Prorussische Autokorsos rollen durch mehrere deutsche Städten

Hupen für Putin

In Deutschland finden immer wieder prorussische Autokorsos statt. Beteiligt sind viele russischsprachige Deutsche, die Organisation läuft über Telegram-Kanäle.

Am 3. April gingen erste Aufnahmen der Gräueltaten aus Butscha um die Welt. Die Bilder illustrierten die terroristische Dimension des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Am selben Tag, einem Sonntag, versammelten sich zahlreiche Menschen in Berlin zu einem Autokorso. Etwa 400 Fahrzeuge fuhren laut hupend durch die Hauptstadt. Die meisten waren mit russischen Fahnen geschmückt, vereinzelt zu sehen waren auch die Flagge der UdSSR oder ehemaliger Sowjetrepubliken. Man habe ein Zeichen setzen ­wollen gegen die Diskriminierung Russischsprachiger, hieß es von Teilnehmern. Doch weithin wurde die Veranstaltung als Solidaritätsbekundung mit dem russischen Kriegskurs verstanden.

Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk sprach von einem »Autokorso der Schande«. Thüringens Innenminister Georg Maier bezeichnete derartige Veranstaltungen als »unerträglich«, man müsse dem »durch Auflagen Einhalt gebieten«. Zwar lässt sich die Versammlungsfreiheit nicht ohne weiteres einschränken, allerdings ist es in Deutschland verboten, öffentlich einen illegalen Angriffskrieg zu billigen. Deshalb ist es strafbar, mit dieser Absicht etwa Z-Symbole und die orange-schwarzen Sankt-Georgs-Bänder zu zeigen, denn beides symbolisiert die Unterstützung der russischen Streitkräfte.

Gegen einen Teilnehmer des Ber­-liner Autokorsos wird wegen Volksverhetzung ermittelt, weil er auf sein Auto einen Davidstern gemalt haben soll, neben der Auf­-schrift: »Bald auch wir Russen?«

Dennoch fanden am zweiten Aprilwochenende – vielerorts unter Gegenprotest – weitere Autokorsos statt. In Stuttgart waren es beispielsweise 190, im Allgäu auf der Route zwischen Kaufbeuren und Kempten 275 und in Hannover mehr als 350 Fahrzeuge. Dort wurde der Zug von Gegendemon­stranten aufgehalten, die mindestens ein Auto mit Eiern und Pferdemist bewarfen. In Frankfurt versammelten sich am 10. April Hunderte Menschen unter russischen Fahnen auf dem Opernplatz.

Am Sonntag hätte in Berlin erneut ein Autokorso stattfinden sollen, wurde aber kurzfristig abgesagt. Stattdessen fand ein Gegenprotest statt. Am selben Tag rollten 100 Fahrzeuge bei einer prorussischen Demonstration durch das baden-württembergische Lahr. Für diesen Samstag planen »russischsprachige Europäer« in Dresden eine größere Kundgebung.

Der Polizei zufolge hielten die Aufzüge die Auflagen bislang weitestgehend ein. »Wir müssen zeigen, dass wir gegen Diskriminierung demonstrieren. Sonst sind wir wieder die Bösen«, schrieben die Hannoveraner Veranstalter auf Telegram. Im Aufruf für Dresden heißt es gar, dass russische, belarussische und ukrainische Flaggen nur zusammen mit deutschen Fahnen zu benutzen seien. Man wolle schließlich Völkerfreundschaft demonstrieren. In Berlin war den Behörden zufolge im Autokorso Anfang April ein Fahrzeug mit Z-Symbol dabei. Gegen einen der beiden Veranstalter wird Medienberichten zufolge wegen Volksverhetzung ermittelt, weil er auf sein Auto einen Davidstern gemalt haben soll, neben der Aufschrift: »Bald auch wir Russen?« Bei der Frankfurter Kundgebung erklangen Rufe, die am selbsterklärten Ziel der Proteste Zweifel aufkommen ließen. »Der Donbass gehört zu Russland«, hieß es aus der Menge.

Dass die Aufzüge der Kriegsverherr­lichung dienen, erscheint damit durchaus plausibel. Dabei widersprechen sich die Motive der Unterstützung für den Krieg und des Protests gegen wahrgenommene Diskriminierung zumindest für den Migrationsforscher Jannis Panagiotidis nicht zwangsweise. »Dieses Thema wurde ja über Wochen aufgebaut beziehungsweise hat sich in russischsprachigen sozialen Netzwerken hochgeschaukelt, und jetzt entlädt sich das«, sagte der Experte für Migra­tion aus dem postsowjetischen Raum der Jungle World.

Zwar kursieren auch Falschnachrichten über Angriffe auf russischstämmige Menschen in Deutschland, die Polizei verbuchte aber bis Ende März tatsächlich Hunderte antirussische sowie antiukrainische Straftaten – Beleidigungen, Bedrohungen, aber auch körperliche Angriffe. Wenn jedoch Teilnehmende des Stuttgarter Autokorsos ein Transparent präsentierten, auf dem »Gegen Russophobie« steht, ist dies dennoch als Ausdruck von Propaganda lesbar. Denn der angebliche Hass des Westens auf alles Russische bildet ein Kernelement von Wladimir Putins Kriegspropaganda. Er wird auch zur Rechtfertigung des Überfalls auf die Ukraine vorgebracht.

Die Übernahme der Weltsicht Putins scheint das verbindende Moment der einzelnen Veranstaltungen zu sein. Hinter den Autokorsos und Aufzügen stehen jedoch offenbar Privatpersonen, eine übergreifende Organisationsstruktur ist zumindest nicht nachzuweisen. Aufschlussreich ist hier das Fallbeispiel eines der mutmaßlichen Berliner Veranstalter. Der Deutsche Rene H. erlangte bereits im März Berühmtheit, als er Putin in einem mittlerweile gelöschten Tiktok-Video auf Russisch um Verzeihung bat. Es tue ihm leid, dass in Europa so wenig Unterstützung für Putin zu sehen sei, doch man müsse verstehen, dass man in Deutschland schon verhaftet werde, wenn man mit einer russischen Fahne auf die Straße geht. Rene H. sprach Putin seine Unterstützung aus, in der Ukraine gebe es nur »Faschisten und Schweine«. Der russische Staatssender Channel One lobte den Mut des Potsdamers.

Medienberichten zufolge organisierte Rene H. den Autokorso gemeinsam mit dem Russlanddeutschen Christian F., der auch als »Igor« bekannt ist. Gegenüber dem russischsprachigen und regimekritischen Berliner Fernsehsender Ost West TV behaupteten beide, zum Zeitpunkt des Autokorsos nichts von den Bildern aus Butscha gewusst zu haben. Ansonsten hätten sie die Veranstaltung abgesagt. Doch für Samstag hatte Rene H.erneut zu einer Rundfahrt in Berlin eingeladen. Beide hätten zudem am 16. April den russischen Mi­litärattaché zu einer Gedenkveranstaltung im brandenburgischen Seelow begleitet, berichtete der Tagesspiegel. Auch Menschen aus dem Umfeld der »Nachtwölfe« seien dabei gewesen – ein linientreuer russisch-nationalistischer Rockerclub.

Dass russische Desinformation die Aufzüge prägt und motiviert, zeigt sich in den sozialen Medien. Organisatorische Absprachen erfolgen primär über Gruppen und Kanäle auf Telegram. In manchen tauschten sich Russischsprachige bereits vorher aus, andere entstanden eigens seit Beginn des Angriffskriegs. In der Regel haben diese Gruppen dreistellige Mitgliedszahlen, sie sind regional ausgerichtet und lose miteinander vernetzt. Den Aufruf zur Frankfurter Demo teilte aber auch der Kanal »Neues aus Russland« der deutschen Putin-Propagandistin Alina Lipp, einer bekannten »Querdenkerin«, die angeblich nach Russland ausgewandert sei, weil Deutschland »einem Konzen­trationslager« gleiche. Zur selben Zeit erschien auf dem Kanal ein Rundbrief, der ukrainischen Truppen die Schuld am Massaker von Butscha gibt. Im russischsprachigen Chat zur geplanten Dresdner Demo finden sich Z-Symbole, Menschen teilen Falschnachrichten. Man sei für den Frieden und gegen radikale Positionen, insbesondere gegen die radikal russlandfeindlichen europäischen Medien, heißt es dort.

Offenbar suchen Teilnehmer und Unterstützer der Autokorsos den Schulterschluss mit Teilen des verschwörungstheoretischen und rechtsextremen Milieus. Im Dresdner Chat zirkulierte ein ins Russische übersetztes Video des Verschwörungsdemagogen Ken Jebsen. Der Berliner Veranstalter Rene H. gab dem rechtsextremen ­Magazin Compact ein Interview.

Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Autokorsos sprechen Russisch, doch sind sie nicht repräsentativ für die Bevölkerung mit postsowjetischer Migrationsgeschichte; Jannis Panagio­tidis spricht von einer »substantiellen Minderheit«, die Anzahl der Parteigänger des Krieges schätzt er auf 25 Prozent. Dazu passt, dass nicht nur Ukrainer und die deutsche Zivilgesellschaft Gegenkundgebungen organisierten, sondern auch russischstämmige Regimekritiker. Die Autokorsos vertiefen folglich den Riss innerhalb der russischsprachigen Community. Das zeigen zwei Telegram-Gruppen aus Hannover. Während die eine für den Autokorso agitierte und Desinformation verbreitete, organisierten Mitglieder der anderen Gruppe den Gegenprotest. Das brachte ihnen Drohungen seitens der mit Putin sympathisierenden Gruppe ein, daraufhin verbreiteten die Putin-Gegner persönliche Daten eines mutmaßlichen Veranstalters.

Diese Polarisierung lässt für den 9. Mai wenig Gutes hoffen. Seit längerem ist der Feiertag für den sowjetischen Sieg über Nazideutschland von der russischen Führung ideologisch vereinnahmt. Putin-treue Accounts in den sozialen Medien mobilisieren bereits zu Kundgebungen in Berlin. Sie ziehen Parallelen zwischen dem Zweiten Weltkrieg und aktuellen Geschehnissen. Es ist auch mit Gegenprotest zu rechnen, der dafür sorgen will, das Gedenken an den Sieg über Nazideutschland nicht den Befürwortern eines Angriffskriegs auf die Ukraine zu überlassen.