Die rechte Regierung Polens bereitet weitere autoritäre Maßnahmen vor

Vorläufiger Burgfrieden

Die rechtspopulistische polnische Regierung engagiert sich stark in der Hilfe für die Ukraine, nutzt die Lage aber auch innenpolitisch zur Vorbereitung weiterer autoritärer Maßnahmen.

Ukrainische Flüchtlinge spielten in der polnischen Politik bereits eine Rolle, bevor es sie überhaupt gab. Beispielsweise am 19. Januar 2016, als sich Polens Ministerpräsidentin Beata Szydło vor dem EU-Parlament rechtfertigte. Die Regierung der rechtspopulistischen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) war damals knapp zwei Monate im Amt und arbeitete schon zielstrebig an der Errichtung eines autoritären Staats. Mit Hilfe von Winkelzügen, die unabhängige Experten für illegal hielten, änderte die Parlamentsmehrheit der PiS die Zusammensetzung des Verfassungsgerichts. Per Dekret tauschte die Regierung die Führung des öffentlich-rechtlichen Fernsehkanals TVP aus. Der Sender wurde schnell zu einem Sprachrohr der ­Regierungspartei. Unnachgiebig blockierte Polen zudem eine europaweite Regelung zur Verteilung von Flücht­lingen aus dem Nahen Osten.

Im Brüssel erklärte Szydło zu diesen Vorwürfen: »Polen hat eine Million Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen. Menschen, denen niemand helfen wollte. Auch darüber muss man sprechen.« Szydło subsumierte unter dieser Zahl vermutlich alle ukrainischen Touristinnen, Arbeitsmigranten, Studenten und Saisonarbeiterinnen, die im Kalenderjahr 2015 nach Polen gekommen waren. Die wenigen Asylanträge, die bis zu Beginn der russischen Invasion gestellt worden waren, wurden fast ­immer abgelehnt. Der Verweis auf »ukrainische Flüchtlinge«, die man aufgenommen habe, wurde zu einer oft wiederholten Lüge, einem beliebten talking point, um pauschal Kritik abzuwehren.

Bereits drei Wochen vor Beginn des russischen Angriffs sagte die polni­sche Regierung der Ukraine Waffen­lieferungen zu. Polen trägt auch sol­che EU Sanktionen mit, die die eigene Wirtschaft hart treffen werden.

Seit dem 24. Februar 2022 kommen in Polen tatsächlich Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine an. Alleine in Warschau sind nach Aussage des Bürgermeisters Rafał Trzaskowski derzeit über 300 000 Menschen untergebracht. Liberale Publizisten wie Marcin Mat­czak, ein Warschauer Professor für Rechtsphilosophie, befürchten, dass der Regierung die Aufnahme ukrai­nischer Flüchtlinge zu einer Art moralischer Erpressung der EU dienen könnte. Den Krieg im Nachbarland könnte die PiS nutzen, um ihre ­autoritäre Herrschaft weiter zu festigen.

Der Krieg sorgte zunächst für Einigkeit in Polen. Hilfe für die flüchtenden Ukrainer kommt aus vielen verschiedenen Milieus, etwa von linksliberalen Großstädtern, Pfadfindern, Kirchengemeinden oder Unternehmen – so stellen Mobilfunkanbieter ankommenden Ukrainern kosten­lose Sim-Karten zur Verfügung. Die von proeuropäischen Politikern regierten Kommunen arbeiten mit der Regierung gut zusammen.

Am 11. März nahm der polnische Sejm ein Gesetz über die »Verteidigung des Vaterlandes« an. Es sieht unter anderem vor, die Militärausgaben von 2,2 auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. 450 Abgeordnete stimmten für das Gesetz, fünf enthielten sich, Gegenstimmen gab es nicht.

Die Regierung arbeitet auch weiter an Gesetzen, die deutlich umstrittener sein dürften. Das Innenministerium bereitet eine Reform des Katastrophenschutzgesetzes vor. Nach Informationen der Zeitung Gazeta Wyborcza sieht der Gesetzentwurf vor, dass die Regierung nach Verhängung eines sogenannten Zustands der Alarmbereitschaft Bürgermeister entlassen und durch Regierungskommissare ersetzen kann. Kritiker befürchten, dass dieses Gesetz zur Entmachtung liberaler Bürgermeister führen könnte, die in den größten polnischen Städten – Krakau, Poznań, Warschau und Gdańsk – regieren und wohl auch in Zukunft Mehrheiten hinter sich bringen dürften.

Das Justizministerium unter Zbigniew Ziobro arbeitet zurzeit an einem Gesetz, das Nichtregierungsorganisationen verpflichtet, Spenden vollkommen transparent zu machen. Offiziell soll dadurch die russische Finanzierung von NGOs aufgedeckt und verhindert werden. Doch ein solches Gesetz könnte wohl auch zur Stigmatisierung unliebsamer liberaler NGOs genutzt werden.

Trotz solcher Vorhaben dürfte die Opposition bis zur kommenden Parlamentswahl im Herbst 2023 schlechte Aussichten haben. Vor allem wenn Russlands Angriff auf die Ukraine das dominierende Thema bleibt. Die PiS-Regierung kann sich hier als wertvoller Bündnispartner der westlichen Staaten zeigen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj äußert sich sehr positiv über seinen polnischen Amts­kollegen Andrzej Duda, der 2015 als Kandidat der PiS Präsident wurde. »Mit ­Andrzej habe ich eine super Beziehung«, sagte Selenskyj bei einer Pressekonferenz im März. »Wir telefonieren jeden Tag miteinander. Er fragt mich, was ich gerade tue und wie er helfen kann (…). Wir sind Freunde. Ohne Übertreibung sage ich, dass wir eine freundschaftliche, nicht bürokratische Beziehung ­haben.« Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki und der PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński gehörten zur ersten Delegation auslän­discher Regierungsvertreter, die Selenskyj nach Beginn des Krieges in Kiew besuchten.

Es wäre falsch, hinter alldem nur erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit zu sehen. Polens Regierung betreibt eine aktive und weitgehend effiziente Außenpolitik, die linken und liberalen Oppositionsparteien würden wohl kaum ­etwas anders machen. Solidarität mit von Russland angegriffenen Staaten ist in Polen aus naheliegenden Gründen populär.

Bereits drei Wochen vor Beginn des russischen Angriffs sagte Morawiecki der Ukraine Waffenlieferungen zu. Sie umfassten Stinger-Luftabwehrraketen, Artilleriemunition und Drohnen. Polen trägt auch solche EU-Sanktionen mit, die die eigene Wirtschaft hart treffen dürften. Im fünften Sanktionspaket verständigten sich die Regierungen der EU-Staaten am 8. April unter anderem auf ein Verbot russischer Kohleimporte. Polens Stromproduktion basiert zu fast 70 Prozent auf Kohle, über die Hälfte der Kohlenimporte des Landes kam zuletzt aus Russland. Auch die Sanktionen gegen russische und belarussische Speditionen trug Polen mit, obwohl die heimische Logistikbranche dagegen protestierte.

Doch spielt die PiS weiterhin auch die populistische Karte des Außenseiters, der sich gegen »Brüssel und Berlin« zur Wehr setzt. Der stellvertretende Ministerpräsident Jarosław Kaczyński gibt seit dem 24. Februar ungewöhnliche viele Interviews. In einem Gespräch mit der Gazeta Polska warf er dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz vor, sich insgeheim mit Putin verschworen zu haben. Scholz schwebe ein imperiales Projekt vor; er habe eine »Bismarck’sche Vision von Deutschland«, raunte er. Das ist populistische Übertreibung, aber da die deutsche ­Politik, Russland durch Handelsbeziehungen zu zügeln, gescheitert und die Bundesregierung bei der Hilfe für die Ukraine weiterhin zögerlich ist, klingt es für viele plausibel.

All diese Entwicklungen nutzen der PiS. Da sie schon lange vor der von Russland ausgehenden Gefahr gewarnt, das deutsch-russische Pipeline-Projekt Nord Stream 2 kritisiert und gegen echte oder vermeintliche Bevormundung aus Berlin aufbegehrt hat, hat sie jetzt leichtes Spiel.