Der Bundestag hat keine Impfpflicht gegen Covid-19 beschlossen

Blamage mit Ansage

Die Einführung der verpflichtenden Covid-19-Impfung für über 60jährige ist im Bundestag gescheitert.

Das Ergebnis überraschte nicht und war dennoch eine politische Niederlage, zumindest für die SPD und ihren Kanzler – und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Am Donnerstag voriger Woche lehnte der Bundestag die Einführung einer Impfpflicht gegen Covid-19 ab.

Damit endete ein Gesetzgebungsverfahren, in dem sich die Widersprüche und Probleme der politischen Reaktion auf die Pandemie hierzulande widerspiegelten. Im Herbst 2020 hatte die damals regierende Koalition aus CDU und SPD die Einführung einer Impfpflicht noch kategorisch ausgeschlossen. Noch im Juli 2021 beteuerte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU): »Es wird keine Impfpflicht geben.«

Doch im folgenden Herbst gewann die Frage an Dringlichkeit. Im November 2021 war klar, dass sich ein relevanter Teil der Bevölkerung nicht von sich aus impfen lassen würde. Nach anderthalb Jahren Pandemie stand das Gesundheitswesen an der Grenze seiner personellen Kapazitäten. Die Infektionsschutzmaßnahmen zogen insbesondere im Dienstleistungssektor schwerwiegende wirtschaftliche Schäden nach sich. In dieser Situation mehrten sich Stimmen aus Wissenschaft, Gesundheitswesen und verschiedenen Landesregierungen, die die Impfpflicht forderten.

Der Anfang Dezember zum Bundeskanzler gewählte Olaf Scholz schloss sich dieser Forderung an, die aber auch der »Querdenken«-Bewegung neuen Auftrieb verschaffte. Das Thema erwies sich als mobilisierungstauglich, es brachte Zehntausende auf die Straße und ließ Streitereien in der Bewegung in den Hintergrund treten.

Das Besondere an dieser Bewegung war und ist, dass in ihr Wählerinnen und Wähler aller politischer Parteien aktiv sind. Zudem verfügt sie, insbesondere in den sogenannten alten Bundesländern, über eine große bürgerliche Anhängerschaft. Auch bei der Frage der Impfpflicht gibt es Gegner und Befürworter in fast allen Parteien. In dieser Situation beschloss der Bundestag am 10. Dezember zwar die verpflichtende Impfung für Beschäftigte im Gesundheitswesen und der Pflege, doch blieb die allgemeine Impfpflicht umstritten. Als Problem für die nun regierende Ampelkoalition erwies sich, dass die Mehrheit der FDP-Fraktion sich einer solchen Impfpflicht mit wachsendem Selbstbewusstsein entgegenstellte.

Bundeskanzler Scholz plädierte zwar für die Impfpflicht, setzte sich aber nicht dafür ein, dass seine Regierung einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegt. Stattdessen wählte er einen Ausweg, der ihm wohl eine Konfrontation mit dem Koalitionspartner FDP ersparen sollte, und erklärte die Abstimmung zur Gewissensentscheidung. Die Abgeordneten sollten sich also frei von Fraktions- und Koalitionszwängen entscheiden. Die Hoffnung war wohl, dass dann auch Angehörige der Opposition, insbesondere von Union und Linkspartei, für die Impfpflicht stimmen würden.

Bei einer Orientierungsdebatte am 26. Januar wurden die Mehrheitsverhältnisse im Parlament sondiert. Anfang März wurden dann verschiedene Gesetzentwürfe vorgelegt. Aus den Regierungsfraktionen gab es zwei Entwürfe: einen für die allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren und einen für die Impfpflicht ab 50. Die CDU/CSU-Fraktion schlug hingegen die Einführung eines staatlichen Impfregisters und eines »gestuften Impfmechanismus« vor, mit dem bei Bedarf weitere Teile der Bevölkerung zur Impfung hätten verpflichtet werden können.

Der Rückhalt für die Einführung der Impfpflicht sank seitdem jedoch. Gegen diese wird vorgebracht, dass die Impfung Infektionen nicht effektiv verhindere und dass eine Infektion mit der derzeit dominanten Omikron-Variante häufig mild verläuft (vor allem bei ­Geimpften). Das erschöpfte Personal im Gesundheitswesen und die etwa 200 Coronatoten pro Tag werden öffentlich kaum noch thematisiert.

Auf die veränderte Stimmungslage reagierten die Unterstützer der beiden Impfpflicht-Varianten in der Regierungskoalition Anfang vergangener Woche mit der Fusion ihrer Gesetzentwürfe. Dieser Kompromiss sah eine verstärkte Beratung Ungeimpfter vor und ab Oktober die Impflicht für alle über 60, sollte die Impfquote nicht bis September deutlich steigen.

Allerdings hatte auch dieser Vorschlag keine Chance. Mittlerweile hatte der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz erkannt, dass sich das Thema vorzüglich eignete, die Bundesregierung vorzuführen. Während verschiedene CDU-Ministerpräsidenten die Einführung der Impfpflicht forderten, wies Merz die Bewertung der Abstimmung als Gewissensentscheidung zurück und schwor die CDU/CSU-Fraktion auf die Ablehnung der Vorschläge aus der Regierungskoalition ein. Der Kompromiss der Impfpflicht ab 60 scheiterte im Bundestag mit 296 Ja-Stimmen und 378 Nein-Stimmen. Fast die gesamte FDP-Fraktion stimmte dagegen (inklusive des Parteivorsitzenden und Finanzministers Christian Lindner), ebenso die AfD und die Union. Auch bei der Linkspartei stimmten 29 Abgeordnete dagegen und nur sieben dafür. Sahra Wagenknecht hatte in der vorherigen Debatte eine vehemente Rede gegen die Impfpflicht gleich in welcher Form gehalten.

Für die für den kommenden Winter zu erwartende Pandemiewelle verheißt das nichts Gutes. Seit vergangenem Herbst hat sich die politische Diskussion über Mittel und Methoden der Pandemiebekämpfung auf die Frage der Impfpflicht verengt. Deren Scheitern an einer Mischung aus Parteitaktik, Machtkämpfen und Angst vor »Querdenkern« beziehungsweise Sympathien mit diesen lässt es als unwahrscheinlich erscheinen, dass die Regierungskoalition fähig sein wird, mit sinnvollen und effizienten Maßnahmen auf weitere Wellen der Pandemie zu reagieren.