Von Broadcast sind gleich drei neue Platten erschienen

Lauter kleine Stilübungen

Die Indieband Broadcast genießt Kultstatus. Drei Compilations der britischen Gruppe, die seit dem Tod ihrer Sängerin Trish Keenan 2011 nicht mehr existiert, sind jetzt neu aufgelegt worden. Sie zeigen eindrücklich das Interesse der Band für Experiment und Easy Listening.

»What’s the point in wasting time«, haucht Trish Keenan in dem Song »Come On Let’s Go« ihrer Band Broad­cast. Als sie ihn im Jahr 2000 einsang, konnte sie nicht wissen, wie verhältnismäßig wenig Zeit ihr selbst noch bleiben sollte: 2011 verstarb die erst 42jährige englische Sängerin überraschend an einer Lungenentzündung, nachdem sie sich die Schweinegrippe zugezogen hatte.

Offiziell umfasst die Diskographie der Band, die von 1995 bis 2013 bestand, lediglich drei Alben, zählt man eine mit der Band The Focus Group aufgenommene Platte und einen Soundtrack nicht mit. Jetzt sind ganze drei Platten von Broadcast neu erschienen. Neu? Nicht ganz. Es handelt sich nicht um kürzlich aufgetauchtes, nie veröffentlichtes Material, rar war es bis jetzt aber doch: Die »Maida Vale Sessions« bestehen zum größten Teil aus Peel Sessions, auch ein weiteres kleines Radiokonzert lässt sich darauf finden, und »Microtronics – Volumes 1 & 2« sowie »Mother Is the Milky Way« sind sogar bereits veröffentlicht worden – allerdings, und das ist ungewöhnlich genug, als »tour only CDs«. Nur auf den Tourneen 2003, 2005 und 2009 gab es die jeweiligen Alben zu kaufen. Von der ersten Ausgabe der »Mictrotronics« wurden nur 2 000 Stück hergestellt, »Mother Is the Milky Way« war sogar auf 750 Stück limitiert.

Man wähnt sich beim Hören in einem französischen Film der Nouvelle Vague, so melancholisch und doch leicht kommen die Lieder daher. Trish Keenan ist, so könnte man sagen, die Anna Karina oder Anne Wiazemsky des Indierocks.

Dem Konzept »Neu, aber nicht ganz« folgen auch die »Maida Vale Sessions«. Die meisten enthaltenen Songs sind zwar schon auf Alben der Band erschienen, das bereits genannte »Come On Let’s Go«, das zauberhafte »The Book Lovers« oder das aggressive »Pendulum« klingen durch die Live-ähnliche Aufnahme­situation im Radiostudio aber luftiger, graziler und doch wuchtiger als die ursprünglichen Versionen. Und da die Aufnahmen zwischen 1996 und 2003 entstanden, decken sie eine Menge an Sounds ab: »Forget Every Time« klingt wie ein Song von Portishead (ohne dabei die für die Trip-Hop-Pioniere charakteris­tische Neunziger-Jahre-Patina angelegt zu haben), die Coverversion von Nicos »Sixty Forty« kommt bei weitem nicht so getragen daher wie bei Christa Päffgen, und allgemein wähnt man sich beim Hören in einem französischen Film der Nouvelle Vague, so melancholisch und doch so leicht kommen die Lieder daher. Keenan ist, so könnte man sagen, die Anna Karina oder Anne Wiazemsky des Indierocks der Neunziger.

Die »Maida Vale Sessions« sind, ohne so konzipiert zu sein und ohne das zu wollen, wohl das beste Album der Band – in dem Sinne, dass sich auf ihm das Substrat des Sounds von Broadcast am konzentriertesten findet. Dieser mag für einige mit dem Begriff »Indietronica« am besten beschrieben sein, doch das trifft es nicht ganz. Broadcast hatten die klassische Besetzung einer Rockband – und zu der gehören eben auch Tasteninstrumente. Nein, was Broadcast in beeindruckender Weise zu produzieren imstande waren, ist eine Musik, die man wohl am besten als intellektuelles Easy Listening bezeichnen könnte, jene Art von Fahrstuhlmusik, die in den Neunziger ironisch besetzt und mit ziemlicher Ernsthaftigkeit, wie im Fall von Broadcast, gespielt wurde.

Elektro-lastig sind in jedem Fall die »Microtronics«. Nur einer der 21 Songs ist länger als zwei Minuten. Die an die Musique concrète gemahnenden Stücke klingen mal wie die Hintergrundmusik eines alten Computerspiels, dann wie der Sound­track eines Science-Fiction-Films und zwischendurch immer wieder wie kleine Ausschnitte aus einem Jazz-Konzert. Kurz: Es sind lauter kleine Stilübungen.

Auf »Mother Is the Milky Way« lassen sich eher fragmentarische Lieder finden, immer wieder werden Field Recordings oder Found Footage aus Filmen eingestreut. Die Platte ist eine riesige Soundcollage, auf der die Band in einem Strudel aus Klanggewirr ihre Melodien ausprobiert und man am Ende gar nicht mehr so recht weiß: Was stammt eigentlich von Broadcast und was ist geklautes Material?

Broadcast: Maida Vale Sessions/Micro­tronics – Volumes 1&2/Mother Is the Milky Way (Warp Records)