34 Jahre nach der Tat sind ­Thomas Sankaras Mörder in Burkina Faso verurteilt worden

Spätes Urteil

Thomas Sankara kam in Burkina Faso 1983 durch einen Putsch junger Militärangehöriger an die Macht und war bis zu seiner Ermordung am 15. Oktober 1987 Präsident. 34 Jahre später wurde die Tat strafrechtlich aufgearbeitet.

Im Oktober 2021 begann der Prozess vor dem Militärgericht in Ouagadougou. Verurteilt wurde neben weiteren 13 Angeklagten der ehemalige Präsident Blaise Compaoré für die Ermordung Thomas Sankaras. Dieser, damals ­Präsident, und zwölf der Anwesenden wurden 1987 während einer Sitzung des Revolutionsrates überfallen und erschossen.

»Die Strafe für den ehemaligen Präsidenten fiel milder aus als gedacht, denn die Staatsanwaltschaft forderte 30 Jahre Haft, doch das Gericht verhängte lebenslänglich.« So scherzt die Öffentlichkeit in Burkina Faso, seit das Urteil in der ersten Runde des sogenannten Sankara-Prozesses am 6. April fiel. Compaoré war der Nachfolger von Thomas Sankara im Amt des Präsidenten und von Oktober 1987 bis Oktober 2014 an der Macht, als er schließlich durch Massenproteste gestürzt wurde. Der Gesundheitszustand des heute 71jährigen gilt als schlecht, vergangenes Jahr wurde er einer Operation am Gehirn unterzogen, er habe laut dem Nachrichtenportal Jeune Afrique verwirrte Phasen und Erinnerungsschwierigkeiten. Er dürfte also eine geringere ­Lebenserwartung als 30 Jahre haben.

Ein Lebensende hinter Gittern hat er unter den gegenwärtigen Umständen dennoch nicht zu befürchten: Unmittelbar nach seinem Sturz wurde Compa­oré mit einem französischen Armeehubschrauber in das Nachbarland Côte d’Ivoire ausgeflogen, wo er seither lebt, gut abgeschirmt auf Geheiß des Staatspräsidenten Alassane Ouattara, dank dem er auch die ivorische Staatsbürgerschaft annehmen konnte. Ouattara gilt als enger Verbündeter Frankreichs.

Noch während des Gerichts­pro­zesses wegen der Ermordung Sankaras hatten Militärangehörige Zeugen eingeschüchtert.

Sechs Monate dauerte der Gerichtsprozess gegen Compaoré und 14 weitere Angeklagte, die beschuldigt wurden, an der Ermordung marxistischen Revo­lutionärs Thomas Sankara beteiligt gewesen zu sein.

Dieser gehörte vor 1983 dem Zusammenschluss kommunistischer Offiziere (ROC) an und hatte viele in- und ausländische Feinde. Wie zahlreiche Kinder armer Familien hatte er bei der Armee eine Ausbildung und ein Einkommen finden können. In den vier Jahren, die er nach seiner Regierungsübernahme noch zu leben hatte, förderte er entgegen allen Traditionen die Jugend und die Frauen. Er ernannte weibliche Präfekten, zum Erstaunen ihrer männlichen nunmehrigen Untergebenen, und kürzte den meist korrupten Staatsbeamten die Gehälter, um mit den eingesparten Summen Grund und Boden für landlose Bauern zu erwerben. Er verkaufte die Mercedes-Limousinen der Minister und Regierungsfunktionäre, um wesentlich kleinere französische Autos anzuschaffen, und kämpfte aktiv gegen Korruption. Die in Westafrika bis heute verbreitete Genitalverstümmelung an Frauen wurde verboten.

Nicht nur auf diesem Gebiet war Sankara äußerst fortschrittlich. Er interessierte sich für ökologische Landwirtschaft und arbeitete daran, Importprodukte möglichst durch lokale Erzeugnisse zu ersetzen. Im Regierungslager kam es zum Streit um den Führungsanspruch zwischen den Revolutionskomitees einerseits und den Gewerkschaften andererseits.

Sankara stellte die Verschuldung der Länder der sogenannten Dritten Welt als illegitim in Frage und forderte zur Streichung und Nichtzahlung auf. Außenpolitisch machte er sich damit viele Feinde. Frankreichs sozialdemokratischer Staatspräsident François Mitterrand prophezeite ihm bei einem Gipfel der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) – der Vorläuferorganisation der Afrikanischen Union –, er werde vielleicht nicht alt. Dass die ehemalige Kolonialmacht, die in der Region immer noch eine dominante Rolle spielte, an der Vorbereitung seiner Ermordung beteiligt gewesen wäre, ist allerdings nicht bewiesen. Diese Frage müsste Gegenstand des noch zu verhandelnden internationalen Teils des Verfahrens sein. Für dieses hatte Emmanuel Macron im Dezember 2017 versprochen, alle ­relevanten Thomas Sankara betreffenden Akten an Burkina Faso zu überstellen und das staatliche »Verteidigungs­geheimnis« aufzuheben. Der Sankara-Experte Bruno Jaffré monierte jedoch auf einer Veranstaltung vorige Woche in Montreuil bei Paris, alle sensiblen Dokumente seien dabei zurückgehalten worden.

Neben den französischen Entscheidungsträgern werden auch Charles Taylor, der später Präsident Liberias und ein guter Geschäftspartner der Regierung Compaoré werden sollte, und Li­byens Diktator Muammar Gaddafi verdächtigt, sich an der Vorbereitung der Ermordung Sankara beteiligt oder zumindest von ihr gewusst zu haben. Beiden stand er bei der Durchsetzung regionalpolitischer Interessen ebenfalls im Weg.

Die inländische Seite des politischen Mords an Sankara und an elf seiner Weggefährten am 15. Oktober 1987 ist nun abschließend gerichtlich behandelt worden, die internationalen Verwicklungen hingegen sind ungeklärt.

Jaffré bedauert, dass in dem nun abgeschlossenen Prozess fast ausschließlich Militärangehörige verurteilt wurden. Hinzu kommen die Ärzte, die Sankara eine natürliche Todesursache attestierten – ein wenig naheliegender Schluss bei einem Toten im Alter von 37 Jahren mit zahlreichen Einschusslöchern. Deren Mehrzahl befand sich an der Unterseite der Arme, weil Sankara die Hände in die Höhe hob, als die Soldaten des Mordkommandos in die Sitzung eindrangen, an der er teilnahm.
Nicht angeklagt waren mutmaßliche zivile Komplizen des Mordkomplotts. Jaffré nennt den Politiker Salif Diallo. Der befand sich in der Privatwohnung des Anstifters Compaoré, von der das Mordkommando losfuhr. Nach erfolgter Tötung Sankaras verbrachte Diallo die Nacht am Sitz des nationalen Radiosenders, um zu überwachen, dass in der Putschsituation nichts Aufrühre­risches ausgestrahlt würde, das Widerstand gegen den Umsturz erregen könnte. Wegen der jahrzehntelangen Verschleppung des Ermittlungsver­fahrens zum Mord an Sankara, welches trotz früherer Klagen der Witwe Mariam Sankara und anderer Angehöriger erst nach dem Sturz Compaorés aufgenommen wurde, verstarb Diallo unbehelligt im August 2017.

Diallo war bis dahin eine zentrale Figur der Politik in Burkina Faso. Wenige Monate bevor Protestierende das Par­lament in Ouagadougou stürmten und anzündeten und dadurch Compaoré in die Flucht schlugen, hatte er eine Abspaltung von Compaorés Regierungs­partei Kongress für Demokratie und Fortschritt (CDP) gegründet, die Volksbewegung für den Fortschritt (MPP). Der MPP bildete ein Auffangbecken für Karrieristen, als sich der Niedergang der Herrschaft Compaorés abzuzeichnen schien, und regierte das Land von 2015 bis zum Militärputsch junger Offiziere im Januar 2021.

Gegen weitere zivile Verdächtige wie den Radiojournalisten Gabriel Tamini, einen Weggefährten Diallos und zeitweiligen Berater von Präsident Compaoré, wurden Ermittlungsverfahren eingestellt.

Auch nach der Vertreibung Compa­orés gab es zahlreiche Versuche, seitens der Armee, Frankreichs und auch der UN, die Arbeit der Justiz zu erschweren, indem ihr wichtige Informationen vorenthalten wurden. Diese ließ sich jedoch nach 2014 nicht mehr von ihrer Arbeit abbringen und trieb das Verfahren unbeirrt voran. Zuvor hatte sie nicht tätig werden können, da ihr die notwendige Unterschrift des Verteidigungsministers fehlte, der formal die Prozedur einleiten musste, weil sowohl Sankara als auch seine Mörder der Armee angehörten.

Dass die inländische Justiz trotz aller Widerstände das Verfahren auch gegen einige Mächtige und ehemals Mächtige durchzog, war zunächst dem als Untersuchungsrichter wirkenden Militärrichter François Yaméogo zu verdanken, dessen prinzipientreue Arbeit jüngst das von Nichtregierungsorganisationen und Aktivisten gebildete internatio­nale Netzwerk »Gerechtigkeit  für Sankara« würdigte. Bei der im Oktober aufgenommenen Gerichtsverhandlung hatte dann der Zivilist Urbain Méda den Vorsitz inne, seine Beisitzer waren Militärangehörige. Auch ihre Tätigkeit würdigten die Unterstützer Sankaras und seiner Familie.

Noch während des Prozesses hatten Militärangehörige Zeugen eingeschüchtert, beispielsweise General Gilbert Diendéré, der einer der drei Hauptangeklagten war. Er saß bereits wegen seiner Beteiligung an einem gescheiterten Putschversuch im Jahr 2015, der das Regime Compaorés zurück an die Macht bringen sollte, in Haft. Teilen der seit Januar dieses Jahres amtierenden Militärregierung wurden zunächst Ambitionen nachgesagt, seine Freilassung anzuordnen, diese erfolgte jedoch bislang nicht.

Diendéré wurde im ­Gerichtssaal von seinen Anhängern gegrüßt, am Tag der Urteilsverkündung wäre es beinahe zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Unterstützern Sankaras und Diendérés im und vor dem Gebäude gekommen. Diendéré nutzte das letztlich nichts: Er wurde wegen seiner Rolle beim Mord an Präsident Sankara zu lebenslänglicher Haft verurteilt, ebenso wie die beiden anderen Hauptangeklagten. Neben Diendéré und Compaoré zählte zu diesen noch der ebenfalls in die Côte d’Ivoire geflüchtete frühere Armeekommandant Hyacinthe Kafando.

Bis heute bleibt Sankara in seinem Land und weit darüber hinaus populär. In der Pariser Vorstadt Ivry-sur-Seine wurde 2018 eine 33 Meter hohe Freske mit seinem Konterfei eingeweiht. Ähnlich wie bei Che Guevara wissen allerdings nicht alle, die ihn heutzutage verehren, allzu viel über seine Ideen.