Big Thief haben ein Americana-Album vorgelegt

Fortdauernde Bandtherapie

Für die Aufnahmen ihrer neuen Platte »Dragon New Warm Mountain I Believe in You« reisten Big Thief in meistenteils abgelegene Orte der USA. Herausgekommen ist ein herausragendes Americana-Album.

Die Reise der Band Big Thief, an deren Ende eines der eindrücklichsten Americana-Alben der letzten Jahre stehen sollte, begann in einer Hütte in den Catskill Mountains rund 150 Kilometer nördlich von New York City. Im Herbst 2020 traf sich das Quartett um die Gitarristin und Songwriterin Adrianne Lenker dort in einem holzvertäfelten Häuschen mit Kamin, das ihnen als Studio diente. Malerisch gelegen im Mittelgebirge, mit einem kleinen felsigen Bach vor der Tür, in dem die Bandmitglieder gern zwischendurch ein kaltes Bad ­nahmen.

»Dragon New Warm Mountain I Believe in You«, so der Titel des neuen Albums der New Yorker Band, ­erzählt auch davon, wie die Orte, an denen Musik entsteht, den Sound beeinflussen. Drei weitere Aufnah­me­sessions ließen die Musiker folgen, eine im Topanga Canyon in Kalifornien, eine weitere in den Rocky Mountains in Colorado und die letzte in Tucson, Arizona. Die Orte wählten sie immer sehr bewusst und sorgsam aus, hat Schlagzeuger James Krivchenia kürzlich in einem Interview verraten – dabei sei weniger die Ausstattung entscheidend, vielmehr müssten die vibes stimmen und möglichst wenig dürfe ablenken.

Auf »Dragon New Warm Mountain I Believe in You«, dem fünften Album der Band, sind die Rock- und Indie-Anteile weiter zurückgegangen, während mehr Traditional Folk zu hören ist.

Die konzentrierte Atmosphäre während der Aufnahme ist diesem Album vom ersten Ton an anzuhören. »Change«, das Auftaktstück, setzt mit Folk-Gitarrenakkorden und rhythmischem Rasseln in langsamem Tempo ein, Adrianne Lenker singt dazu minimalistische Verse: »Change / Like the wind / Like the water / Like skin / Change / Like the sky / Like the leaves / Like a butterfly«. Jeder Ton, jeder Vers ist on point, Lenker scheint völlig versunken in die Musik. Nur so ist es auch zu erklären, dass »Change« bei der Aufnahme einer Probe gleich beim ersten Take entstand. Textlich klingen auf dem Album US-amerikanische Lyriktraditionen von Walt Whitman bis William Carlos Williams an, musikalisch exerzieren Big Thief sehr viele Folk-Schulen durch – Country, Bluegrass, Singer-Songwriter, American Songbook.

Big Thief kommen im siebten Jahr ihres Bestehens rüber wie eine an sich selbst gewachsene Band. Gründe dafür sind das Bandgefüge und die besondere »Bandhygiene«, die sie pflegen, aber auch das irre Potential von Adrianne Lenker als Songwriterin. Sie und der zweite Gitarrist Buck Meek begannen vor etwas mehr als zehn Jahren, gemeinsam Musik zu machen, sie coverten etwa Stücke von Townes Van Zandt, John Prine und Iris DeMent. Die beiden wurden ein Paar, 2015 gründeten sie mit dem Drummer James Krivchenia und dem Bassisten Max Oleartchik die Band Big Thief.

In den Anfangstagen der Band heiratete das Front-Duo, die Beziehung zerbrach dann aber wenig später wieder. 2018 ließen sie sich scheiden – die Band aber blieb zusammen, die beiden verarbeiteten die Trennung mit gemeinsamem Musikmachen und vielen Gesprächen. Lenker kam nach der Trennung von Meek mit ­einer Frau zusammen und schrieb fortan queere Liebeslieder, ohne aber ihre sexuelle Orientierung in den Mittelpunkt zu stellen. Insgesamt sprechen die vier Musiker sehr viel über ihre Beziehungen unter­einander, man muss sich das als eine Art fortdauernde Bandtherapie vorstellen. Dass die Chemie in der Band trotz Liebesturbulenzen weiterhin stimmt, zeigten auch schon die beiden gefeierten Indie-/Songwriter-Alben »U.F.O.F.« und »Two Hands« (beide 2019).

Auf »Dragon New Warm Mountain I Believe in You«, dem fünften Album der Band, sind die Rock- und Indie-Anteile weiter zurückgegangen, während mehr Traditional Folk zu hören ist. Der Country schlägt in Stücken wie »Spud Infinity« und »Red Moon« voll durch, beides swingende Stücke mit galoppierendem Rhythmus. Geige, Pedal-Steel-Gitarre und sogar Maultrommel kommen zum Einsatz, passenderweise sind diese Stücke in Arizona entstanden. Der lesbische Lovesong »12,000 Lines« dagegen changiert zwischen Ame­ricana und Indie, ähnlich wie man es von der kanadischen Band The Weakerthans kennt. Es gibt aber auch Ausreißer wie das perkussive »Time ­Escaping«, das vom experimentell-poppigen Songwriter-Ansatz Fiona Apples inspiriert scheint. Manche der 20 Songs ähneln sich dabei ein wenig zu stark, das ist aber auch schon das einzige Manko dieses Albums.

Die wichtigste musikalische Entdeckung, sagte Lenker 2020 dem New Yorker, sei für sie die Musik von Elliott Smith gewesen, die sie im Teenageralter kennenlernte: »Ich dachte damals: Oh mein Gott, das ist so gut. Das ist genau das, was ich ­machen möchte. Keine aufwendigen, dicken Popproduktionen, sondern solche Songs.« Das Rohe und Ungeschliffene von Elliott Smith findet sich hier zum Beispiel eben in »Change«, dem man die intime Studioatmosphäre anhört.

Deutlicher noch ist der Einfluss des 2003 verstorbenen Musikers auf Lenkers Soloalben zu hören. Ihr Debütalbum veröffentlichte sie als 15jährige (»Stages of the Sun«, 2006), wobei sie da etwas künstlich und überproduziert klang, ihren Stil hatte sie zu dem Zeitpunkt noch nicht ­gefunden. Eine Offenbarung war für viele erst ihr viertes Soloalbum »Songs + Instrumentals«, das sie während des ersten Pandemiejahrs 2020 einspielte. Elf aufs Wesentliche reduzierte Gitarrenstücke finden sich darauf, unterlegt mit Field Recordings, dazu am Ende zwei lange Improvisationsstücke mit Gitarre, die erahnen lassen, was da vielleicht noch zu erwarten ist von dieser großen Musikerin.

Ihr Bandkollege und Ex-Mann Buck Meek hat – ebenfalls im New Yorker – darüber gesprochen, wie Lenker Songs komponiert, wie sie Musik macht: »Es ist, als verbanne sie ihr Bewusstsein aus dem Raum. Sie hält ihre Gitarre in der Hand und spricht abstrakte oder sinnlose Sachen vor sich hin. Erst langsam werden Worte und Silben, wird englische Sprache daraus. So entsteht eine Geschichte, entsteht die Reflexion ihrer eigenen Erfahrung, entstehen Figuren. Es liegt etwas Anmutiges darin, wie sie Songs schreibt.«

Dass nun ein so tolles Bandalbum entstanden ist, hat auch mit den verschiedenen Produzenten in den jeweiligen Studios zu tun, unter anderem Sam Evian in den Catskill Mountains oder Scott McMicken von der Band Dr. Dog in Arizona. Die ausgeklügelte Instrumentierung, zum Beispiel mit Fiddle und viel Percussions in den Country-Stücken, ist auch ihnen geschuldet. Und die berührende Musik, die ist natürlich dem besonderen vibe der abgeschiedenen Orte zu verdanken, an denen Big Thief sie eingespielt haben.
Big Thief: Dragon New Warm Mountain I Believe In You (4AD/Beggars)