Marine Le Pen geht auf vorsichtige Distanz zum russischen Regime

Unerwünschtes Herz

Um sich ein gemäßigtes Image zu geben, geht Marine Le Pen, die rechtsextreme Kandidatin bei der Stichwahl zur französischen Präsidentschaft, auf Distanz zum russischen Regime.

Seit Monaten tat Marine Le Pen so gut wie alles, um im Präsidentschaftswahlkampf den Eindruck zu vermeiden, sie vertrete extreme Positionen. Sébastien Chenu, ihr Wahlkampfberater und ein Sprecher ihrer Partei Rassem­blement national (RN), warf vielmehr Präsident Emmanuel Macron vor, mit der Repression gegen die Gelbwesten-Proteste »unsere Gesellschaft brutalisiert« zu haben.

Marine Le Pen attestierte sich bei ihrem Auftritt am Ostermontag im normannischen Département Calvados gegensätzliche Tugenden. Sie wolle die Nation als bonne mère de famille, als fürsorgliche Mutter führen. Dabei benutzte sie das weibliche Gegenstück der traditionellen juristischen Formulierung von der gestion en bon père de famille (Verwaltung als guter Familienvater), die das französische Zivil- und Handelsrecht zum Maßstab der Pflichten eines Eigentümers macht. Wie ein solcher möchte auch Le Pen Kontrollen umgehen, am Dienstag vergangener Woche sagte sie, sie wolle mit Referenden am Parlament vorbeiregieren.

Ein wenig Zweifel an Le Pens Selbstdarstellung kam allerdings auf, als man sah, welch rohe Behandlung einer Kritikerin zuteil wurde. Am Mittwoch voriger Woche zerrten Ordnungskräfte bei einer von Le Pens häufigen Pressekonferenzen zum Thema Außenpolitik eine Aktivistin an den Haaren aus dem Raum. Es handelte sich um Pauline Rapilly-Ferniot, die der Politsatiregruppe Ibiza angehört und auch ein Mandat als grüne Kommunalparlamentarierin innehat, die am Rande von Le Pens Auftritt eine einfache Botschaft gezeigt hatte: ein Schild in Herzform, das Marine Le Pen und Wladimir Putin beim Händeschütteln zeigt.

In der Öffentlichkeit wurde kontrovers diskutiert, dass Marine Le Pen ein Verbot für islamische Kopftücher im gesamten öffentlichen Raum mit Strafandrohung erlassen möchte.

Die Aufnahmen vom unsanften ­Hinauswurf Rapilly-Ferniots verfehlten ihren Effekt in den Medien nicht. Le Pen versuchte dem schlechten Eindruck entgegenzuwirken, indem sie unverzüglich jede Verantwortung von sich und ihrer Partei zurückwies: Nicht bei ihr seien Nachfragen an der richtigen Adresse, sondern bei »den Polizisten Darmanins«, des Innenministers also, betonte die RN-Vorsitzende; nur diese seien für den Rauswurf verantwortlich. Gérald Darmanin erwiderte, die Polizisten seien nicht seine, sondern »die der Republik«: Le Pen lasse ein bedenk­liches Staatsverständnis erkennen. Ferner sei Rapilly-Ferniot zwar tatsächlich zunächst von einem Polizeibeamten ergriffen worden, aus dem Raum gezerrt habe sie jedoch ein Angehöriger des parteieigenen Sicherheitsdiensts des RN, des Département protection sécurité (DPS, Abteilung Schutz und Sicherheit).

Das wiederum machte die Öffentlichkeit darauf aufmerksam, dass es den DPS noch gibt. Nachdem er in den neunziger Jahren durch diverse Gewalttaten aufgefallen war, wurde ihm 1999 ein eigener parlamentarischer Untersuchungsbericht gewidmet. Seitdem hatte die Organisation jedoch nur noch wenig von sich reden gemacht.

Relativiert wurde die negative Wirkung dieser Szene dann jedoch am folgenden Tag, denn am Donnerstag voriger Woche machte ein Video die Runde, das zeigt, wie bereits am Dienstag ein Protestierender auf einer Veranstaltung unter freiem Himmel ebenfalls weggeschleift wurde – dieses Mal im ostfranzösischen Straßburg bei einem Auftritt Macrons.

Inhaltlich verkündete Le Pen zur Außenpolitik, sie distanziere sich vom Krieg Wladimir Putins in der Ukraine, doch wenn dieser zu Ende sei, könne Russland erneut zum Verbündeten werden, insbesondere »gegen den islamis­tischen Fundamentalismus«. Im diesjährigen Wahlkampf musste augenscheinlich Le Pens rechtsextremer Konkurrent Éric Zemmour für seine Nähe zu Putin büßen, er habe dadurch, so Le Pens Parteifreund Wallerand de Saint-Just, als »unser Blitzableiter« gewirkt. Zemmour hatte unter anderem die russischen Kriegsverbrechen in Butscha öffentlich bezweifelt. Bei den Auslandsfranzosen – oft Doppelstaatsbürger – in Russland ebenso wie in Israel schnitt Zemmour unterdessen bei den Präsidentschaftswahlen am 10. April als mit Abstand stärkster Kandidat ab: Die Unterstützer Putins ebenso wie jene der israelischen Rechten goutierten sein besonders klares rechtes Profil. Der um ein gemäßigtes Image bemühten Kandidatin Le Pen erschien unverhülltes Einvernehmen mit den russischen Machthabern in diesem Frühjahr hingegen inopportun.

Unterdessen wurde in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert, dass Marine Le Pen ein Verbot für islamische Kopftücher im gesamten öffentlichen Raum mit Strafandrohung erlassen möchte. Dabei berief sie sich auf Habib Bourguiba, der dies angeblich in ­Algerien verordnet habe. Doch regierte Bourguiba von 1956 bis 1987 nicht in Algerien, sondern in Tunesien zunächst als Ministerpräsident, dann als Präsident. In seiner Modernisierungsdiktatur wurde das Kopftuch von Frauen in der staatlichen Verwaltung ­verboten, keineswegs jedoch auf der Straße.

Das vorgeschlagene öffentliche Kopftuchverbot erschien vielen als extrem autoritäre Maßnahme, andere warfen die Frage nach der Machbarkeit, insbesondere nach dem dafür notwendigen Polizeiaufgebot, auf. Le Pens Berater Chenu wischte die Frage am Ostersonntag in einem Interview des privaten Fernsehsenders BFM TV vom Tisch – eine künftige RN-Regierung werde »den Salafismus verbieten«, die Frage der Kopftücher erledige sich dann von allein.

Wie er allerdings eine Ideologie zu verbieten gedenkt, blieb sein Geheimnis. Ebenso wie vieles weitere, etwa die Frage, wie es der RN mit dem Klimaschutz hält. Le Pen möchte nicht als Skeptikerin des Klimawandels gelten, forderte aber Anfang April »ein Mora­torium für Solar- und Windenergie«; Windkraftanlagen will sie sogar wieder demontieren lassen. Chenu machte nun vor allem »die liberale Logik« und den Freihandel für die globale Erwärmung verantwortlich. Der Protektionismus soll es richten – er werde die Containertransporte weltweit reduzieren.