Der russischen Angriffskrieg stellt Grundannahmen der Friedensbewegung in Frage

Kehrtwende bei der Friedensbewegung

Der russische Angriff auf die Ukraine untergräbt lang gehegte Glaubenssätze der deutschen Friedensbewegung. Abgesehen von manchen unverbesserlichen Putin-Apologeten setzt ein Umdenken ein.

Wer in diesen Tagen mit Willi van Ooyen spricht, trifft auf einen nachdenklichen Menschen. »Sich in einer Frage von Krieg und Frieden so geirrt zu haben, ist natürlich schmerzhaft«, sagt der 75jährige Vorsitzende der Frankfurter Friedens- und Zukunftswerkstatt. Er habe sich »nicht vorstellen können, dass Russland einen solchen Angriff vorbereitet und tatsächlich in der Ukraine einmarschiert.« Für ihn ist klar, dass es sich dabei um einen »schwerwiegenden Völkerrechtsbruch« handele, der durch nichts zu rechtfertigen sei. Es sei »schrecklich, was gerade den Menschen in der Ukraine widerfährt«.

Willi van Ooyen ist ein Urgestein der deutschen Friedensbewegung. 1966 lief er zum ersten Mal bei einem Ostermarsch mit. 1980 gehörte der anerkannte Kriegsdienstverweigerer und langjährige hauptamtliche Funktionär der Deutschen Friedensunion zu den Initiatoren des »Krefelder Appells« gegen den sogenannten Nato-Doppelbeschluss. Das Wiederaufleben der Ostermärsche in den achtziger Jahren verdankte sich nicht zuletzt seinem Engagement; an deren Organisation ist er noch immer beteiligt.

Die lange vorherrschende unkritische Einstellung zu einem rechten Autokraten wie Putin ist rational nur schwer erklärbar.

Über all die Jahrzehnte stand für van Ooyen fest, von wem die Kriegsgefahr auf keinen Fall ausging: von Russland. Noch am 7. Februar hatte er mit 200 Gleichgesinnten – unter anderem Gregor Gysi, Christoph Butterwegge, Daniela Dahn, Frank Deppe, Wolfgang Fritz Haug, Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht – einen mittlerweile nur noch absurd wirkenden Aufruf unter der Überschrift »Friedenspolitik statt Kriegshysterie« gestartet, in dem es wörtlich heißt: »Trotz der Militärmanöver in der Nähe zur Ukraine hat Russland kein Interesse an einem Krieg.« Ebenso steht van Ooyens Name unter dem Aufruf des Aktionsbündnisses gegen die Münchner Sicherheitskonferenz, die nur Tage vor dem russischen Überfall auf die Ukraine stattfand. Dessen Überschrift: »Stoppt den Kriegskurs der Nato-Staaten«.

Der Krieg in der Ukraine stellt eine Zäsur für die alte Friedensbewegung in der Bundesrepublik dar, die ohnehin nur noch ein Schatten ihrer selbst ist. Ihr bisheriger »Minimalkonsens« war die Gegnerschaft zur Nato und basierte auf einer fatalen Lebenslüge ihrer Protagonisten, die von den russischen Bomben zerstört worden ist. Denn offenkundig ist nicht allein die Nato das Problem. Die Friedensbewegung jedoch hatte schon die Sowjetunion idealisiert und begriff das Russland Wladimir Putins als deren Fortsetzung.

Das Problem ist nicht neu. Die Ostermarschbewegung erreichte im April 1968 einen Höhepunkt, als sich bundesweit rund 300 000 Menschen an der »Kampagne für Demokratie und Abrüstung« beteiligten. Vier Monate später marschierten die Truppen des Warschauer Pakts in der ČSSR ein und schlugen den Prager Frühling nieder. In den Folgemonaten spaltete sich der »Zentrale Ausschuss«, das Organisationskomitee des Ostermarschs. Der Grund: Der in der eben gegründeten DKP und ihren Vorfeldvereinen organisierte moskauorientierte Flügel lehnte es ab, die Mili­tärintervention zu verurteilen. Die Folge: Die Friedensmärsche fanden zunächst nicht mehr statt, ein Jahrzehnt lang konnten sich die Friedensfreunde an den Osterfeiertagen einer anderen Freizeitgestaltung widmen. Erst der sogenannte Nato-Doppelbeschluss von 1979 sorgte für ein Wiederaufleben der Friedensbewegung, wobei es ein ungeklärter Konflikt blieb, ob sich der Protest nur gegen die Stationierung von US-amerikanischen Pershing-II-Raketen und Cruise Missiles richten sollte oder auch gegen die russischen SS-20-Raketen.

Bemerkenswert ist, dass nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Teile der Linken ihr – schon zu Sowjetzeiten falsches – Bild Russlands als vermeintliche Friedensmacht beibehalten haben. Und zwar nicht nur jene, die dem »realen Sozialismus« nachtrauern wie beispielsweise die DKP, die Junge Welt oder der Deutsche Freidenker-Verband, die auch jetzt noch Wladimir Putin unverbrüchlich die Treue halten. Rational ist die allzu lange vorherrschende unkritische Einstellung zu einem rechten Autokraten wie Putin nur schwer erklärbar, der nicht erst seit gestern einer aggressiven großrussisch-zaristischen Ideologie anhängt. Erst Putins Rede einen Tag vor dem Einmarsch, in der er der Ukraine die Staatlichkeit absprach und sie als schlimmes Fehlkonstrukt Lenins bezeichnete (»Wladimir-Iljitsch-Lenin-Ukraine«), habe ihn »eines Besseren belehrt«, sagt van Ooyen, der von 2008 bis 2017 Fraktionsvorsitzender der Linkspartei im hessischen Landtag war.

Ob die alte Friedensbewegung nochmal Zugang finden werde zu den vielen Menschen, die derzeit gegen den Krieg auf die Straße gehen, sei »eine offene Frage«, schreibt der ehemalige Linksparteivorsitzende und Bundestagsabgeordnete Bernd Riexinger auf dem Internetportal der »Bewegungslinken«. Das »wird davon abhängig sein, ob sie glaubwürdig eine Korrektur ihres bisherigen Kurses vornimmt«. Gleiches gilt für die Partei Riexingers selbst.