Small Talk mit Stephanie Kuhnen über mutmaßliche rechtsextreme Brandanschläge in Berlin-Neukölln

»Das ist kein Einzelfall«

Im Süden des Berliner Bezirks Neukölln liegt die Hufeisensiedlung. Sie entstand in der Weimarer Republik als eine Siedlung des sozialen Wohnungsbaus im Stil des »Neuen Bauen«. Seit 2008 steht das Bauensem­ble auf der Liste des Unesco-Weltkulturerbes. Von Anfang an lebten hier Menschen, die den Mund aufmachen gegen Faschisten, zum Beispiel von 1927 bis 1933 das Ehepaar Erich und Zenzl Mühsam. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Hinweise auf rechtsextreme Aktivitäten. Stolpersteine wurden gestohlen und Hakenkreuzschmierereien angebracht. Auch kam es zu mutmaßlichen Brandanschlägen. Die »Jungle World« sprach mit der Anwohnerin und Autorin Stephanie Kuhnen, die kürzlich ein Video eines Feuers auf Twitter veröffentlichte.
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In dem Video, das Sie auf Twitter geteilt haben, sieht man aus einem Fenster hinaus auf ein ­brennendes Auto, auch ein Baum steht schon in Flammen. Was hat sich in der Nacht zum 22. Mai zugetragen?

Wir leben in der Hufeisensiedlung und erleben dort seit sechs Jahren den rechten Terror direkt in unserer Nachbarschaft. In dem Clip sind die ersten 13 Sekunden zu sehen. Wir sind sofort durchs Haus gelaufen, um unsere wichtigsten Sachen zusammenzusuchen. Von dem ersten Anschlag, den wir vor fünf Jahren vor unserem Haus miterlebt hatten, wussten wir, dass das nötig ist. Denn in unserem Weltkulturerbe geht Denkmalschutz vor Brandschutz, das heiß, die Häuser brennen im Zweifel wie Zunder.

Was haben Sie dann getan?

Ich habe mein Handy angeschaltet, um hinterher den Ablauf rekonstruieren und belegen zu können. Danach habe ich das Handy zugeklappt und wir mussten das Haus fluchtartig verlassen. Draußen brannten bereits der ganze Baum und ein weiteres Auto. Das Dach war kurz davor, Feuer zu fangen, was eine Kettenreaktion ausgelöst hätte. Hinterher habe ich mir die Datei angehört und war erschrocken darüber, wie viel Angst wir hatten. Und dann war ich wütend auf das Gefühl der Ohnmacht. Rechter Terror zielt darauf, einzuschüchtern, ­damit man sich nicht mit den Angegriffenen solidarisiert. Und genau das lasse ich nicht mit mir machen.

Warum war Ihr erster Gedanke, dass es sich um rechten Terror handelt?

Das dort wohnende Paar wird seit einiger Zeit antisemitisch schikaniert. Das ist kein Einzelfall hier in der Hufeisensiedlung und auch bekannt. Seit Monaten werden wieder verstärkt rechtsextreme Sticker genau in dieser Straße verklebt, ebenso an privaten Grundstücken, in denen Menschen leben, die sich ­gegen rechts und gegen Rassismus engagieren.

Wie verhielten sich die zuständigen Behörden nach der Nacht des Brands?

Ich kann das nur ausschnitthaft beurteilen, da ich das übliche Vorgehen der Ermittlungsarbeit nicht kenne. Die beiden ausgebrannten Autos standen ungeschützt noch bis Dienstagabend an Ort und Stelle. Am Sonntag war das bereits ein nachbarschaftlicher Treffpunkt für Selfies und Souvenirs. Montag und Dienstag spielten dort Kinder auf dem Wrack. Während der ganzen Zeit musste das Paar, das durch die Tat mutmaßlich eingeschüchtert werden sollte, das Wrack vor seinem Haus ansehen.

Es soll nun endlich einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum »Neukölln-Komplex« geben, also zur viele Jahre ­andauernden rechtsextremen Terrorserie in Neukölln. Was erwarten Sie sich davon?

Ich hab mehr Hoffnung als Erwartung. Ich hoffe, dass die Untersuchung nicht weiter verschleppt wird. Jeder Tag, an dem die Täter unbehelligt sind, macht sie stärker.