Der Spionageskandal »Catalan Gate« erschüttert Spanien

Spion gegen Spion

Spaniens Geheimdienst spionierte Smartphones katalanischer und baskischer Separatisten aus. Die Affäre sorgt für Spannungen innerhalb der Regierungskoalition und im Lager der Unterstützer der Minderheitsregierung. Doch auch Ministerpräsident Pedro Sánchez und weitere Regierungsmitglieder wurden ausgespäht – vermutlich von Marokko.
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Seit rund einem Monat sorgt ein Spionageskandal, genannt »Catalangate«, in Spanien für heftige politische Debatten. Citizen Lab, eine Forschungseinrichtung der Universität Toronto, die sich mit Cybersicherheit beschäftigt, machte am 26. April publik, dass die Smartphones von mindestens 65 Personen aus dem Lager der katalanischen und baskischen Separatisten – Politiker, Aktivisten, deren Anwälten sowie Journalisten – mit Spionage-Software angegriffen oder infiziert worden seien; die meisten mit »Pegasus«, manche mit »Candiru«, einige gar mit beiden. Die Software »Pegasus« zum Ausspähen von Apple- und Android-Geräten wird vom israelischen Unternehmen NSO Group an Regierungen verkauft. »Candiru« von der israelischen Firma Saito Tech wird ebenfalls an Regierungen verkauft und kann iPhones, Android-Smartphones, Macs, PCs und Cloud-Konten infizieren und überwachen.

Abgehört wurden unter anderem der derzeitige katalanische Regionalpräsident Pere Aragonès (Republikanische Linke, ERC), ehemalige katalanische Regionalpräsidenten wie Carles Puigdemont von der liberalkonservativen separatistischen Partei Gemeinsam für Katalonien (JxCat) und Artur Mas (Demokratische europäische Partei Ka­taloniens, PDeCAT) sowie ehemalige oder amtierende Minister und Politiker wie Carles Riera von der linksorientierten separatistischen Candidatura d’Unitat Popular (Kandidatur der Volkseinheit, CUP) und Jordi Sànchez Picanyol (JxCat).

Abgehört wurden der katalanische Regionalpräsident Pere Aragonès, Amtsvorgänger wie Carles Puigdemont und Artur Mas sowie ehemalige oder amtierende Minister und Politiker.

Das Bekanntwerden hat für enorme Spannungen in der linken Regierungskoalition aus der sozialdemokratischen Partei PSOE und dem linken Bündnis Unidas Podemos sowie mit den separatistischen Parteien Kataloniens (ERC) und des Baskenlandes (EH Bildu, EAJ-PNV) gesorgt, auf deren Unterstützung die Minderheitsregierung im Parlament angewiesen ist. Das 16 Milliarden Euro schwere Hilfspaket, das die Folgen des Ukraine-Kriegs für die spanische Wirtschaft abfedern soll, wurde am 28. April nur ganz knapp angenommen – mit den Stimmen von EH Bildu, aber ohne die sonstigen Unterstützer der Regierung wie ERC.

Die Direktorin des spanischen Geheimdiensts CNI, Paz Esteban López, wurde am 11. Mai abberufen. Vor dem Geheimdienstausschuss des spanischen Parlaments hatte sie am 5. Mai zugegeben, dass der CNI für die Bespitzelung von mindestens 18 Personen, darunter Aragonès, verantwortlich sei. Erworben habe der CNI, wie die Zeitung El País berichtete, »Pegasus« bereits 2017 wegen der Eskalation des Konflikts um Kataloniens Unabhängigkeit und des von der damaligen spanischen Regierung – geführt von der Volkspartei (PP) – als rechtswidrig erachteten Referendums am 1. Oktober jenes Jahres. Doch offiziell begonnen hat das Programm des CNI El País zufolge erst ab 2019.

Der Anwalt Gonzalo Boye, der den im belgischen Exil lebenden Puigdemont und weitere katalanische Politiker vertritt, die von der spanischen Justiz gesucht werden, wurde ebenfalls mit »Pegasus« ausspioniert. Er reichte Anfang Mai vor einem Madrider Gericht unter anderem Klage gegen die NSO Group ein und Mitte Mai vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) und dem Gericht der Europäischen Union (EuG) gegen den Obersten Richter Pablo Lucas, der die Lauschangriffe autorisiert hatte. Das Aus­spionieren von Anwälten verlezte Grundrechte, sagt Boye im Gespräch mit der Jungle World. Er betonte, es sei »sehr eigenartig, dass die Staatsanwaltschaft noch nicht reagiert hat«, und empörte sich, es scheine, »als hätten manche Menschen eben kein Recht auf Gerechtigkeit«. Für Boye sei es einer der größten Skandale in Spanien seit Ende der Franco-Diktatur. »Und einer, der im Land selbst medial banalisiert und ignoriert wird.«

Der Einsatz der Spionage-Software war jedoch offenbar juristisch gedeckt. Bei der Anhörung am 5. Mai hatte Esteban für jeden der Angriffe auf die 18 Personen eine richterliche Erlaubnis von Pablo Lucas vorgelegt. Der nach ihrer Absetzung zur Klärung der Spionage-Attacken beauftragte Defensor del Pueblo (entspricht einer Ombudsperson), Ángel Gabilondo, gab am Mittwoch vergangener Woche bekannt, dass der richterlich genehmigte Einsatz von »Pegasus« durch das CNI zumindest in jenen 18 Fällen verfassungskonform gewesen sei, da er im Sinne der staatlichen Sicherheit erfolgt sei, wie aus den Gerichtsakten hervorgehe. Esteban hatte am 5. Mai argumentiert, der CNI habe gewalttätige Proteste verhindern wollen. Alle verfassungsrechtlichen Garantien seien gewahrt gewesen, so Gabilondo, der zugleich forderte, das Ausspionieren von Mobiltelefonen müsse einer weiterreichenden juristischen Kontrolle unterstellt werden.

Inmitten der Kontroverse gab der Kabinettschef Félix Bolaños am 2. Mai bekannt, dass auch die Smartphones von Ministerpräsident Pedro Sánchez (PSOE), der ehemaligen Außenministerin Arancha González Laya und der derzeitigen Verteidigungsministerin Margarita Robles sowie weiterer Minister »Pegasus«-Attacken ausgesetzt gewesen seien. Verdächtigt wird der marokkanische Geheimdienst, der »Pegasus« bereits oft verwendet hat, unter anderem gegen Journalisten wie Ali Lmrabet, der sich für Pressefreiheit in Marokko einsetzt. Zwischen Marokko und Spanien gab es just Ende Mai 2021 eine tiefe diplomatische Krise, weil Brahim Ghali, der Präsident der Demokratischen Arabischen Republik Sahara und des Frente Polisario, der Unabhängigkeitsbewegung der von Marokko besetzten Westsahara, ab Mitte April 2021 wegen einer schweren Covid-19-Erkrankung im spanischen Logroño im Krankenhaus behandelt worden war (Jungle World 45/2021). Marokko, um Druck auf Spanien wegen seiner Position zur Westsahara auszuüben, kontrollierte im Mai 2021 die Grenzen zu den spanischen Exklaven Ceuta und Melilla zeitweise nicht mehr, so dass diese binnen Stunden 3 000 Migranten passieren konnten.

In jener Zeit wurde auch das Smartphone des spanischen Journalisten und Maghreb-Experten Ignacio Cembrero mit »Pegasus« ausspioniert. Davon habe er dank der Recherchen des Journalistenkollektivs »Forbidden Stories« erfahren, die die französische Zeitung Le Monde und die belgische Zeitung Le Soir am 18. Juli 2021 veröffentlicht hatten. »Ich erhielt einen Anruf und man sagte mir, mein Name stehe auf der Liste Marokkos für den Einsatz der Software«, sagte er der Jungle World. »Aber bereits Ende Mai des Vorjahres hatte ich einen Verdacht, da in einem marokkanischen Medium, Maroc Diplomatique, das König Mohammed VI. nahesteht, in einer Meinungskolumne, die mich attackierte, auf zwei Nachrichten meinerseits Bezug genommen wurde, die ich mit hochrangigen Mitgliedern der spanischen Regierung ausgetauscht hatte.« Diese Nachrichten, so Cembrero, habe der marokkanische Geheimdienst auf seinem Smartphone mitgelesen. Er geht davon aus, dass hinter den »Pegasus«-Attacken gegen Sánchez und seine Minister nur Marokko stehen könne.