In Sachsen haben ­Abtreibungsgegner demonstriert

Kampf um Selbstbestimmung

Am Samstag demonstrierten Abtreibungsgegner in Sachsen. Obwohl das sogenannte Werbeverbot für Abtreibungen bald abgeschafft werden soll, ist das Recht von Frauen auf körperliche Selbstbestimmung auch in Deutschland noch längst nicht erkämpft.

Alljährlich versammeln sich Abtreibungsgegner in der ostsächsischen Kleinstadt Annaberg-Buchholz. Eigentlich handelt es sich um einen »Schweigemarsch für das Leben«, doch wie üblich wurden Samstag auch ein paar Reden gehalten. Etwa 200 Abtreibungsgegner nahmen an der Demonstration teil, die von feministischen Gegen­protesten begleitet wurde. Dazu aufgerufen hatte unter anderem die Initiative Pro Choice, die eine umfassende Lega­lisierung von Abtreibungen fordert. Ihren Angaben zufolge waren ebenfalls knapp 200 Personen dem Aufruf gefolgt. Der Protest lief unter dem Motto: »Leben schützen! Abtreibung legalisieren! Für eine feministische Praxis!«

Annaberg-Buchholz liegt im Erzgebirge, wo der Einfluss christlicher Fundamentalisten traditionell stark ist. Die Wahl des Ortes für den sogenannten Schweigemarsch fiel auf die Kleinstadt, weil sich dort die einzige Klinik im Erzgebirge befindet, die Abtreibungen vornimmt.

Annalena Baerbock (Grüne) und Olaf Scholz (SPD) hatten im zurückliegenden Bundestagswahlkampf erklärt: »Der Schwangerschaftsabbruch gehört nicht ins Strafgesetzbuch.« Doch ein entsprechendes Gesetzesvorhaben scheint es derzeit nicht zu geben.

Besondere Aktualität hatten die diesjährigen Proteste, weil dem Bundestag seit Mai ein Gesetzentwurf der Ampelkoalition zur Streichung des Paragraphen 219a StGB vorliegt, der die Werbung für Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellt. Kritikerinnen zufolge fällt häufig schon sachliche Informa­tionsweitergabe unter dieses Verbot oder ist zumindest für Abtreibungs­gegner Anlass zur Klage. So wurde etwa die Ärztin Kristina Hänel 2019 zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie auf ihrer Homepage Informationen zur Behandlung bereitstellte. Noch vor der Sommerpause soll das Gesetz zur Streichung des Paragraphen 219a verabschiedet werden.

Toni von Pro Choice aus Leipzig befürwortet die Streichung des Paragraphen aus dem Strafgesetzbuch. »Wir sind froh, dass die jahrelange Pro-Choice-Arbeit vieler Initiativen, Vereine und politischer Gruppen Früchte getragen hat und der Druck auf die neue Bundesregierung so gesteigert wurde, dass der Paragraph 219a nun endlich gestrichen wird«, erklärt sie auf Anfrage der Jungle World.

»Aber die Kämpfe sind nicht vorbei, bis Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland legal sind und auch der Paragraph 218 abgeschafft wird«, sagt Petra Neuhaus vom Sächsischen Landesverband von Pro Choice. Der Paragraph 218 StGB stellt Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe, belässt sie aber unter bestimmten Bedingungen straffrei. Diese widersprüchliche Regelung war 1994 das Resultat eines Verfassungskompromisses. Während 1972 in der DDR das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche gesetzlich verankert wurde, standen sie in der BRD im Grundsatz unter Strafe; seit Mitte der siebziger Jahre allerdings galt im Zuge der seinerzeitigen Strafrechtsreform eine kombinierte Fristen-Indikationsregelung, die Schwangerschaftsab­brüche ermöglichte. Nach dem Beitritt der DDR zur BRD wurden in den neuen Bundesländern in dieser Hinsicht die Uhren zurückgedreht.

Der Zeitschrift Emma hatten die damaligen Kanzlerkandidatinnen Anna­lena Baerbock (Grüne) und Olaf Scholz (SPD) im zurückliegenden Bundestagswahlkampf gesagt: »Der Schwangerschaftsabbruch gehört nicht ins Strafgesetzbuch.« Doch ein entsprechendes Gesetzesvorhaben scheint es derzeit nicht zu geben.

Die Initiative Pro Choice steht mit ihrer Forderung nach einer Abschaffung des Paragraphen 218 nicht alleine da. Am 9. Juni verabschiedete etwa das EU-Parlament mit 364 zu 154 Stimmen eine nicht bindende Resolution zur Wahrung und Schaffung von sexuellen und reproduktiven Rechten, die zugleich auf die weltweite Bedrohung sowie des Selbstbestimmungsrechts von Frauen durch Abtreibungsgegner verweist.

Anlass für die Resolution war die Debatte in den USA. Dort war der Entwurf einer Entscheidung des höchsten US-Gerichts an die Presse durchgestochenen worden. Der inzwischen von konservativen Richtern dominierte Supreme Court scheint vorzuhaben, das Grundsatzurteil Roe v. Wade aus dem Jahr 1973 zu kippen. Durch das Urteil war das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche landesweit anerkannt worden.

Die EU-Abgeordneten befürchten weltweit negative Auswirkungen, sollten die Abtreibungsgesetze in den USA verschärft werden. Sollte das Grundsatzurteil durch den Supreme Court ­gekippt wird, könnte das auch »Abtreibungsgegner in der Europäischen Union ermutigen«, heißt es in der Resolution, die an die US-Regierung und den US-Kongress geschickt wurde.

Unabhängig von den zu befürchtenden Entscheidungen in den USA haben in einigen EU-Ländern wie Polen, Ungarn und Malta bereits jetzt Abtreibungsgegner und -gegnerinnen großen Rückhalt in der Bevölkerung. Dort gelten zum Teil strenge Gesetze, die straffreie Schwangerschaftsabbrüche kaum mehr zulassen.

In der Resolution des EU-Parlaments wird die US-Regierung aufgefordert, »alle Hürden für sichere und legale Abtreibungen abzubauen«. Solche Hürden gibt es freilich auch in Deutschland. Dazu zählt etwa die verpflichtende Schwangerschaftskonfliktberatung, deren Abschaffung die Initiative Pro Choice fordert. »Wir befürworten ein Beratungsangebot auf freiwilliger Basis für Personen, die tatsächlich in einem Konflikt bezüglich ihrer Schwangerschaft sind«, sagt Toni von der Leipziger Initi­ative. Die Pflicht zur Beratung unterminiere die Mündigkeit jener ungewollt Schwangeren, die sich schon entschieden hätten und keinen Konflikt verspürten. Die Beratung findet bei nichtstaatlichen Trägern statt und soll ­eigentlich »ergebnisoffen« verlaufen.

Doch das ist nicht immer der Fall. Im vergangenen Oktober veröffentlichte der MDR eine Recherche zum sächsischen Verein Kaleb. Dieser darf zwar offiziell keinen »Beratungsschein« ausstellen, der Frauen ermöglicht, eine Abtreibung vornehmen zu lassen, wird aber seit 2009 vom Land Sachsen gefördert und ist deshalb als Schwangerenberatungsstelle auf der Website des Familienministeriums aufgeführt. Dem MDR zufolge gehört der Verein zur sogenannten Lebensschutzbewegung. Eine Reporterin des MDR, die sich als schwanger ausgab und zur Beratungsstelle des Vereins ging, wurde mit Fehlinformationen und drastischer Rhetorik unter Druck gesetzt. Beim Schweigemarsch für das Leben am Samstag sprach auch ein Vertreter von Kaleb, wie die Freie Presse berichtete.

In einem jüngst erschienen Bericht empfiehlt die Weltgesundheitsorga­nisation (WHO) unter anderem, verpflichtende Wartezeiten zu lockern und die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, wie sie auch in Deutschland besteht, aufzuheben. Doch bis dahin ist es hierzulande wohl noch ein weiter Weg.