Tupoka Ogettes »Und jetzt du« lässt sich mit seinen antirassistischen Tipps sehr viel Zeit

Sich entschuldigen und Danke sagen

Antirassismus als Lifestyle-Ratgeber, so ließe sich das neue Buch von Tupoka Ogette ­zusammenfassen. In »Und jetzt du« gibt die Trainerin und Autorin Tipps für eine rassismus­kritische Lebensführung, ist aber mehr darauf aus, dass sich ihre Leser schämen, als dass sie etwas über Rassismus begreifen.

An Berlins S-Bahnhöfen konnte man dieser Werbung im Frühjahr kaum entkommen: »Deine tägliche Entscheidung« stand dort in dicken Lettern auf großformatigen Plakaten. Man dachte: Lifestyle-Ratgeber oder irgendwas mit Jesus? Tatsächlich wurde hier der neueste heiße Hype in Sachen Antirassismus beworben. »Und jetzt Du« heißt das Buch, Autorin ist die Trainerin und Beraterin Tupoka Ogette, deren Erstling »Exit Racism« von 2017 inzwischen schon seine neunte Auflage erlebt hat. Der kleine Unrast-Verlag, in dem das Buch zuerst erschien, dürfte sich mit diesem Geldsegen für Jahre saniert haben. Das neue Buch ist beim Penguin-Verlag erschienen – Gruppe Random House. Wer soll es der Autorin verdenken: Auch Weltverbesserer dürfen kluge Marketing-Entscheidungen treffen. Aber funk­tioniert Antirassismus als Lifestyle-Ratgeber?

Ogette hat sich jedenfalls große Mühe gegeben, ein Lifestyle-Buch zu schreiben. Man erfährt, wie schwer der Weg zu einer rassismuskritischen Lebensführung ist, aber auch, welche Chance das birgt. Zwischen Anekdoten und Schnipseln aus dem Weltgeschehen warnt die Autorin vor den Herausforderungen. Man werde Scham, Schuld, Verdrängung, Trauer und Wut erleben. Wenn es einem zu viel werde, solle man das Buch beiseitelegen und sich etwas anderem widmen, rät sie. Sie dekliniert alle noch so blöden Argumente durch, die bisweilen gegen die eigene Auseinandersetzung mit Rassismus vor­gebracht werden: Nein, wenn man einen schwarzen Freund hat, ist man nicht automatisch nicht rassistisch. Das mehr dazu gehöre, rassismuskritisch zu sein, werde man lernen, wenn man weiterliest.

Der einzige Tipp, der tatsächlich etwas mit rassistischem Verhalten, und wie man es unterlassen kann, zu tun hat, lautet: Vermeide Gruppen­zuschreibungen und Stereotypisierungen. Das war’s.

Irgendwann fühlt man sich, als habe man wider besseres Wissen auf eines dieser Werbevideos geklickt, die in gefühlt unendlich hintereinander geschalteten Spots versprechen, im nächsten Spot werde die neue, nie dagewesene Methode verraten, wie man schlank werde oder ganz viel Geld verdiene. Endlich dann, auf Seite 89, keimt Hoffnung, dass es losgeht mit dem Instrumentenkoffer für die Reise zur rassismuskritischen Lebensführung. Denn da heißt es: »Bist Du bereit? Dann lass uns loslegen!«

Doch dann geht es weiter mit sogenannten Abwehrmechanismen, jetzt aber spezifischer mit white fragility. Die »weiße Zerbrechlichkeit« hat die US-amerikanische Autorin Robin DiAngelo entdeckt und darüber 2018 einen internationalen Best­seller geschrieben. White fragility ist, wenn Menschen, denen Rassismus vorgeworfen wurde, abwehrend, schockiert oder traurig reagieren und wenn sie sich erklären, Rückfragen stellen oder darüber reden wollen.

DiAngelo hat das oft in ihren Workshops erlebt. Sie ist Diversity-Trainerin wie Tupoka Ogette. Ständig fangen ihre Teilnehmerinnen an zu heulen und rennen raus, wenn ihnen DiAngelo sagt, dass sie rassistisch seien. Ogettes Schülerinnen sind glücklicherweise nicht ganz so fragil, erzählt sie im Buch. Aber auch sie erklären ihr Verhalten oder fragen nach. Sie akzeptieren einfach nicht, dass sie »dankbar« für die Kritik sein sollten. Wobei Nachfragen wohl an sich erlaubt sind. Ogette scheint da im Vergleich zu anderen rassismuskritischen Autorinnen großzügig zu sein. Ihre Leserinnen dürfen ihr ­sogar wütende E-Mails schreiben, wie sie im Buch anbietet. Sie diskutiere auch viel mit fragilen Weißen im Internet, obwohl sie allgemein davon abrät, people of color mit Fragen zu belästigen.

Antworten auf ihre Fragen bekommen diejenigen in ihren Fallbeispielen eh nicht. Stattdessen erklärt Ogette Satz für Satz, was an deren Fragen in die Kategorie der Argumenta­tionsstrategien whataboutism, derailing und othering falle.

Im Laufe des Buchs leidet man zunehmend mit – mit Ogette und den Fragenden, die sich miteinander in absurde Diskussionen verstricken, die man nicht in Gänze vorgesetzt bekommt, sich aber vorstellen kann. Ogette erklärt dabei nur in Ansätzen, was Rassismus überhaupt ist – auf gerade einmal einer Seite. Eine Checkbox soll einem beim Überprüfen helfen. Wichtigste Merkmale: Eine Diskriminierung ist strukturell und dahinter steckt eine Ideologie. Schwer anzunehmen, dass eine Zielgruppe, die gerne im Grundschulton belehrt wird, bereits weiß, was mit strukturell gemeint und was Ideologie ist. Immerhin ist die white fragility gut zusammengefasst. Allerdings ist dieser Teil weitestgehend aus ihrem vorherigen Buch übernommen. Wer ein Wörterbuch zur Ideologie der sogenannten Kritischen Weißseinsforschung braucht, ist mit dem deutlich kompakteren »Exit Racism« besser bedient.

Endlich, auf Seite 171, beginnt der Ratgeberteil, Überschrift: »Zwölf Dinge, die Du sofort umsetzen kannst«. Es folgt eine lange Liste. Die lässt sich so zusammenfassen: Lies Bücher von Black Indigenous People of Color (BIPoC), höre Podcasts von BIPoC, abonniere Social-Media-Kanäle von BIPoC, kaufe bei BIPoC, suche dir BIPoC-Vorbilder, mache Workshops bei BIPoC. Auch ein paar allgemeine Lerntipps gibt es: ein Tagebuch führen und sich mit anderen regelmäßig über Fortschritte austauschen.

Der einzige Tipp, der tatsächlich etwas mit rassistischem Verhalten, und wie man es unterlassen kann, zu tun hat, lautet: Vermeide Gruppen­zuschreibungen und Stereotypisierungen. Das war’s. Und mehr soll man auch nicht erwarten. Denn auch diesen Tipp gibt es: »Erwarte keine Nachhilfe von BIPoC.« Das ist immerhin eine Anweisung, die leicht zu verstehen und zu befolgen ist. Für den Fall, dass einem jemand Rassismus vorwirft, solle man das als Chance begreifen, um zu wachsen: »Atme also einmal tief durch, entschuldige Dich und mach es das nächste Mal besser.«

Zumindest ein Versprechen hält das Buch: Wer es ernst nimmt, dürfte auf die Dauer wütend werden. Denn die Botschaft ist durchweg: Weiße, die etwas lernen wollen und Fragen stellen, verhalten sich falsch. Weiße, die schon etwas gelernt haben und ihr Wissen teilen, verhalten sich falsch. Weiße, die nichts sagen, verhalten sich auch falsch. Sogar rassistisches Verhalten bei anderen zu kritisieren, kann falsch sein. Richtiges Verhalten ist: sich entschuldigen und Danke sagen.

Klar: Wer das doof findet, leidet unter »weißer Zerbrechlichkeit«. So weit, so unleserlich. Aber dann passiert ab Seite 184 etwas Erstaunliches. Ogette beschreibt Alltagssituationen, wie man sie durchaus kennt, und ­erklärt, was an ihnen rassistisch ist. Es geht um Erlebnisse in der Firma, der Schule und der Kita. Man merkt: Das ist ihr wichtig. Kurz darauf untermauert sie ihre Thesen sogar mit Fakten und Statistiken, wenn sie über Rassismus im Gesundheitssystem, in der Werbung, der Musikbranche, Film, Literatur und Theater schreibt – zum ersten Mal im gesamten Buch.

Verwirrt fragt sich die Leserin, die es bis hierher geschafft hat, was denn da vorgefallen sei. Hat Ogette selbst oder eine Lektorin diesen Teil nach hinten verbannt, weil hier ­tatsächlich echten Menschen, wie sie einem im Alltag begegnen, auf die Füße getreten wird oder weil hier Politik kritisiert wird? Oder hatte Ogette ganz zum Schluss die Eingebung, dass es doch besser wäre, wenn weiße Menschen etwas begreifen und nicht nur in der Ecke sitzen und sich schämen?

Tupoka Ogette: Und jetzt du. Rassismuskritisch leben. Penguin-Verlag, München 2022, 336 Seiten, 22 Euro