Jason Pierce hat mit seiner Band Spiritualized ein neues Album veröffentlicht

Sehnsucht nach dem  Weltall

Jason Pierce spielte mit seiner Band Spacemen 3 bereits in den Achtzigern eine Musik, die erst in den Neunzigern als Shoegaze berühmt werden sollte. Auf dem neunten Album von Spiritualized, seiner Band seit 1990, wird er unter anderem seinem Bühnennamen J Spaceman wieder einmal gerecht.

Beep-beep-beep, beep-beep-beep, beep-beep-beep: Zu Beginn des neuen Albums der britischen Band Spiritualized ertönt ein Übertragungssignal, das an den Start einer Rakete erinnert. Die Nasa, Apollo 11, das Space Age sind die Assoziationen. Eine Stimme – sie gehört Polly, der Tochter des Masterminds der Band, Jason Pierce – spricht vorab mit traurigem Timbre den Satz: »Everything was beautiful.« Der Ton für das gleichnamige Album sei damit gesetzt ge­wesen, erzählt Jason Pierce im Interview mit der Jungle World: »Es fühlte sich plötzlich an, als würde jemand aus dem Orbit auf die Erde herabblicken. Durch diese Perspektive ergab sich die gedämpfte, melancholische Atmosphäre. Das Stück hat zwar auch etwas Romantisches, aber es ist kein Feel-good-Song.«

Das Auftaktstück mit dem Titel »Always Together With You«, von dem Pierce hier spricht, fasst zusammen, was die seit 1990 bestehende Band auszeichnet. Zunächst meint man, einen fluffigen Liebessong mit Doo-Wop-Chören und orchestralem Pomp zu hören, darunter aber verbirgt sich auch eine dicke Schicht Schwermut. Anklänge an das epochale Spiritualized-Album »Ladies and Gentlemen We Are Floating in Space« von 1998 sind diesem Opener deutlich anzumerken, das damalige Album eröffnete ganz ähnlich.

»Ich bin auf eine Art und Weise von Musik besessen, die nicht gesund ist. Jeder kleinste Part, jedes Detail interessiert mich.« Jason Pierce

Die Geschichte der Band Spiritualized ist lang und ereignisreich – und sie hat eine Vorgeschichte, die davon durchzogen ist, das Weltall als Sehnsuchtsort zu zelebrieren. Jason Pierce hat sich früh den Bühnennamen J Spaceman zugelegt. Der Musiker, der bei Spiritualized so gut wie alle Songs komponiert, arrangiert und produziert, kam 1965 in der Stadt Rugby nahe Coventry zur Welt, wo er auch aufwuchs.

Gemeinsam mit Peter Kember gründete er 1982 in Rugby zunächst Spacemen 3, die mit ihrem Shoegaze-Psychedelic-Kraut-Gebräu mit den Mitteln der Vergangenheit ihrer Zeit weit voraus waren. Geschult waren Pierce und Kember am US-amerikanischen Trash Rock. »Wir beide hatten direkt einen guten Draht zueinander. Pete mochte die Cramps, ich war Fan der Stooges. Auf den Postern von den Stooges sah man dann einen MC5-Schriftzug, und so lernte man all ­diese Bands kennen«, sagt Pierce. Auch lokale Helden wie die in Coventry gegründeten The Specials hätten ihn geprägt.

Spacemen 3 bereiteten mit ihrem manchmal dröhnenden, manchmal leiernden Sound den Boden für Gruppen wie My Bloody Valentine oder The Jesus and Mary Chain, doch bekannt wurden sie eigentlich erst nach ihrer Auflösung Anfang der neunziger Jahre. »Spacemen 3 waren ein kleineres Phänomen, als die meisten Leute glauben. In Coventry haben wir in einem Pub vor acht oder zehn Leuten gespielt, an der Coventry University vor vielleicht 40 Personen. Wir waren eher wie ein Feuerwerk, das kurz und hell geleuchtet hat, bei dem aber die wenigsten Menschen dabei waren«, resümiert Pierce.

Die Alben von Spacemen 3 aber sind geblieben, sie tragen für sich sprechende und T-Shirt-Spruch-taugliche Titel wie »Taking Drugs to Make Music to Take Drugs To« (1990) oder »For All the Fucked Up Children of This World We Give You Spacemen 3« (1995) – beide Alben sind Sammlungen von Demo-Tracks, die nach dem Split der Band 1990 herauskamen. Ein Mythos bleiben Spacemen 3 bis heute, angeblich soll Pierce vor ein paar Jahren zwei Millionen Pfund für eine Reunion angeboten bekommen haben. Natürlich lehnte er ab.

Nachdem es zwischen Pierce und Kember, die beide zum Genuss harter Drogen tendierten, ordentlich gekracht und die Band sich aufgelöst hatte, gründete Pierce 1990 Spiri­tualized und ging mehr in Richtung Psychedelic Pop und große Popoper. Kember wandelte derweil unter seinem Solo-Künstlernamen Sonic Boom auf krautrockigen Pfaden, später trat er unter den Namen Spectrum und Experimental Audio Research (E.A.R.) in Erscheinung. Waren die ersten beiden Spiritualized-Alben eher noch Geheimtipps, wurden Spiritualized 1998 mit »Ladies and Gentlemen We Are Floating in Space« berühmt. Der Titelsong – mit der ­Elvis-Referenz »Can’t Help Falling in Love« in den Lyrics – zeigt schon, in welchem Fach es Pierce zur Perfektion bringen sollte: Simple Pop-Slogans mit aufwendigen Kompositionen zu vereinen, gelingt kaum einem so gut wie ihm.

Noch vor der Pandemie hat er begonnen, an dem neuen Album zu arbeiten, er selbst spielt darauf nicht weniger als 17 verschiedene Instrumente (mehrere Gitarrentypen und Bass, Keyboards und Glockenspiel). Einmal mehr ist ihm so ein großes, in sich geschlossenes Werk gelungen, dem man den Einfluss von The Velvet Underground und The Stooges noch anhört, das aber auch mit Chören sowie Gospel- und Soul-Anleihen daherkommt. Auffallend sind die akribischen Arrangements, der im Gespräch auskunftsfreudige Pierce sagt dazu: »Ich bin auf eine Art und Weise von Musik besessen, die nicht gesund ist. Jeder kleinste Part, jedes Detail interessiert mich. Ich habe auf dem Album das gemacht, was ich schon immer gerne gemacht habe: zum Beispiel eine Pedal-Steel-Gitarre mit Posaunen zusammenbringen, eine Ukulele mit ­einem Horn oder ein Glockenspiel mit Pauken. Diese Art zu arbeiten habe ich von Brian Wilson von den Beach Boys geklaut, so entsteht am Ende ein Nebeneinander von Sounds, das diese gewisse Magie erzeugt.«

Es bleibt der Eindruck, dass Pierce, der seit langem in London lebt, unter den britischen Rockmusikern einer der US-amerikanischsten ist. Die spezielle Britishness, die man bei einigen Acts der Achtziger und Neunziger von Echo and the Bunnymen bis zu Oasis ausmachen konnte, klingt hier nicht an. »Crazy« ist ein Americana-Track, »The A Song (Laid in Your Arms)« borgt sich einen Hauch Stadionrock bei Bruce Springsteen, das abschließende »I’m Coming Home Again« klingt dagegen ein bisschen nach düsterer Jazzbar, nicht unähnlich dem Sound von Tom Waits. ­Wobei man den angloamerikanischen Pop aus guten Grund häufig in gemeinsamer Tradition sehen sollte und die Trennlinien nicht klar ver­laufen. Eine dicke Portion Beatles-Einfluss ist bei Spiritualized entsprechend auch meist zu hören.

Wenn Pierce politisch wird, dann meist subtil. So ist der Song »Main­line«, der nach den Black-Lives-­Mat­ter-Protesten 2020 geschrieben wurde, auf den ersten Blick kaum als Stellungnahme zu erkennen. »There’s a change in the air ’round here/And I wanted to know if you wanted to go to the city tonight«, singt Pierce darin. Zu dem Stück sagt er: »Der Song war lange ein Instrumental-Track, mir fielen keine Worte dazu ein. Als ich die Nachrichten über die Proteste in den USA hörte, entstand dieser Text. Zunächst fragte ich mich, ob es nicht verantwortungslos sei, während einer Pandemie zu demonstrieren, dann wurde mir klar: Wichtiger, als uns vor der Krankheit zu schützen, ist es in diesem Moment, auf die Straße zu gehen.« Zugleich habe der Song für ihn einen Kraftwerk-Einschlag, »als rausche man nachts durch die Straßen und schaue auf die Reflexion der Lichter«. Musikalisch bekommt der Song durch die Synthesizer am Schluss den passenden leichten Krautrock-Anklang.

Gegen Ende des Gesprächs sagt Jason Pierce, Spiritualized probten gerade, um die Songs bestmöglich auf die Bühne zu bringen. Die drei geplanten Deutschland-Konzerte Anfang März wurden nun zunächst abgesagt, werden aber hoffentlich nachgeholt. Spiritualized mit diesem Album live zu erleben, das dürfte eine große Freude sein.

Spiritualized: Everything Was Beautiful (Bella Union)