Korsikas Streben nach Autonomie

Tod im Trakt

Die französische Regierung hat nach den Ausschreitungen in Korsika den dortigen Separatisten Zugeständnisse gemacht.

Er galt einstmals als Staatsfeind Nummer eins, nun ist er tot. Yvan Colonna wurde das Opfer eines jihadistischen Mordanschlags im Hochsicherheitstrakt. Im Alter von 61 Jahren ist der frühere Ziegenzüchter und korsische ­Nationalist am Montag in einem Gefängniskrankenhaus in Marseille gestorben. Am 2. März hatte ihn ein Mithäftling in der Haftanstalt im südfranzösischen Arles erst mit Schlägen traktiert, dann mit bloßen Händen gewürgt und schließlich mit Hilfe einer Plastiktüte erstickt. Acht Minuten lang hatte die tödliche Attacke in einem Sportraum des Gefängnisses gedauert, bevor die Wächter eingriffen – sie taten es zu spät, Colonna lag seitdem im Koma.

Der Täter ist ein 36jähriger Jihadist, der aus Kamerun stammende Konvertit Franck Elong Abé. Er folgte einer salafistischen Strömung, 2011 reiste er nach Afghanistan, wo er im darauffolgenden Jahr von US-Truppen gefangengenommen wurde. Als jihadistischer Kombattant saß er dort zwei Jahre in der Haftanstalt von Bagram ein, später wurde er an Frankreich ausgeliefert und 2020 wegen terroristischer Aktivitäten zu neun Jahren Haft verurteilt. Elong Abé wurden ferner ein Ausbruchsversuch sowie 14 Vergehen in Haft, darunter Brandstiftung, vorgeworfen.

Innenminister Darmanin versprach rechtliche Autonomie, sprich die Gesetzgebungsbefugnis des Inselparlaments bei Korsika betreffenden Angelegenheiten.

Elong zufolge habe Colonna zwei Tage vor dem Angriff zu ihm gesagt: »Ich spucke auf Gott.« Beweise dafür gibt es keine, Colonna konnte nicht mehr dazu befragt werden. Abé stufte die angebliche Aussage als Blasphemie ein, die mit dem Tod bestraft werden müsse.

Die konservative Präsidentschaftskandidatin und frühere Richterin Valérie Pécresse forderte in einer ihr gewidmeten Wahlsendung Anfang März, kurz nach Bekanntwerden des Angriffs, den im Koma liegenden Colonna nicht mehr als besonders gefährlichen Häftling einzustufen. Der französische Premierminister Jean Castex traf später diese Entscheidung. Nachdem Colonna schließlich offiziell für tot erklärt worden war, verglich Innenminister Gérald Darmanin den Angriff mit dem auf den Lehrer Samuel Paty, der 2020 von einem Jihadisten geköpft wurde. »Es ist eindeutig ein terroristischer Akt«, so Darmanin, der aber hinzufügte: »Nicht alles ist vergleichbar.«

Paty war ein unbescholtener Lehrer. Colonna hingegen galt als Todesschütze eines siebenköpfigen Kommandos, das am 6. Februar 1998 den damals für Korsika zuständigen Präfekten Claude Érignac erschossen hatte, den höchsten Repräsentanten des französischen Staats auf der Insel. Colonna blieb jahrelang in einem einsamen Versteck im korsischen Hinterland, einer alten Schäferei, versteckt und wurde erst im Juni 2003 in einer spektakulären Aktion der polizeilichen Eliteeinheit Raid verhaftet.

Colonna bestritt stets die Tatbeteiligung, wurde jedoch 2011 letztinstanzlich zu lebenslanger Haft verurteilt. Andere Mitglieder des »Commando Érignac«, der Gruppe der am Attentat beteiligten Personen, die Autonomie von Frankreich mit Gewalt erreichen wollten, sitzen nach wie vor in Poissy in der Nähe von Paris ein. Das sorgt bei korsischen Nationalisten seit längerem für Unmut, aber auch über deren Reihen hinaus bei nicht wenigen Korsen. Sie fordern seit Jahren, dass die Häftlinge nach Korsika verlegt werden, um Besuche ihrer Familien zu ermöglichen. Colonna hatte 2011 in Haft geheiratet und einen zehnjährigen Sohn. Zwei andere Mitglieder des Kommandos sollen nun bald nach Korsika verlegt werden, wo der Regierung zufolge die Haftanstalt von Sartène erst noch für erhöhte Sicherheitsvorkehrungen umgebaut werden muss.

Seit dem Angriff auf Colonna gab es mehrere militante Demonstrationen und Brandstiftungen an öffentlichen Gebäuden wie am Gerichtssitz in Korsikas Hauptstadt Ajaccio; auch die verhasste Steuerbehörde wurde gestürmt und besetzt gehalten. Den korsischen Nationalisten ist es gelungen, viele Jugendliche, nicht zuletzt Oberschüler zu mobilisieren, die ihre Wut auf den französischen Staat ausdrückten. Letzterer wird auf Transparenten und in Parolen als »Mörder« bezeichnet, weil die Verlegung Colonnas auf die Insel abgelehnt worden war und er im stark gesicherten Gefängnis von Arles mit Elong Abé alleingelassen wurde.

Innenminister Darmanin reiste wegen der Proteste vorige Woche von Mittwoch bis Freitag nach Korsika. Dabei machte er den korsischen Nationalisten weitreichende Zugeständnisse. Das Parteienbündnis Femu a Corsica, in dem Separatisten und Regionalisten vertreten sind, verfügt seit 2015 über die Mehrheit im Regionalparlament, die es 2017 noch ausbauen konnten. Darmanin versprach rechtliche Autonomie, die Gesetzgebungsbefugnis des Inselparlaments bei Korsika betreffenden Angelegenheiten.

Diese ist allerdings seit längerem im Gespräch und war auch schon Verhandlungsgegenstand. Die sozialdemokratische Regierung unter Lionel Jospin brachte 2001 einen entsprechenden Gesetzentwurf ein. Der damalige Innenminister Jean-Pierre Chevènement hatte bereits im August 2000 seinen Rücktritt eingereicht, da er dagegen war, den korsischen Nationalisten entgegenzukommen, und für die Konzep­tion des Einheitsstaats eintrat. Bis zum Vorstoß der Regierung Jospin galt es als Tabu, Gebietskörperschaften innerhalb der französischen Republik gesetzgeberische Vollmachten einzuräumen (nur das weit entfernt liegende Französisch-Polynesien verfügt über solche). Ein Grund dafür ist eine Konzeption von Rechtsgleichheit, die aus der Französischen Revolution mit der Abschaffung der alten Provinzen und Feudalrechte stammt, ihre heutige Gestalt aber unter der Herrschaft Bonapartes annahm.

Nach dem Regierungswechsel 2002 arbeitete die konservative Regierung von Jean-Pierre Raffarin den Gesetzentwurf aus, 2003 stimmte Korsika über die Verwaltungsreform in einem Referendum ab. Die Mehrheit lehnte die Vorlage damals allerdings ab: Beschäftigte im öffentlichen Dienst auf Korsika befürchteten Nachteile, während die Nationalisten über die Verhaftung Colonnas erzürnt waren, die in ihren Augen absichtsvoll eine Woche vor dem Abstimmungstag vorgenommen worden sei.

Am Mittwoch voriger Woche schrieb die satirische Wochenzeitung Le Canard enchaîné, der neue Autonomieplan sei nicht als Reaktion auf die jüngsten Unruhen ausgearbeitet worden, wie behauptet. Vielmehr liege er seit Monaten in den Schubladen, Präsident Emmanuel Macron habe ihn vor der Präsidentschaftswahl den ­Korsinnen und Korsen präsentieren wollen.