In der brandenburgische Stadt Cottbus haben rechtsextreme Strukturen einige Macht

Das Nazi-Netzwerk von Cottbus

In Südbrandenburg scheinen sich kriminelle rechtsextreme Strukturen zu verfestigen. Lokale Antifaschisten beklagen die Untätigkeit der Ordnungsbehörden gegen rechte Gewalttäter. Jahrelange Ermittlungen gegen die »Kampfgemeinschaft Cottbus« wurden kürzlich eingestellt.

Mehr als 410 Polizisten waren an der Razzia im April 2019 beteiligt, mehr als 30 Objekte in Brandenburg und anderen Bundesländern wurden durchsucht. Die Ermittlungen richteten sich gegen rund 20 Personen, die dem Neonazi-Netzwerk »Kampfgemeinschaft Cottbus« angehören sollen. Der Verdacht lautete auf Bildung einer kriminellen Vereinigung.

Doch fast drei Jahre später, im Februar dieses Jahres, teilte der Sprecher der Staatsanwaltschaft Cottbus mit, das »objektiv erforderliche Maß einer gefestigten Organisation mit festgelegten Gruppenstrukturen, Rollen und Akteuren« habe man nicht nachweisen können. Nur vier Anklagen wegen gefährlicher Körperverletzung und Verstößen gegen das Waffen- oder Sprengstoffgesetz hatten sich aus den Ermittlungen ergeben.

Das Problem in Cottbus ist dem Opferberater Vesely zufolge, »dass jahrelang schwere rechte Gewalt­delikte durch die Justiz nicht sank­tio­niert wurden«.

In Polizeikreisen gilt der Zusammenschluss von rechtsextremen Kampf­sport­lern, Hooligans und Schlägern aus dem Rockermilieu als eines der größten rechtsextremen Netzwerke in Deutschland. Das brandenburgische Innenministerium schätze die Zahl der Mit­glieder zum Zeitpunkt der Razzia auf 115. Einzelpersonen aus der braunen Seilschaft betreiben in Cottbus und Umgebung mehrere Läden, Restaurants und Reinigungs- sowie Sicherheitsunternehmen. Der Brandenburger Verfassungsschutz bezeichnete sie in seinem jüngsten Jahresbericht, dem für 2020, als »Sammelbecken für Rechtsextremisten mit hohem Gewaltpotential«. Zu der Gruppe gehöre auch ein wirtschaftliches Netzwerk, »welches zusehends wächst und dabei immer undurchsichtiger wird«.

Die »Kampfgemeinschaft Cottbus« wurde von Mitgliedern der Fangruppierung »Inferno« des ortsansässigen Fußballclubs Energie Cottbus gegründet, die vor fünf Jahren einem drohenden Verbot mit der Selbstauflösung zuvorgekommen war. Organisiert hatten sich die Neonazis in einer Chatgruppe mit dem Namen »Schnelle Eingreiftruppe«. Nach ihrer Selbstbeschreibung sollte die Truppe in Notfällen schnell zusammenkommen, sagte der dama­lige Polizeipräsident von Brandenburg, Hans-Jürgen Mörke, nach der Razzia 2019 den Potsdamer Neuesten Nachrichten. »Bei Stress mit Kanaken abrechnen und Zecken schlagen« sei das Ziel der Gruppe gewesen, zitierte Mörke aus deren Kommunikation.

Neonazis seien im Süden Brandenburgs fest etabliert, sagt Martin Vesely vom Verein Opferperspektive e. V. der Jungle World. Das habe sich »in den letzten Jahren bei den großen Mobilisierungen gegen Geflüchtete und im Rahmen von antisemitischen und verschwörungserzählerischen Aufmärschen« in Cottbus gezeigt. An solchen Demonstrationen beteiligten sich Tausende Menschen, zuletzt etwa im Dezember.

Das Problem in Cottbus ist Vesely zufolge, »dass jahrelang schwere rechte Gewaltdelikte durch die Justiz nicht sanktioniert wurden«. Im Jahre 2017 habe die Beratungsstelle beinahe jede Woche ein rechtes Gewaltdelikt verzeichnet. Das sei selbst für Brandenburger Verhältnisse außerordentlich viel gewesen. Die Polizei registrierte im vergangenen Jahr 108 rechte Gewalttaten in Brandenburg. Der Verein Opferper­spektive zählte jedoch 150, wobei die Landkreise mit den meisten registrierten Angriffen in Südbrandenburg lägen.

Darüber hinaus müssten von rechter Gewalt Betroffene in der Region damit rechnen, »dass auch drei bis vier Jahre nach Tatbegehung und guter Beweis­lage gegen Beschuldigte keine Prozess­eröffnung am Amts- oder Landgericht« stattfinde. Wenn es dann zur Eröffnung eines Verfahrens komme, sagt Vesely, gebe es teilweise keine Verurteilungen, »weil einfach schon zu viel Zeit seit Tatbegehung vergangen ist, Beweise durch die Polizei schlecht gesichert wurden oder gar Akten verloren gegangen sind«.

Diese faktische Straffreiheit sorgt nicht nur in der Zivilgesellschaft für Unmut. Örtlichen Antifaschisten zufolge, mit denen die Jungle World gesprochen hat, versinke Cottbus immer weiter im »braunen Sumpf«, weil niemand auch nur ansatzweise die »Narrenfreiheit« der örtlichen Rechtsextremisten einschränke. Den Rechtsextremen sei es sogar gelungen, die organisierte Kriminalität in der Stadt zu dominieren. Der Leitende Oberstaatsanwalt Bernhard Brocher aus Cottbus sagte bereits vor drei Jahren den Potsdamer Neuesten Nachrichten, die Neonazis hätten sich in erster Linie vernetzt, »weil sie die Hells Angels in Cottbus aus ihrer Position verdrängt haben«. Bei der Frage, »wer hat die größte Power, wer kann die meisten Leute mobilisieren, wer hat die härtesten Schläger«, hätten die Rocker den Kürzeren gezogen.

Aus dieser Vormachtstellung heraus sollen die Rechtsextremen Vertreter des kriminellen Milieus und ­sogar normale Geschäftsleute unter Druck gesetzt haben. Dabei soll es auch zu Schutzgeldforderungen gekommen sein. Als am 1. März in Cottbus mutmaßlich zwei Bodybuilder den Ladenbesitzer Martin M. erschossen, wollen die beiden sich unter anderem gegen solchen Druck zur Wehr gesetzt haben. M. galt als einer der zentralen Figuren des kriminellen rechtsextremen Netzwerks in der Stadt. Er wurde auf offener Straße in der Cottbuser Innenstadt aus wenigen Metern Entfernung von sechs Schüssen getroffen und starb später.

Als Grund der Tat gaben die beiden Angeklagten die ständigen Demütigungen nach einer früheren körperlichen Auseinandersetzung mit dem Mordopfer an. Durch die Tat hätten sie weiteren Auseinandersetzungen zuvorzukommen wollen. Zuvor soll das spätere Opfer einen der Angeklagten stark unter Druck gesetzt haben, finanziell und mit körperlicher Gewalt. Das Landgericht Cottbus sprach die beiden Bodybuilder am 5. November vorigen Jahres des Mordes schuldig. Sie wurden zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, die beiden Männer haben Revision eingelegt.

Während im Fall Martin M. ein schnelles Urteil gefällt wurde, bemängeln in Antifa-Strukturen tätige Cottbusser im Gespräch mit der Jungle World die sonstige Arbeit der südbrandenburgischen Justiz. Sie verweisen zum Beispiel auf den Fall eines mutmaßlichen »Nazischlägers«, dem vorgeworfen wurde, zwei syrische Jugendliche auf dem Cottbusser Stadtfest 2019 beleidigt und geschlagen zu haben. Anfang April wurde der mutmaßliche Täter freigesprochen, obwohl die Opfer ihn eindeutig identifiziert hatten. Die Lausitzer Rundschau titelte: »Überraschender Freispruch nach Angriff auf syrische Jugendliche«. Seit Jahren erwarte die örtliche Linke »nichts von den Strafverfolgungsbehörden«, heißt es von den Antifaschisten.

»Es braucht eine Sensibilisierung in Form von Antidiskriminierungsarbeit, um den rassistischen Grundtenor in der Stadt zu brechen und damit neonazistischen Strukturen den Nährboden und somit die Legitimation zu entziehen«, betont Martin Vesely. Es gebe zwar in der Stadt »vielfältige Akteurinnen, die für ein vielfältigeres und ­offenes Cottbus kämpfen«, jedoch sind »die linken und alternativen Strukturen vor Ort für eine dauerhafte und nachhaltige Bekämpfung der Neonazis zu schwach aufgestellt«. Die Landtagsabgeordnete Andrea Johlige (»Die Linke«) meint im Gespräch mit der Jungle World, dass die »Prävention an anderer Stelle und viel früher einsetzen« müsse, wie zum Beispiel in Schulen, Vereinen oder Jugendclubs. Insgesamt sei »Die Linke« als Partei »skeptisch, was die Aufklärungsmöglichkeiten des Verfassungsschutzes, aber auch, was das Interventionsvermögen anderer Strafver­folgungsbehörden anbelangt«.