerika auf dem Vormarsch.

Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro ist nicht für diplomatisches Fein­gefühl bekannt und eine Reise, die er Mitte Februar nach Moskau unternahm, wird an diesem Ruf vermutlich nicht viel ändern. Nur gut eine Woche vor dem russischen Einmarsch in der Ukraine traf sich der rechtsextreme Politiker mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Angeblich war der Termin schon lange im Voraus festgelegt worden. Offiziell ging es unter anderem um Fragen über Agrarexporte nach Russland.

Das größte südamerikanische Land ist einer der bevorzugten Partner Russlands auf dem Subkontinent. Von 2006 bis 2016 nahm der russische Handel mit Lateinamerika um 44 Prozent auf zwölf Milliarden US-Dollar zu, rund die Hälfte dieses Anstiegs entfiel auf Brasi­lien und Mexiko. Besonders wichtig war der Öl- und Gassektor. Insgesamt aber spielt der Handel mit Russland in Lateinamerika eine untergeordnete Rolle, gemessen an dem mit den großen Handelspartnern USA und China.

Noch gibt es in Lateinamerika einige Länder, die Taiwan und nicht die Volksrepublik als rechtmäßigen Vertreter Chinas anerkennen. Doch beispielsweise El Salvador brach vor vier Jahren die diplomatischen Beziehungen zu Taiwan ab.

Bedeutender als die ökonomischen Ambitionen waren die militärischen Absichten, die Russland in der Region hegte. In den vergangenen Monaten hatte Präsident Putin immer wieder damit gedroht, Stützpunkte in Lateinamerika aufzubauen, wenn der Westen auf seine Forderungen nach Sicherheitsgarantien und einer nationalen Einflusszone in Osteuropa nicht eingehen sollte. Schon 2008 drohte Russland, atomar bestückte Fernbomber auf Kuba und in Venezuela zu stationieren. Anlass dafür waren Pläne der Nato, ein Raketenabwehrsystem in Polen und Tschechien zu installieren.

Die USA sind alarmiert von diesen Plänen, auch wenn sie die größere Gefahr in China sehen. Der republika­nische US-Senator Marco Rubio, ranghöchstes Mitglied des Geheimdienstausschusses, und sein demokratischer Kollege Bob Menendez, Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Beziehungen, brachten Anfang Februar einen Gesetzentwurf ein, den sie als »Western Hemisphere Security Strategy Act« bezeichneten. Dieser zielt darauf, dem »schädlichen und bösartigen Einfluss« von China und Russland in Lateinamerika entgegenzuwirken.

Die USA, lange Zeit führend bei Handel und Investitionen in Lateinamerika, sind in mehreren Ländern der Region nicht mehr der wichtigste Wirtschaftspartner. In der Amtszeit des Präsidenten Donald Trump bestand das vorrangige Ziel darin, die Importe und damit das US-Handelsdefizit zu reduzieren. Diese Situation hat sich China zunutze gemacht.

So haben sich bereits 19 Regierungen in Lateinamerika und der Karibik der chinesischen Belt and Road Initiative (BRI), einem transkontinentalen Handels- und Infrastrukturnetz, in dem Investitionen von einer Billion US-Dollar getätigt werden sollen, angeschlossen oder entsprechende Absichtserklärungen abgegeben – auch wenn die vier großen Nationalökonomien Brasilien, Argentinien, Mexiko und Kolumbien nicht dazugehören. Chinesische Unternehmen bauen in Peru einen Hafen und planen eine transkontinentale Eisenbahnlinie, die die brasilianische Atlantik- mit der chilenischen Pazifikküste verbinden soll. Der wachsende Einfluss lässt sich insbesondere an den Exporten festmachen: Lag der Anteil ­Chinas an den brasilianischen Exporten 2001 bei lediglich 1,9 Prozent, betrug er im vergangenen Jahr bereits 28,5 Prozent. 2022 wird Brasilien voraussichtlich ein Drittel seiner Exporte nach China liefern, darunter fast 100 Prozent der Sojabohnenernte und 60 Prozent seines Eisenerzes.

An der lateinamerikanischen Abhängigkeit von Rohstoffexporten hat sich durch die neue Partnerschaft nichts geändert. Als kurz nach der Finanzkrise im Jahr 2011 die Rohstoffpreise um 20 Prozent fielen, konnte beispielsweise die damals Brasilien regierende Arbeiterpartei (PT) ihre Sozialprogramme nicht mehr in vollem Umfang finanzieren. Die ökonomischen Schwierigkeiten bereiteten jener Protestbewegung den Boden, die 2016 zur Absetzung von Präsidentin Dilma Rousseff (PT) und schließlich zur Wahl Jair Bolsonaros 2018 führte.

Auch andere südamerikanische Länder sind längst eng mit China verflochten. Nach Angaben des US-Think-Tanks Inter-American Dialogue hat China ­Argentinien seit 2007 Finanzmittel von über 17 Milliarden US-Dollar zur Verfügung gestellt und ist der größte Importeur von argentinischen Sojabohnen und Rindfleisch. Seit dem Abschluss der Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) über eine Umschuldung im Februar sucht Argentinien noch mehr Kontakt zu China und könnte auch bald der BRI beitreten.

Nicht immer sind die Investitionen für China auch erfolgreich. So vergab die chinesische Regierung hohe Kredite an Venezuela, das damit unter anderem die Förderung von Erdöl ausweiten sollte, um seine Schulden zu bezahlen. Doch stattdessen brach die Ölproduktion um etwa 25 Prozent ein.
Doch mindestens ebenso wichtig wie die Investitionen ist für die Regierung in Peking der damit verbundene politische Einfluss. Noch gibt es in Lateinamerika einige Länder, die Taiwan und nicht die Volksrepublik als rechtmäßigen Vertreter Chinas anerkennen. Doch beispielsweise El Salvador brach vor vier Jahren die diplomatischen Beziehungen zu Taiwan ab. Im Gegenzug ­sicherte China dem Land Hilfe beim Bau eines Stadions, einer mehrstö­ckigen Bibliothek und eines Klärwerks zu. ­Zuvor hatten bereits die Dominikanische Republik und Panama die Ein-­China-Politik der Volksrepublik anerkannt – zum Ärger der USA.

Mit Joe Biden ist ein Kenner Lateinamerikas ins Weiße Haus eingezogen, der im Gegensatz zu Trump Be­ziehungen der »guten Nachbarschaft« pflegen will. Zwar will Biden damit Lateinamerika auf Linie bringen, um die ­Position der USA für die Konfrontation mit China zu stärken, doch dass der US-amerikanische Einfluss nachlässt, demonstrierte auch der Besuch von Bolsonaro in ­Moskau. Vor der Reise hatte die US-Regierung vergeblich Druck auf den brasilianischen Präsidenten ausgeübt, den Besuch wegen der drohenden Eskala­tion im Ukraine-Konflikt abzusagen.