Foltervorwürfe gegen Söldner der russischen Gruppe Wagner in Mali

Destabilisieren und foltern

In Mali werden Söldnern der russischen Gruppe Wagner Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Zahlreiche Söldner der Gruppe sollen auch in der Ukraine im Einsatz sein.

Grund zur Freude hatte die malische Öffentlichkeit am Donnerstag voriger Woche. An jenem Tag hob der Gerichtshof der Westafrikanische Wirtschafts- und Währungsunion (UEMOA), von der Funktion her ungefähr mit dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg vergleichbar, alle Sanktionen der Union gegen den Mitgliedsstaat Mali vorläufig auf.

Die einstweilige Verfügung mit der Nummer 06/2022/CJ wurde damit begründet, dass Zweifel an der Recht­mäßigkeit der Zwangsmaßnahmen gemäß der gemeinsamen Rechtsordnung der Union sowie an der Zuständigkeit ihrer Kommission bestünden. Die Auswirkungen der wirtschaftlichen Restriktionen seien vor diesem Hintergrund zu gravierend. Ihre Aussetzung bis zur Entscheidung in einem Hauptverfahren, das länger dauern kann, sei deswegen erforderlich. In der zweiten ­Januarwoche hatten die UEMOA und die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas) die wirtschaftlichen und diplomatischen Sanktionen gegen das Land verschärft, um die von der Armee dominierte, seit anderthalb Jahren amtierende Übergangsregierung in Mali zur Anberaumung eines baldigen Wahltermins zu veranlassen. Daraufhin waren Flugverbindungen nach Mali eingestellt worden, diese wurden allerdings mittlerweile zum Großteil wieder aufgenommen; zudem wurden Überweisungen malischer Arbeitsmigranten aus dem Ecowas-Staaten an ihre Familien eingefroren.

Ein Beitrag in »Le Monde« schildert Folter mit Elektroschocks, die Simulation von Ertrinken-lassen, zudem, dass Gefangene
mit dem Kopf nach unten aufgehängt wurden.

Die Freude über ein Ende der Sanktionen erhielt jedoch kurz darauf einen Dämpfer. Nach einem Sondergipfel der Ecowas am 25. und 26. März in Ghanas Hauptstadt Accra beschloss die Gemeinschaft, ihre Sanktionen gegen Mali ­aufrechtzuerhalten. Die malischen Machthaber sind aufgefordert, Wahlen innerhalb der nächsten zwölf bis 16 Monate abzuhalten.

Die Militärregierung hat in Mali ­viele Kritiker, aber auch nicht wenige Unterstützer, die sich vor allem gegen Einflussnahme aus dem Ausland wehren – insbesondere aus Frankreich und mit ihm verbündeten Regierungen in Westafrika.

Eine andere Entwicklung dürfte zu größeren Kontroversen in Mali geführt haben als das Hin und Her bei den Sanktionen: Am 15. März dieses Jahres publizierte die Menschenrechtsorga­nisation Human Rights Watch (HRW) einen Untersuchungsbericht zu Übergriffen und Misshandlungen durch die malische Armee und russische Söldner in Mali. Darin berichten Augenzeugen etwa über scharfe Verhöre von Zivilisten, denen Zusammenarbeit mit Jihadisten vorgeworfen wird, in einem ­Armeecamp in Diabaly im Kreis Niono und einem weiteren, seit Ende Januar eingerichteten Camp im selben Verwaltungsbezirk. Eines Nachts Anfang März seien geschwächte Personen aus dem Lager in Diabaly abtransportiert, am folgenden Tag 35 Leichen aufgefunden worden, ist in dem Bericht zu lesen. Am Vortag der Publikation des Untersuchungsberichts veröffentlichte Le Monde ebenfalls einen Beitrag über Menschenrechtsverletzungen in den beiden Einrichtungen der malischen Armee, an denen russische Staatsbürger und Angehörige des privaten russischen Sicherheits- und Militärunternehmens Gruppe Wagner, das eher ein Netzwerk verschiedener Söldnergruppen ist, beteiligt seien. Geschildert wird Folter mit Elektroschocks und die Simu­lation von Ertrinkenlassen, zudem, dass Gefangene mit dem Kopf nach unten aufgehängt wurden. Fotos, die die Redaktion der Zeitung habe sehen können, zeigten Dutzende verkohlte Leichen sowie einen Mann, dessen Rücken mit Narben durch Peitschenhiebe überzogen war.

Bereits am 23. Dezember hatten 15 Mitgliedsländer der EU und Kanada zusammen eine kritische Erklärung zur Präsenz der Gruppe Wagner in der Sahelzone veröffentlicht. Seit Ende vergangenen Jahres hatten internationale ­Medien immer wieder vermeldet, Wagner-Söldner seien in Mali präsent. Bekannt ist dies bereits aus anderen afrikanischen Staaten. Im Bürgerkriegsland Libyen etwa unterstützten Söldner der Gruppe Wagner den von Ostlibyen aus gegen die Regierung in Tripolis vorrückenden General Khalifa Haftar, in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) zählt seit 2016 der Schutz des Präsidenten zu ihren Aufgaben; auch bei diesen beiden Missionen werden den Söldnern Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Darüber hinaus kamen Söldner der Gruppe Wagner bereits im Sudan, in Angola, Madagaskar, Guinea, Mosambik, im Kongo und in Botswana zum Einsatz, aber auch in Syrien auf Seiten des Regimes und in weiteren Ländern. Zwar gilt die Gruppe ­Wagner als Privatunternehmen, Beobachter sind sich jedoch darin einig, dass sie sich an Vorgaben des rus­sischen Staats hält und als informelle halbstaatliche Truppe zum Einsatz kommt. Foreign Policy zufolge vermute das US-Außenministerium, die Gruppe Wagner betreibe ein »destabilisierendes Engagement in zahlreichen regionalen Konflikten«. Bereits Mitte Dezember hatte die EU die Gruppe Wagner mit Sanktionen belegt.

Nicht wenige Malierinnen und Malier hatten das Eintreffen russischer »Militärberater«, wie deren offizielle Funktionsbezeichnung dort lautet, zunächst begrüßt. Der Hauptgrund dafür liegt in der Enttäuschung über die Bilanz der gegen Jihadisten in der Sahelzone gerichtete, von Frankreich angeführte Militäroperation Barkhane, deren Beendigung Präsident Emmanuel Ma­cron am 17. Februar offiziell angekündigt hat. Neben Beschwerden über die wirtschaftliche Dominanz der früheren Kolonialmacht Frankreich kursieren auch substanzlose Gerüchte: Frankreich habe unter anderem Waffen an die Jihadisten geliefert, damit französische Truppen unter dem Vorwand, diese zu bekämpfen, länger im Land bleiben könnten.

Genährt wurden solche Gerüchte auch durch das russische Propaganda- und Mediennetzwerk. Die vielgelesene, täglich Newsletter versendende Website Maliactu etwa übernimmt weit­gehend die russische Lesart – auch zum derzeitigen Krieg in der Ukraine – und Inhalte staatsfinanzierter russischer Medien, namentlich der Website Sputnik in ihrer französischsprachigen Ausgabe und des Fernsehsenders RT France. Wie den übrigen Ablegern des regierungsnahen Auslandssenders RT (früher Russia Today) wurde diesem die Ausstrahlung in der Europäischen Union seit dem 2. März untersagt. Über VPN-Kanäle (virtuelle private Netzwerke) kann er jedoch weiterhin empfangen werden.

Aufnahmen in einem am 13. März vom öffentlich-rechtlichen Sender France 5 ausgestrahlten und zusammen mit der russischen oppositionsnahen Zeitung Nowaja Gaseta produzierten Dokumentarfilm belegen, dass die Gruppe Wagner eine Luftwaffenbasis der Armee in Russland als Stützpunkt und Drehscheibe nutzt. Die Nowaja Gaseta hat am Montag bis auf Weiteres das Erscheinen eingestellt. Damit wollte sie einem Publikationsverbot zu­vorkommen, das gemäß geltenden russischen Gesetzen drohen würde, sollte die Zeitung den Krieg in der Ukraine tatsächlich als solchen bezeichnen. Der Dokumentarfilm zeigt unter anderem Aufnahmen aus der ZAR, auf denen Söldner einen Zivilisten erschießen, der sich auf der Flucht vor ihnen in die Büsche schlug. Eine Zeugin schildert eine Gruppenvergewaltigung durch 15 russische Kombattanten. Gezeigt wird zudem, dass Söldner des 2014 gegründeten Unternehmens Wagner bereits vor Jahren an Kämpfen auf Seiten der von Russland unterstützten sogenannten Volksrepubliken im Osten der Ukraine teilgenommen haben.

Das britische Verteidigungsministerium berichtete am Montagabend, dass mehr als 1 000 Söldner der Gruppe Wagner in der Ostukraine eingesetzt werden sollen. Dafür werden verschiedenen Medienberichten zufolge auch Söldner aus anderen Einsatzgebieten herbeigeholt beziehungsweise angeworben. Bereits Ende Januar hatte The Daily Beast berichtet, Wagner ziehe Dutzende von kampferprobten Söldnern aus Afrika ab, um sie nach Osteuropa zu schicken. So sollen Kämpfer aus der ZAR ihre Absicht bekundet haben, sich in die Ukraine zu begeben. Mitte März behauptete der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu, 16 000 freiwillige Kämpfer aus dem Nahen Osten hätten sich bei ihm gemeldet, um in der Ukraine zu kämpfen.

Während die russische Propaganda in der Ukraine von einem Kampf gegen Neonazis fabuliert, sind die Verbindungen der Gruppe Wagner zu russischen Rechtsextremen dokumentiert. Die Initiative Tech Against Terrorism komme dem Guardian zufolge in ihrer Analyse zu dem Schluss, von Russland unterstützte Kräfte in der Ukraine, einschließlich der Gruppe Wagner, seien »mit ziemlicher Sicherheit mit rechtsextremen Organisationen verbunden«.

In dem erwähnten Dokumentarfilm ist auch zu sehen, wie russische Söldner einen Deserteur der syrischen Regierungsarmee bei lebendigem Leib verbrennen und aus dem Kampfgebiet in Syrien Videos veröffentlichen, die denen des »Islamischen Staats«, die einen regelrechten Todeskult zelebrieren, nur wenig nachstehen. Die Berichte über die Gruppe Wagner lassen nicht nur für Mali Schlimmes befürchten.