Die »Süddeutsche Zeitung« verteidigt sich gegen Kritik an einer Selenskyj-Karikatur

Immer diese Fernsehbilder

Die »Süddeutsche Zeitung« verteidigt eine Karikatur des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gegen den Vorwurf des Antisemitismus. Es ist nicht das erste Mal, dass die Zeitung mit stereotypen Darstellungen jüdischer Politiker auffällt. Eine Chronik.

Monster, Mörder, Weltbeherrscher – antisemitische Karikaturen bedienen sich eines spezifischen Figurenrepertoires. Wer heute politische Karikaturen zeichnet, muss sich von judenfeindlichen Stereotypen fernhalten, um nicht selbst antisemitische Propaganda zu betreiben. Eine 2018 in der Süddeutschen Zeitung erschienene Zeichnung von Dieter Hanitzsch erfüllte diese Anforderung nicht und wurde zu Recht als antisemitisch bezeichnet. Die Karikatur zeigte den damaligen israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu im Gewand der israelischen Sängerin Netta Barzilai, die im Mai 2018 den Eurovision Song Contest gewann. Netan­yahu wurde mit wulstigen Lippen, abstehenden Ohren und markanter Nase gezeigt, alles Merkmale, die aus der antisemitischen Bildsprache bekannt sind. Zudem waren sowohl der Schriftzug der Veranstaltung als auch eine Rakete, die Netanyahu stemmte, mit einem Davidstern ver­sehen. Ins Mikrophon brüllte der gezeichnete Netanyahu: »Nächstes Jahr in Jerusalem« – der jüdische Pessach-Gruß wurde als Kriegs­dro­hung gedeutet.

Nach zahlreichen Protesten gab die Süddeutsche Zeitung schließlich die Trennung von Hanitzsch bekannt. Grund seien »unüberbrückbare Differenzen zwischen Herrn Hanitzsch und der Chefredaktion darüber, was antisemitische Klischees ­einer Karikatur sind«. Dies habe sich »nicht nur in der Karikatur selbst, sondern auch in Gesprächen mit Herrn Hanitzsch gezeigt«, teilte die Chefredaktion der Zeitung mit. Zudem sollten redaktionsinterne Abläufe bei der Veröffentlichung von Karikaturen überprüft und gegebenenfalls verändert werden.

Wer heute politische Karikaturen zeichnet, muss sich von judenfeindlichen Stereotypen fernhalten, um nicht selbst antisemitische Propaganda zu betreiben.

Dass das Problem mit der Entlassung von Hanitzsch längst nicht gelöst ist, beweist nun eine Karikatur des Zeichners Josef »Pepsch« Gottscheber, die am 26. Mai in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht wurde. Zu sehen ist ein übergroßer ­Wolodymyr Selenskyj vor einer stilisierten Weltkarte. Unterhalb des ­jüdischen Präsidenten der Ukraine sitzen, winzig klein, die Teilnehmer des World Economic Forum. Die Zeichnung thematisiert die Videobotschaft Selenskyjs beim diesjährigen Treffen in Davos. Die Gesichtszüge sind aber derart verzerrt, dass man Selenskyj gar nicht erkennen würde, trüge die Figur nicht ein olivgrünes ­T-Shirt, wie es zum Markenzeichen Selenskyjs geworden ist. Der alles ­beherrschende Präsident, gut genährt, mit übergroßer Nase, verschränkt die Arme und thront über der Versammlung. Da ist er also ­wieder: der übermächtige Jude, der die Welt beherrscht und von der Arbeit anderer profitiert.

Bereits 2004 war die Zeitung wegen einer Karikatur kritisierte worden, die den damaligen israelischen Ministerpräsidenten Ariel Sharon judenfeindlich diffamierte. Nachdem es in Frankreich vermehrt zu anti­semitischen Übergriffen gekommen war, hatte Sharon die französischen Juden aufgefordert, nach Israel auszuwandern. Die Karikatur zeigte die Rückansicht einer grimmigen Gestalt, die durch ein Straßencafé namens »Chez Jacques« polterte und sich beklagte: »Warum spüre ich keine Sympathie?« Der Mann, durch Kippa und Davidstern als Jude erkennbar, hatte die Statur des israelischen Ministerpräsidenten. Sharon als »der« Jude, der sich wundert, war­um ihn niemand leiden kann: Da­mit wurde nicht nur Israel und das Judentum in eins gesetzt, sondern auch noch eine Begründung für Antizionismus und Antisemitismus konstruiert. Würden israelische Politiker beziehungsweise Jüdinnen und Juden sich nur nicht so schlimm verhalten, gäbe es auch keinen Antisemitismus – eine Argumentation, die in der deutschen Entlastungskultur eine lange Tradition hat und ­immer dann bemüht wird, wenn man zu erklären versucht, warum es ge­rade Jüdinnen und Juden trifft.

Antisemitismus sagt aber nichts über das reale Verhalten der Juden und Jüdinnen aus, sondern einzig über die Ideologie der Antisemiten und Antisemitinnen. Der Antisemitismus dient als Weltbild, um ein­fache Antworten auf komplexe Sachverhalte zu finden: Er ist das Gerücht über die Juden.

Auch im Jahr 2013 fiel die Süddeutschen Zeitung negativ auf, indem sie eine Zeichnung mittels einer Bildunterschrift in einen antisemitischen Kontext rückte. Die Zeichnung von Ernst Kahl zeigte ein hungriges Monster mit gezücktem Messer, das im Bett auf sein Frühstück wartet, welches ihm von einem Dienstmädchen auf einem Tablett gebracht wird. In der Bildunterschrift hieß es: »Deutschland serviert. Seit Jahrzehnten wird Israel, teils umsonst, mit Waffen versorgt. Israels Feinde halten das Land für ein gefräßiges Moloch. Peter Beinart beklagt, dass es dazu gekommen ist.« Die Zeichnung, die keinerlei Bezug zum Thema hatte, diente als Illustration einer Doppelrezension zweier Bücher zur Demo­kratie in Israel. Der Zeichner Ernst Kahl äußerte sich entsetzt. In der ­Jüdischen Allgemeinen gab er an, dass die SZ einen Fundus seiner Bilder habe, aus dem sie sich nach Bedarf bediene – ohne Rücksprache. Wäre er in diesem Fall gefragt worden, hätte er mit Sicherheit abgelehnt, so Ernst Kahl.

Auch zur Karikatur Selenskyjs regte sich auf Twitter schnell Kritik: Selenskyj werde im Stil von Karikaturen aus der NS-Zeit als »geifernd, übergroß und mächtig« dargestellt sowie als »monströse Gestalt, die den Rest der Welt überwacht und beherrscht«. Ihren Unmut äußerte auch die Jüdische Studierendenunion: »Liebe SZ«, twitterte die Orga­nisation, »solche Karikaturen kennt man aus dem Stürmer. Es ist nicht das erste Mal, dass in der Süddeutschen Zeitung eine klar antisemitische Karikatur veröffentlicht wird. Wann werden Konsequenzen gezogen? Folgt eine Entschuldigung?«

Die Zeitung schrieb ebenfalls auf Twitter, die Karikatur sei lediglich »die zeichnerische Umsetzung der Fernsehbilder vom Montag«: »Der ukrainische Präsident auf der Videowand, und damit im XXL-Format, vor dem Publikum in Davos.« Sie illustriere, »wie dominierend das Thema Ukraine dort« gewesen sei. Eine Entschuldigung gab es nicht.