Repression in Belarus gegen ­unabhängige Gewerkschafter

Repression und Widerstand

In Belarus gehen Ermittlungsbehörden gegen unabhängige Gewerk­schaften vor, es gab mehrere Festnahmen. Das könnte in Zusammen­hang mit Kritik an Russlands Angriffskrieg in der Ukraine stehen, doch Gründe für die Ermittlungen wurden bislang nicht genannt.

Es ist einer der schwersten Schläge gegen die unabhängige Gewerkschaftsbewegung im postsowjetischen Belarus. In der vergangenen Woche fanden bei über 20 Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern im ganzen Land Hausdurchsuchungen und Festnahmen statt. Mindestens sieben von ihnen, dar­unter ein Großteil der Führungsriege, befinden sich nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Wjasna im Untersuchungsgefängnis des belarussischen Geheimdiensts, des Komitees für Staatssicherheit der Republik Belarus (KGB). Andere wurden nach einem Verhör freigelassen und gelten zunächst als Zeugen, über den Aufenthalt und den Status weiterer Festgenommener ist nichts bekannt. Informationen dar­über, was ihnen zur Last gelegt wird, halten die Ermittlungsbehörden bislang ebenfalls zurück.

Politische Verfolgung und Festnahmen bestimmen in Belarus längst das Alltagsgeschehen. Die Behörden unterbinden praktisch jegliche Form von Basisaktivität. »Die unabhängigen Gewerkschaften sind faktisch die letzte zivilgesellschaftliche Institution, die in Belarus legal und offiziell existiert«, sagt Maria Taradetskaja im Gespräch mit der Jungle World. Sie ist stellvertretende Vorsitzende der Freien Belarussischen Gewerkschaft und Ratsmitglied beim Belarussischen Kongress Demokratischer Gewerkschaften, dem belarussischen Gewerkschaftsbund, der dem Internationalen Gewerkschaftsbund ICB angehört. Nachdem alle ­anderen Strukturen bereits zerschlagen wurden, seien wahrscheinlich die Gewerkschaften an der Reihe. Das Büro ihrer Organisation sei versiegelt worden. Ob eine Durchsuchung stattgefunden habe, könne sie nicht mit Sicherheit sagen.

»Die unabhängigen Gewerkschaften sind faktisch die letzte zivil­gesellschaftliche Institution, die  in Belarus legal und offiziell existiert.« Maria Taradetskaja, Gewerkschafterin

Die Gewerkschaftsbewegung insgesamt war auch zuvor bereits Ziel der Ordnungsbehörden, es kam immer wieder zu Festnahmen. So stufte der Staatsschutz Anfang April die unabhängige Gewerkschaft der Beschäftigten in der Elektronikindustrie als »extremistisch« ein, was die Grundlage für die Strafverfolgung liefert. Olga Britikowa, Gewerkschaftsvorsitzende bei der Ölraffinerie Naftan in Nowopolozk, sitzt bereits seit einiger Zeit in Administrativhaft, die ein ums andere Mal um weitere 15 Tage verlängert wird.

Taradetskaja vermutet deshalb, es lägen noch weitere Gründe vor, weshalb der Staat ausgerechnet jetzt in einer koordinierter Aktion vorgeht: Der Vorsitzende des Belarussischen Kongresses Demokratischer Gewerkschaften, Aleksandr Jaroschuk, hatte eine Erklärung gegen Russlands Krieg in der Ukraine initiiert und gefordert, dass sich russisches Militär aus Belarus zurückziehe. »Aber der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat, war wohl der Auftritt unseres Präsidenten (Staatspräsident Aleksandr Lukaschenko, Anm. d. Red.), als er gesagt hat, es gebe zu wenig Repression«, so Taradetskaja. Am Tag darauf ging der Sicherheitsapparat zum Angriff auf die Gewerkschaften über.

Lukaschenko hatte jene Aussage am 19. April getätigt, bei einem Treffen zu der Frage, wie die gesetzliche Ordnung im Land aufrechterhalten werden könne. Zwar seien in dieser Hinsicht durchaus positive Tendenzen zu beobachten, so der Präsident – was wohl als implizites Lob angesichts der wachsenden Zahl an politischen Gefangenen im Land interpretiert werden kann –, aber gleichzeitig warnte er die Behörden davor, sich in Ruhe zurückzulehnen. Lukaschenko scheint beunruhigt zu sein, dass sich vor dem Hintergrund der Militäroperation im Nachbarland die Massenproteste von 2020 wiederholen könnten.

Belarus spielt nachweislich eine aktive Rolle bei der russischen Kriegsführung gegen die Ukraine. Offene Kritik ist unerwünscht, aber der Widerstand hat in Belarus bereits kurz nach Kriegsbeginn Ende Februar radikale Formen angenommen. Reihenweise werden Sabotage­akte verübt, um den Zugverkehr lahmzulegen. Bereits 2020 hatte die belarussische Opposition Gleisanlagen blockiert, inzwischen aber tobt ein regelrechter Partisanenkrieg, Sachschäden in­begriffen. So wurden nicht nur Hackerangriffe gegen die elektronischen Steuerungssysteme aus­geführt, sondern auch Relaisschaltungen in Brand ­gesetzt. Ein Ehepaar soll Holzbalken auf Eisenbahnschienen gelegt und angezündet haben. Über 60 Personen wurden wegen solcher und ähnlicher Vorfälle bereits fest­genommen, gegen die teilweise wegen Verübung eines Terroranschlags ermittelt wird. In sozialen Netzwerken finden sich Videos von Beschuldigten, die deutliche Spuren körperlicher Misshandlungen aufweisen.

Am Montag hat ein politischer Prozess gegen zehn Angeklagte der »Revolutionären Aktion« begonnen, von ­denen sich acht als Anarchisten verstehen. Eine Schlüsselrolle bei der von den Behörden als »internationale kriminelle Organisation« bezeichneten Gruppe soll Marfa Rabkowa von der Menschenrechtsorganisation Wjasna gespielt haben. Allen Angeklagten drohen hohe Haftstrafen wegen Organisation von Massenunruhen und zahlreicher weiterer Anschuldigungen. Die Verhandlungen finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Wenige Tage zuvor hatte das Oberste Gericht das Urteil wegen Terrorismus gegen Igor Olinewitsch und drei weitere Anarchisten mit Gefängnisstrafen bis zu 20 Jahren bestätigt.

Prognosen, wie es weitergehen soll und ob zumindest die Gewerkschaften noch eine Chance haben, weiterarbeiten zu können, will Taradetskaja nicht machen, weil im Moment weder das Motiv noch die Zielsetzung der Verfolgung hinreichend klar seien. »Wir ­hoffen das Beste und erwarten das Schlimmste«, sagt sie.