In der SPD gab es lange eine regelrechte »Putin-Connection«

Kein Wandel, nur Handel

Bis vor wenigen Wochen haben sich einflussreiche Sozialdemokraten für enge Wirtschaftsbeziehungen mit Russland eingesetzt.

Diesen Freitag wäre der 100. Geburtstag von Egon Bahr gewesen. Bahr war in den sechziger und siebziger Jahren die rechte Hand Willy Brandts, zunächst im Berliner Rathaus, später im Bundeskanzleramt. Derzeit ist Bahrs Name wieder in den Medien zu lesen, und nicht nur wegen des runden Geburtstags. Egon Bahr war Brandts Mann für die Ostpolitik. Anfang der Sechziger entwickelte er das Konzept »Wandel durch Annäherung«. Zunächst konnte er es in Westberlin ausprobieren, wo Brandt ab 1957 Regierender Bürgermeister war.

Später wandte Bahr es als Bundesminister für besondere Aufgaben auch in der Bundespolitik an. Bahr gilt als »Architekt der Ostverträge«, er stand führend für die damalige deutsche Entspannungspolitik. Durch völkerrechtliche Verträge, kulturellen Austausch und wirtschaftliche Zusammenarbeit – schon damals war sowjetisches Gas für Deutschland interessant – sollten die Sowjetunion und die DDR so eng mit Westdeutschland verbunden werden, dass ein Krieg unmöglich werde. Heutzutage wird jedoch gerne vergessen, dass diese Politik von militärischer Aufrüstung begleitet wurde. 1974 gab die BRD 3,4 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für das Militär aus. Auch war die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwar vorteilhaft für beide Seiten, führte aber längst nicht zu so einer starken Abhängigkeit wie es bei den russischen Energielieferungen heutzutage der Fall ist.

Doris Schröder-Köpf schrieb kürzlich auf Whatsapp an die SPD Hannover, nach ihrer »festen Überzeugung« dürfe man »Gerd nicht in eine Reihe mit Hitler stellen«.

Brandts Ostpolitik hat das Verhältnis der Sozialdemokratie zunächst zur Sowjetunion, dann zu Russland geprägt. Wenn in den vergangenen Jahren irgendwo ein SPD-Politiker etwas Fragwürdiges in Hinblick auf Russland geäußert oder sich finanziell auf russische Unternehmen eingelassen hat, dann waren die entsprechenden Bahr-Zitate zur Rechtfertigung nicht weit. Auch für Wladimir Putins nicht mal mehr realsozialistisches Russland wurde die Formel »Wandel durch Annäherung« oder in der platteren Form »Wandel durch Handel« bemüht. Mit solcher Rhetorik wurden in den vergangenen Jahren die fragwürdigsten Verbindungen gerechtfertigt.

Am meisten hat sich dabei der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder hervorgetan. Nach seiner Niederlage bei der Bundestagswahl 2005 dauerte es nur drei Monate, bis Schröder Vorsitzender des Aktionärsausschusses der neu gegründeten Nord Stream AG wurde – das Unternehmen gehört zu 51 Prozent dem russischen Staatskonzern Gazprom. Dem Manager Magazin zufolge soll der Altkanzler für diesen Job 250 000 Euro im Jahr bekommen haben. Schröder hatte als Bundeskanzler erst kurz vor der Bundestagswahl 2005 gemeinsam mit Wladimir Putin das Pipeline-Projekt Nord Stream 1 besiegelt. Insbesondere die baltischen Staaten und Polen hatten das Projekt von Anfang an kritisiert. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Putin sagte Schröder damals, »diese Zusammenarbeit ist gegen niemanden gerichtet, sondern dient deutschen Interessen und dient russischen Interessen.« Er wisse nicht, was daran falsch sein solle.

Schröders weiterer Werdegang ist bekannt. Es folgten Tätigkeiten für verschiedene russische Firmen – bis heute ist er Aufsichtsratsvorsitzender des staatlichen Ölkonzerns Rosneft – und eine sich scheinbar stetig vertiefende Männerfreundschaft zu Wladimir Putin. Bizarrer Höhepunkt dieser Beziehung war die persönliche Friedensmission, in der Schröder vergangene Woche nach Moskau reiste. Seine Ehefrau So-yeon Schröder-Kim begleitete die Reise auf Instagram und postete ein Bild, das sie in andächtiger Pose vor dem Hintergrund des Roten Platzes in Moskau zeigte. Über Erfolge der Friedensbemühungen des Altkanzlers ist bislang nichts bekannt geworden.

Gerhard Schröder wird nicht nur von seiner gegenwärtigen, mittlerweile fünften Gattin unterstützt. Auch Doris Schröder-Köpf sprang ihrem ehemaligen Mann kürzlich zur Seite. Wie zuerst die Bild-Zeitung berichtete, schrieb sie in einer Whatsapp-Nachricht an die SPD Hannover, nach ihrer »festen Überzeugung« dürfe man »Gerd nicht in eine Reihe mit Hitler stellen«. Sie reagierte damit auf Bestrebungen, dem Altkanzler die Ehrenbürgerwürde von Hannover zu entziehen. Derzeit läuft außerdem ein Parteiordnungsverfahren gegen Schröder. Die SPD-Parteiführung hatte ihn aufgefordert, seine Posten bei russischen Staatskonzernen aufzugeben; bisher weigert sich der ehemalige Bundeskanzler.

Schröder-Köpf sitzt seit 2013 für die SPD im niedersächsischen Landtag und ist Landesbeauftragte für Migration und Teilhabe. Auch noch kurz vor ihrer Scheidung von Gerhard Schröder lobte sie Putin in den höchsten Tönen. 2017 meinte sie in einem Interview mit dem in der EU inzwischen verbotenen russischen Staatssender und Nachrichtenportal Sputnik, Putin sei ein »ausgesprochen differenzierter, ein sehr kluger Mann, der durchaus auch Kritik einstecken kann«. Nachdem diese Äußerungen Anfang März von der FAZ aufgegriffen worden waren, distanzierte sie sich. »Das Gesicht Putins, das wir heute sehen, war damals nicht erkennbar«, sagte Schröder-Köpf der DPA.

Auch der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil übt sich seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine in scharfer Abgrenzung zu Russland. Er forderte sogar Schröder dazu auf, seine Posten bei russischen Staatskonzernen aufzugeben. Das war aber nicht immer so. Noch nach dem Giftanschlag auf Aleksej Nawalnyj im Jahr 2020 hatte sich Weil in einer Stellungnahme mit dem Titel »Sanktionen sind Sackgassen« einer härteren Haltung gegen Russland widersprochen. Auch diese Stellungnahme kam nicht ohne Egon-Bahr-Sentenz aus. »In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie und Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten«, wurde Bahr in der Pressemitteilung des niedersächsischen Ministerpräsidenten zitiert.

Eine zentrale Rolle in der niedersächsisch-sozialdemokratischen Russland-Connection spielt der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Heino Wiese. Der heutige SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil hatte nicht nur in Hannover im Wahlkreisbüro von Gerhard Schröder gearbeitet, als der noch Bundeskanzler war – er war auch für Heino Wiese tätig. Bis zum Kriegsbeginn war ­Wiese russischer Honorarkonsul in Hannover. Parallel dazu betrieb er eine Consulting-Firma. Deren Website zufolge strebte Wiese dabei an, »eine Brücke zwischen Politik und Wirtschaft« zu schlagen, vor allem was die »deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen« angeht. Der FAZ zufolge soll die Firma 2016 14 000 Euro an die SPD gespendet haben; Wiese war zu dem Zeitpunkt schon russischer Honorarkonsul.

Am Tag des russischen Angriffs auf die Ukraine sagte Wiese der FAZ, er könne »seit heute nicht mehr rechtfertigen«, wie Russland agiere. Nach der versuchten Ermordung Nawalnyjs 2020 hatte er noch gesagt, es gebe »keinen Beweis« dafür, dass Russland hinter dem Giftanschlag stecke. Der FAZ zufolge soll Wiese bei mehreren Russland-Reisen des niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil für Treffen mit führenden russischen Industrievertretern gesorgt haben. Am 5. Januar nahm Wiese an einem Abendessen in Hannover teil, das vom Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Johann Saathoff, angeregt worden war. Ebenfalls anwesend waren Gerhard Schröder, der ehemalige Ministerpräsident Brandenburgs und Vorstandsvorsitzende des Deutsch-Russischen Forums, Matthias Platzeck, und der vormalige Kanzlerkandidat der SPD, Martin Schulz, der mittlerweile die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung leitet.

Auch die mecklenburg-vorpommerische Ministerpräsidentin Manuela Schwesig hat in den vergangenen Wochen wegen ihrer früheren Haltung zu Russland Kritik einstecken müssen. In ihrem Bundesland sollte das Gas aus der Pipeline Nord Stream 2 ankommen und weitergeleitet werden. Schwesig hatte sich stets für dieses Indus­trieprojekt eingesetzt. So wurde in Mecklenburg-Vorpommern eine Stiftung gegründet, die vom Land mit 200 000 Euro und von der Nord Stream 2 AG mit 20 Millionen Euro finanziert wurde. Vordergründig soll sich die Stiftung für Umweltschutz einsetzen, doch sie diente auch dazu, potentielle US-amerikanische Sanktionen zu umgehen und über eine Tochterfirma die Fertigstellung der Pipeline Nord Stream 2 voranzutreiben. Die Stiftung soll nun aufgelöst werden, das Pipeline-Projekt liegt auf Eis.

Mittlerweile gesteht der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil »Fehleinschätzungen« seiner Partei ein. Man hätte die »Entwicklung in Russland früher anders bewerten müssen«, sagte er vergangene Woche dem Spiegel. Dennoch sei es richtig gewesen, auf »Dialog und Ausgleich zu setzen«.