Small Talk mit Harald Munding über die erfolgreiche Klage gegen das bayerische Verfassungsschutzgesetz

»Nicht allzu euphorisch«

Das 2016 verabschiedete bayerische Verfassungsschutzgesetz räumte der Behörde weitreichende Befugnisse wie Wohnungsüberwachungen ein. Vorige Woche erklärte das Bundesverfassungsgericht das Gesetz für verfassungswidrig. Die »Jungle World« sprach mit Harald Munding, dem Landessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN/BdA), der an der Klage gegen das Gesetz beteiligt war.
Small Talk Von

Warum haben Sie gegen das Gesetz geklagt?

Das können nur unmittelbar Betroffene machen. Der VVN/BdA wird seit Jahren im bayerischen Verfassungsschutzbericht genannt. Dadurch stehen Mitglieder unter Beobachtung der Landesbehörde. Das hat weitreichende Folgen für die Betroffenen und auch für die lokale antifaschistische Bündnisarbeit. Man muss sich immer wieder rechtfertigen und erklären.

Worin genau verstößt das bestehende Gesetz gegen die Verfassung?

Das oberste Gericht teilt offenbar unsere Einschätzung in wesentlichen Punkten. Das Gesetz in seiner jetzigen Form erlaubt umfangreiche Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht. Personen können ohne konkreten Vorwurf oder überprüfbare Annahmen längere Zeit überwacht werden. Mit dem Urteil ist es nun nicht mehr möglich, ohne konkrete Anhaltspunkte zu unterstellen, dass jemand subver­sive Tätigkeiten gegen die Verfassung planen könnte. Bislang musste der bayerische Verfassungsschutz bei vielen Maßnahmen niemandem Rechenschaft ablegen. Auch hier muss die Politik nun nachbessern. Neben einer Stärkung des Landtagsausschusses geht es unter anderem um klare Kriterien, nach denen der Verfassungsschutz vorgehen muss. Das ist gewissermaßen der Versuch, ein ­Moment demokratischer Kontrolle in die Behörde zu bringen.

Das Urteil hat auch über Bayern hinaus für Aufmerksamkeit gesorgt. Wie könnte es sich auswirken?

Das bayerische Vorbild eines zügellosen Verfassungsschutzes kann nun nicht mehr in der Form Schule machen. Es gab Anzeichen, dass andere Bundesländer dem nacheifern wollten. Mit dem Grund­satzurteil muss Bayern nun deutlich nachjustieren, gleichzeitig werden auch andere Landesregierungen genau schauen müssen, ob ihnen selbst Klagen drohen könnten. Meiner Einschätzung nach verstoßen derzeit alle Landesgesetze gegen das Urteil. Auch das Bundesverfassungsschutzgesetz. Bei der Verhandlung im Herbst waren auch Vertreterinnen und Vertreter des Bundesjustizministeriums da. Die werden sich das jetzt auch genau anschauen. Letztlich ist es ein deutliches Zeichen gegen die Entdemokratisierung des Staatsapparates.

Bayern hat nun über ein Jahr Zeit für urteilskonforme Veränderungen. Können Sie in der Zwischenzeit den Sieg schon mal gebührend feiern?

Im Juli 2023 ist der Stichtag für Bayern, bis dahin muss nachgebessert werden. Wir müssen erst mal abwarten, was bis dahin aus München kommt. Wir freuen uns natürlich über die Bestätigung vor Gericht. Allzu euphorisch sind wir aber nicht. Wir wissen ja auch, wie kreativ die Gesetzgeber sein können. Auch die werden jetzt genau überprüfen, was das Urteil im Detail bedeutet, was es untersagt und was es erlaubt oder vielleicht auch offenlässt. Wir werden den Prozess weiter kritisch begleiten, können aber als VVN/BdA nun generell etwas entspannter sein. Im diesjährigen Verfassungsschutzbericht von Bayern waren wir bereits nicht mehr aufgeführt.