Lügendetektortests gelten als unwissenschaftlich, benutzt werden sie dennoch

Der Detektor lügt

Seit 100 Jahren gibt es Lügendetektortests. Anhand körperlicher Reaktionen sollen sie erkennen können, ob jemand die Wahrheit sagt oder lügt. Ihre tatsächliche Beweisfähigkeit wurde von Beginn an bezweifelt, in der Fachwelt gelten sie als unwissenschaftlich. Benutzt werden sie dennoch.

Die Angeklagte hatte Glück. Angesichts des belastenden Materials hatte die Staatsanwaltschaft mit einer Verurteilung gerechnet. Doch Cormac Quinn, Richter am Kriminalgericht im irischen Clonmel, ließ das zentrale Beweismittel in einem ersten Prozess im Juli vergangenen Jahres nicht zu: ein Schuldeingeständnis während eines Lügendetektortest. Ende März schloss sich das irische Berufungsgericht in Dublin Quinns Entscheidung an und sprach die Angeklagte ebenfalls frei.

Der Frau war der sexuelle Missbrauchs ihrer drei Kinder vorgeworfen worden. Im Zuge der Ermittlungen hatte sie in den Lügendetektortest eingewilligt, weil ihr Beamte in Aussicht gestellt hatten, sie könne ihre Kinder wahrscheinlich wiedersehen, wenn sie den Test unter Leitung eines forensischen Psychologen durchlaufe. Ihr Verteidiger sagte dem Irish Examiner Ende März, die Beamten hätten sogar behauptet, sie werde nach dem Test nicht mehr strafrechtlich verfolgt. Es ist also nicht verwunderlich, dass die beteiligten Richter das unter dubiosen Umständen entstandene Beweismaterial nicht anerkannten.

Dass ein unwissenschaftliches Verfahren zur Wahrheitsfindung genutzt wird, ist schlimm genug. Geradezu dystopisch ist die Vorstellung, eines Tages würde tatsächlich eine Apparatur erfunden, die Menschen zweifelsfrei der Lüge überführen könnte.

Es handelt sich um einen der seltenen Fälle, in denen in Europa ein Lügendetektortest Schlagzeilen gemacht hat. In den meisten europäischen Ländern sind Lügendetektoren zur Wahrheitsfindung in staatlichen Ermittlungsverfahren nicht zugelassen. Ihr Einsatz gilt als unzuverlässig und als Verstoß gegen das Schweigerecht von Angeklagten.

Belgien ist eine Ausnahme: The Brussels Times zufolge stellte die belgische Polizei allein im Jahr 2019 im Zuge von Ermittlungen 456 Lügendetektortests an. Die Tests bedürfen allerdings der Zustimmung der Verdächtigen und können vor Gericht nicht als alleiniges Beweismittel vorgelegt werden. In Irland können Informationen aus Lügendetektortests als Beweismittel vor Gericht zwar vorgelegt werden, es liegt jedoch im Ermessen des Richters, sie anzuerkennen. In Deutschland sind die Tests seit einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs von 1954, die 1998 bestätigt wurde, bei Gerichten nicht mehr zugelassen.

Eine größere Rolle als in Europa spielen die modernen Tests in den USA, wo sie erfunden wurden. 1921 ging der Mediziner und Polizist John Augustus Larson mit einer aufsehenerregenden Behauptung an die Öffentlichkeit: Seine Erfindung, der »Cardio-Pneumo-Polygraph«, könne anhand von Auffälligkeiten des Blutdrucks und der Atemfrequenz einer befragten Person feststellen, ob diese die Wahrheit sage oder nicht.

Noch im selben Jahr kam der »Cardio-Pneumo-Polygraph« vor Gericht zum Einsatz: William Hightower, der angeklagt war, in San Francisco einen katholischen Priester ermordet zu haben, wurde mit Larsons Lügendetektor der Tat überführt. »Die Wissenschaft deutet auf Hightowers Schuld hin«, titelte The San Francisco Call damals. Allerdings dürften auch die weiteren Beweismittel eine entscheidende Rolle gespielt haben: Beamte hatten in Hightowers Zimmer die Schreibmaschine gefunden, auf der eine Lösegeldforderung getippt worden war, ebenso wie ein blutverschmiertes Stück Stoff und Sand von der Stelle, an der der tote Priester verscharrt worden war.

Lügendetektortests waren von Beginn an umstritten, ihre Wissenschaftlichkeit und Zuverlässigkeit wurden bereits nach Hightowers Verurteilung heftig diskutiert. Zu einem überzeugten Gegner wurde Larson selbst. Er scheiterte trotz zahlreicher Testreihen an dem Nachweis, dass seine Erfindung verlässliche Ergebnisse produzierte. Die Fehlerquote lag meist bei etwa 40 Prozent.

Und selbst wenn sich die Ergebnisse verlässlicher gestaltet hätten, wäre ein Problem geblieben: Ein direkter Zusammenhang zwischen Veränderungen des Blutdrucks und der Atemfrequenz einer befragten Person einerseits und dem Wahrheitsgehalt der von ihr gegebenen Antworten andererseits besteht nicht. Manche Personen reagieren sensibler auf Befragungssituationen, ganz zu schweigen von Menschen mit Angststörungen und anderen psychischen Beschwerden, andere bleiben entspannt und können unter Umständen den Test sogar manipulieren, wenn sie zur rechten Zeit eine ruhige Atmung bewahren.

Dem Erfolg des Lügendetektors taten die zahlreichen Einwände und die mahnenden Worte des Erfinders keinen Abbruch. Sein Zögling und Geschäftspartner Leonarde Keeler entwickelte die Methode weiter, so dass ab 1939 auch Veränderungen der Schweiß­produktion der Befragten erfasst wurden. Er produzierte eine transportable Apparatur und benannte das Gerät in »Polygraph« um, was bis heute die offizielle Bezeichnung für den Lügendetektor ist.

Die Verwendung vor Gericht ist in den USA auch heutzutage noch umstritten. In knapp 20 Bundesstaaten, darunter Kalifornien, Arizona und New Jersey, sind Lügendetektortests als Beweismittel vor Gericht unter bestimmten Umständen zulässig – obwohl zum Beispiel die Nationale Akademie der Wissenschaften die Aussagekraft in einem Report 2003 als »spärlich und wissenschaftlich schwach« eingestuft hat.

Besonders beliebt sind die Tests bei staatlichen Arbeitgebern, die bei der Personalsuche herausfinden wollen, wie es Bewerberinnen und Bewerber mit der Wahrheit halten. Einem Bericht des Magazins Wired zufolge werden in den USA jährlich 2,5 Millionen Lügendetektortests zu einem Durchschnittspreis von 700 US-Dollar vorgenommen. Der überwiegenden Zahl der Tests müssen sich angehende Feuerwehrleute, Sanitäter und Polizisten unterziehen. In der Privatwirtschaft bewahrt der Employee Polygraph Protection Act von 1988 Bewerberinnen und Bewerber überwiegend vor derlei Zudringlichkeiten.

Die vielfach attestierte Unwissenschaftlichkeit von Lügendetektortests, die unter anderem auf der Website antipolygraph.org gut dokumentiert ist, hält Firmen nicht davon ab, das Verfahren technologisch aufzupeppen. Das Unternehmen Converus aus dem US-Bundesstaat Utah brachte vor einigen Jahren »Eye Detect« auf den Markt, einen Detektor, der befragte Personen anhand von auffälligen Augenbewegungen überführen soll. Die Kritik bleibt allerdings: Es besteht kein nachweisbarer Zusammenhang zwischen einem Blinzeln und einer Lüge, mögen die benutzten Algorithmen auch noch so ausgefeilt sein.

Dass ein unwissenschaftliches Verfahren wie der Lügendetektortest überhaupt zur Wahrheitsfindung genutzt wird, ist schlimm genug. Geradezu dystopisch ist allerdings die Vorstellung, dass eines Tages tatsächlich eine Apparatur erfunden werden sollte, die Menschen anhand körperlicher Reaktionen zweifelsfrei der Lüge überführen könnte. In Zeiten, in denen die Herrschaft von Kapital und Staat auf digitalem Weg bis in die hintersten Winkel des Lebens eindringt, Einstellungen und Gewohnheiten erfasst und konforme Bedürfnisse und Ansichten erzeugt, ist das kleine oder große Geheimnis, das jemand in sich trägt, einer der letzten Rückzugsorte der persönlichen Freiheit.