Immer mehr Staaten wenden das Weltrechtsprinzip an, um gegen Kriegsverbrechen zu ermitteln

Die Suche nach Gerechtigkeit ist international

Staaten wie Schweden, Frankreich oder Deutschland wenden immer häufiger das Weltrechtsprinzip an, um gegen Straftaten wie Völkermord, Verbrechen gegen die Menschheit oder Kriegsverbrechen zu ermitteln.

Für Mazen Darwish war es eine ganz besondere Reise. »Endlich in Kiew«, twitterte der syrische Rechtsanwalt am 1. Mai, als er gemeinsam mit der Generalsekretärin von Amnesty International, Agnès Callamard, und anderen Menschenrechtlern in der ukrainischen Hauptstadt ankam. Dort traf die Delegation gleich zu Beginn ihrer Reise mit der ukrainischen Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa zusammen, die sich vorgenommen hat, die meisten Vergehen russischer Einheiten von der Justiz ihres eigenen Landes untersuchen zu lassen, nicht von ausländischen Ermittlern.

Ein Ziel, das Darwish rundum unterstützt: »Der professionelle Umgang mit Tausenden von Straftaten und das Management der Erwartungen der Opfer ist eine der größten Herausforderungen für die Generalstaatsanwältin der Ukraine«, so der syrische Journalist und Menschenrechtsanwalt, der nach drei Jahren im Gefängnis unter Bashar al-Assad 2015 aus Syrien nach Deutschland ausreisen konnte.

Dort gelang es ihm gemeinsam mit dem European Centre for Constitutional and Human Rights (ECCHR), zwei Geheimdienstmitarbeiter des Assad-Regimes vor Gericht zu bringen – im weltweit ersten Prozess wegen Staatsfolter in Syrien. Wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilte das Oberlandesgericht Koblenz Eyad al-Gharib zu viereinhalb Jahren Gefängnis; gegen den zweiten Angeklagten, Anwar Raslan, verhängte das Gericht im Januar eine lebenslange Haftstrafe. Ihm wurde zur Last gelegt, mitverantwortlich für die Folter von mindestens 4.000 Menschen und den Tod von mindestens 27 Gefangenen zu sein.

Der Prozess in Koblenz war auf Grundlage des sogenannten Weltrechtsprinzips geführt worden, weil ­Syrien dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag nicht beigetreten ist. Zwar könnte der Uno-Sicherheitsrat den ICC beauftragen, in Syrien zu ermitteln – doch Russland blockiert das. Umso größer der Erfolg für Darwish und viele der anderen syrischen Nebenkläger: Die Verantwortlichen für Folter und andere Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft zu ziehen, war schließlich eine der Forderungen der Revolutionäre gegen die Assad-Diktatur 2011; sie eint Anwälte, Menschenrechtlerinnen und investigative Journalisten von Santiago de Chile über Srebrenica und Aleppo bis Mariupol.

»Als syrisches Opfer bringt mich jeder Erfolg im Kampf gegen Straflosigkeit in der Ukraine meinem Recht näher«, sagte Darwish nun auf seiner ersten Reise in ein europäisches Kriegsgebiet, wo die Bedingungen, Beweise für Verbrechen der Kriegsparteien zu sammeln, ungleich besser sind als in seinem Heimatland. Beispiel Butscha: Weniger als zwei Monate nach dem Massaker im Nordwesten von Kiew Anfang April liegen Augenzeugenberichte, Satellitenbilder und Videoaufnahmen vor, die eine genaue Rekonstruktion der Ereignisse erlauben und die auch vor Gericht standhalten könnten.

In Syrien war es weitaus schwerer, solche Beweise und Indizien zusammenzutragen. Allerdings sammelten Angehörige der oppositionellen Freien Syrischen Armee (FSA) zu Beginn des Aufstands gegen Assad Dokumente aus eroberten Polizeistationen und brachten sie außer Landes. Rund 800.000 dieser Papiere wertet nun die Commission for International Justice and Accountability (CIJA) aus, um vor inter­nationalen oder nationalen Gerichten wie in Koblenz die Befehlsketten zu ­rekonstruieren, die in vielen Fällen von Menschenrechtsverletzungen bis hoch in die Spitzen von Assads Geheimdienstapparat reichen.

Dass in Staaten wie Schweden, ­Österreich, Frankreich, Spanien oder Deutschland nun immer häufiger das Weltrechtsprinzip angewendet wird, ist aus Sicht von Darwish ein Erfolg. Bei Straftaten wie Völkermord, Verbrechen gegen die Menschheit oder Kriegsverbrechen darf ermittelt werden, selbst wenn die Tat im Ausland begangen wurde und auch sonst keinen spezifischen Inlandsbezug aufweist. »Das Leid der ukrainischen und syrischen Opfer ist eins, und es muss gemeinsam gehandelt werden«, so Darwish. »Der Erfolg der Ukraine bei der Bekämpfung der Straflosigkeit ist ein Erfolg für die Universalität der Menschenrechte.«