Über das Zögern der Bundesregierung bei der Lieferung schwerer Waffen an die ­Ukraine

Deutschland tut, was es immer tut

Die Bundesregierung hat lange gezögert bei der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine. Warum?
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Müsste man das Verhalten der Bundesregierung angesichts des Kriegs in der Ukraine auf einen Begriff bringen, kommen einem »langsam«, »zögerlich« und »widersprüchlich« in den Sinn. In den Wochen vor dem russischen Angriff wollte sie gar keine Waffen an die Ukraine liefern, um mögliche Verhandlungen nicht zu gefährden. Nach dem russischen Einmarsch wurden tragbare Raketen geschickt, für den Einsatz gegen Panzer und Hubschrauber. Bald hieß es, die Vorräte seien erschöpft, dann wurden doch noch Restbestände entdeckt.

Nach langem Zögern soll jetzt der Industrie erlaubt werden, Flugabwehrpanzer zu liefern. Das geschieht wohl, um die inzwischen heftige Kritik abzuwehren. Denn die Bundesregierung hat die ukrainische Forderung nach schwerem Gerät stets zurückgewiesen. Von den gewünschten Fahrzeugen – vor allem der Schützenpanzer Marder – seien zu wenige vorhanden, die Bundeswehr benötige sie selbst, um ihren Aufgaben nachzukommen. Und ohnehin, hieß es, würde die logistische Vorbereitung und die Ausbildung zu lange dauern. Vor allem aber wolle man einen Alleingang vermeiden und nur im Einklang mit den anderen europäischen Verbündeten ­handeln.

Die Argumente sind wenig überzeugend, denn die vielzitierten Verbündeten liefern längst schweres Material. Und die von der Ukraine gewünschten Schützenpanzer sind offenbar doch vorhanden, jedenfalls stehen sie nun in einem Ringtausch mit der Slowakei zu Verfügung. Bei diesem schickt die Slowakei Panzer sowjetischer Bauart an die Ukraine und erhält zum Ersatz deutsche Marder. Warum können diese dann nicht gleich an die Ukraine geschickt werden? Unklar ist auch, warum die Bundesregierung stets auf die langwie­rige Ausbildung verweist, die für den Umgang mit westlichen Waffensystemen nötig sei, aber die Zeit dafür seit Kriegsbeginn einfach tatenlos verstreichen ließ.

Klar ist hingegen, dass die Ukraine ohne schwere Waffen dem russischen Angriffskrieg auf Dauer nicht widerstehen kann. Was dem Land droht, ist nicht erst seit den Massakern in Butscha oder Mariupol bekannt. Warum also zögern der Bundeskanzler und zumindest Teile seiner Sozialdemokratischen Partei, die Ukraine vorbehaltlos zu unterstützen?

Eine Antwort können vielleicht die Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel und Wolfgang Schroeder geben, die beide Mitglieder der Grundwertekommission der SPD sind. Ende März räsonierten sie im Tagesspiegel über eine künftige »Sicherheitspolitik«. Die ­Autoren verglichen den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine mit der US-Invasion in den Irak und und plädierten für »ein geordnetes Verhältnis zu Russland« nach dem Krieg – eine »Isolation« müsse verhindert werden. Die »traditionelle sozialdemokratische Kombination von Entspannung, Verflechtung und Multilateralismus« sei nicht »über Nacht zur Makulatur geworden«.

So drückt sich Bundeskanzler Olaf Scholz derzeit nicht aus. Er behauptet vielmehr, wie etwa vergangene Woche im Spiegel, er fürchte eine weitere Eskalation bis hin zum Einsatz von Atombomben, falls der Westen die Ukraine zu sehr aufrüste. Folgt man dieser Logik, darf sich die Ukraine zwar in Maßen verteidigen, nicht aber offensiv zurückschlagen. Nicht eine zu schwache, sondern eine zu starke Ukraine wäre demnach das Problem.

Diese Haltung ergibt nur Sinn, wenn man weiterhin eine Verständigung mit der russischen Regierung anstrebt. Dafür bräuchte es territoriale Zugeständnisse der Ukraine. Sie müsste den Verlust von Gebieten im Donbass und im Süden akzeptieren. Unter deutscher Vermittlung könnte dann ein neues Abkommen geschlossen werden. »Minsk minus« soll das Schlagwort für dieses Szenario im Kanzleramt lauten, schreibt der Tagesspiegel.

So gesehen wäre das scheinbar erratische Verhalten von Scholz konsequent, weil es den Grundzügen der bisherigen deutschen Russland-Politik folgt. Kaum jemand kann diese wohl besser zusammenfassen als der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). »Die deutsche Industrie braucht die Rohstoffe, die Russland hat«, sagte er kürzlich der New York Times. »Wenn dieser Krieg vorbei ist, müssen wir uns wieder mit Russland befassen. Das tun wir immer.«