Und jetzt den Mussolini
Anmerkung der Redaktion: Am 16. Juli 2024 verhängte Bundesinnenministerin Nancy Faeser ein Verbot gegen die »COMPACT-Magazin GmbH« sowie die »CONSPECT FILM GmbH«. Die Organisationen richteten sich »gegen die verfassungsmäßige Ordnung im Sinne von Artikel 9 des Grundgesetzes und § 3 des Vereinsgesetzes«.
2022 analysierte Volker Weiß die Autobiographie des Verschwörungsideologen und Chefredakteurs Jürgen Elsässer:
Politische Konvertiten haben oft großen Erklärungsbedarf. In der Vergangenheit legten Günter Maschke und Henning Eichberg ihre Lebenswege in Interviews offen. Maschke war von scharf links nach weit rechts gewandert, Eichberg beanspruchte für sich, den entgegengesetzten Weg zurückgelegt zu haben. Beide vermochten es, in ihrem Wirkungskreis theoretische Impulse zu setzen, was die Lektüre trotz uninspirierter Fragesteller empfahl.
Jürgen Elsässer hat sich entschieden, seine persönliche Reise, die erst durch alle denkbaren Winkel der radikalen Linken und schließlich in die äußerste Rechte führte, selbst zu erzählen. Leider bieten die fast 600 Seiten seiner kürzlich erschienenen Autobiographie wenig Interessantes. Dabei gäbe es einiges zu berichten. Als einstmaliger Kader des Kommunistischen Bundes (KB), einer der größten der sogenannten K-Gruppen, organisierte Elsässer erst die Proteste gegen die sogenannte Wiedervereinigung, wirkte anschließend als Agitator der antideutschen Strömung, ehe er das »Volk« und den Kampf gegen den Imperialismus wiederentdeckte und schließlich auf diesem Ticket ins rechte Lager wechselte.
Als Gipfel seiner Erkenntnisse präsentiert Elsässer die Nation als Schutzmacht von Kapital und Arbeit zum Wohle ihrer Eingeborenen.
In den Neunzigern schrieb er für linke Publikationen von Junge Welt über Bahamas bis Neues Deutschland, gründete die Jungle World mit und wurde zum weltanschaulichen Rammbock der Konkret. Später baute er mit Compact seine eigene Plattform auf, die heute AfD-Anhänger und »Querdenker« bespielt. Auf diesem Trip müsste sich eigentlich genug Material angesammelt haben, doch es bleibt bei zahmen Anekdoten.
Der in der badischen Provinz aufgewachsene Autor absolvierte typische Stationen radikaler Linker seiner Generation: von der Schüler- und Schülerinnenbewegung zum Kommunistischen Bund, samt Anti-AKW-Bewegung und Deutscher Herbst. Neue Erkenntnisse bietet sein Rückblick kaum. Dass es in den Siebzigern oft mehr um Libido als um Lenin ging, ist bekannt, ebenso der Umstand, dass damals Konflikte am anderen Ende der Welt mehr Beachtung fanden als die deutsche Vergangenheit. Auch die führende Rolle des KB bei den ersten militanten Protesten gegen die Atomkraft war nie ein Geheimnis. Elsässer trägt dick auf, ein »Ausflug in den Knast« entpuppt sich als kurze Festsetzung in einer Zollstation. Ende Oktober 1977 war es für einen Langhaarigen eben keine gute Idee, mit einem Kofferraum voller Publikationen über Stammheim in die Schweiz zu fahren.
»Grün hatte Rot gefressen«
Nach den halbwegs bewegten Siebzigern scheinen Elsässers Achtziger als KB-Kader dröge. Immerhin zeichnete sich mit der Gründung der Grünen sein heutiger Hauptfeind bereits ab. Die neu entstandene Konkurrenz wurde langfristig ein erfolgreicheres Post-Achtundsechziger-Projekt als die K-Gruppen. Eine ganze Reihe prominenter Genossen wechselten in die Partei, »Grün hatte Rot gefressen«. Elsässers recht widersprüchliche Abrechnung mit dem Feminismus und der Ökologie jener Zeit liest sich wie eine Rechtfertigung seiner heutigen Wutbürgerei. Doch waren es kaum die falschen Strategien, die den K-Gruppen den Elan raubten, wie Elsässer behauptet. Ihr Politikstil war einfach aus der Zeit gefallen.
Dennoch verklärt Elsässer den KB zur »perfektesten revolutionäre Organisation«, die es damals gegeben habe. Die dort erlernten politischen Techniken wende er nahtlos auf die heutige Situation an. Den Erfolg der Grünen führt er auf ihren Querfrontcharakter zurück, was seine aktuelle Vorliebe für die »Querdenker« erklären mag.
Nach dem Ende des Ostblocks wurde aus dem unbekannten »Jürgen/Stuttgart« der KB-Zeitung Arbeiterkampf schließlich der linke Autor Jürgen Elsässer. Der heutige Verschwörungstheoretiker reüssierte 1991 ausgerechnet mit einer Schrift über Antisemitismus. Über die Gründungsphase des Bündnisses »Radikale Linke«, das damals unter dem Motto »Nie wieder Deutschland« Proteste organisierte, ist jedoch ebenso wenig Neues zu erfahren wie später über die Redaktionen von Junge Welt und Konkret. Die Lehre, die Elsässer aus diesen Jahren zieht, lautet, dass der Hauptwiderspruch in der Linken der zwischen einer pro- und einer antiamerikanischen Haltung sei, wobei er sich zunächst auf der falschen Seite befunden habe.
»Serbische Erweckung«
Während sich die Phase als KB-Revolutionär rückblickend in die Erzählung vom »gesunden Volkssozialismus« integrieren lässt, hat Elsässer mit seiner »finstersten Nacht« als Antideutscher zu kämpfen. Er entscheidet sich für die Klitterung: »Ich gab das Volk nicht auf, vor allem hasste ich es nicht.« Wer den damaligen Elsässer erlebt hat, muss an dieser Aussage zweifeln. Vieles, wie seine angebliche Opposition zur Bomber-Harris-Kampagne (»Bomber Harris, do it again!«), lässt sich mit einem einfachen Griff ins Archiv widerlegen. Allerdings wäre das müßig, denn Elsässer geht es nicht um Faktentreue, sondern um die Stilisierung seiner Person.
Der Angriff der Nato auf Serbien 1999 leitete bei ihm die »serbische Erweckung« ein. Durch den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević fand er zum Gedanken der Souveränität als einigendem Moment. Schließlich habe die »Zwangsherrschaft der Supermächte über die kleinen Nationen« schon Franz Josef Strauß und Mao zusammengebracht. Es ist bemerkenswert, wie viele seiner heutigen Topoi bereits in dieser Zeit auftauchen. Auch bei Konkret wurde nach 9/11 über einen »Inside Job« spekuliert.
Der Irak-Krieg 2003 führte Elsässer endgültig zum Antiimperialismus zurück, später sollte er noch den Iran für sich entdecken. Dort und in Serbien will er erkannt haben, dass »Frömmigkeit ein besseres Unterpfand gegen den Mahlstrom des Globalismus ist als Marxismus«. Tatsächlich arbeitete er zur Anfangszeit von Compact mit islamistischen Akteuren wie Yavuz Özoğuz zusammen. Mit diesem unternahm er eine Reise in den Iran und traf den damaligen iranischen Staatspräsidenten Mahmud Ahmadinejad. Einer der Gründungsgesellschafter von Compact war Andreas Rieger, der zuvor im Vorstand des von der islamistischen Millî Görüş dominierten Islamrats gesessen hatte – bis er wegen dem Bekanntwerden einer antisemitischen Rede zurücktreten musste.
Montagsmahnwachen und »Volksinitiative gegen das Finanzkapital«
Zunächst führte Elsässers Wanderung ihn jedoch wieder zurück über traditionslinke Medien zur PDS als Bundestagsmitarbeiter, dann hin zu Montagsmahnwachen und der »Volksinitiative gegen das Finanzkapital«. Aus »Patriotismus« fand er zur Ostalgie. Die DDR sei zwar kein demokratischer, aber der deutschere Staat gewesen, schreibt er: »Doch mit dem sozialistischen ging auch das deutsche Erbe verloren. Kann dieser Fehler nach der schönen AfD-Devise ‚Vollende die Wende‘ korrigiert werden?« Bei dieser Weltsicht ist die Putin-Bewunderung eingepreist. Westeuropa versinke »im Sumpf der sexuellen Umerziehung«, nur in Russland werde »die traditionelle Familie und der anthropologische Unterschied der Geschlechter wie selbstverständlich gelebt«.
Als Gipfel seiner Erkenntnisse präsentiert er die Nation als Schutzmacht von Kapital und Arbeit zum Wohle ihrer Eingeborenen. Elsässer meint, der passende Begriff für seine Idee wäre eigentlich »Nationalsozialismus«, dieser sei »historisch jedoch restlos verbrannt«. Immerhin, nachdem er sich Jahrzehnte für Volk und Revolution abgerackert hatte, sonnte er sich ab 2015 an der Seite extrem rechter Granden wie Björn Höcke, André Poggenburg und Götz Kubitschek im Glanz eines Volkstribunen.
Die Bilanz dieser Zusammenarbeit fällt überraschend schlecht aus, gerade die Neurechten in Schnellroda seien gar nicht so radikal, wie es scheine, sondern verdruckste Bildungsbürger. Lediglich auf den »Identitären«-Chef Martin Sellner lässt er nichts kommen. Pegida und »Querdenker« gelten Elsässer als ehrliche Volksbewegungen, denen nur der strategische Weitblick fehle; genau den könne er mit seiner Zeitschrift bieten. So entpuppen sich die Memoiren als ermüdende Verkaufsshow für Compact.
»Stehaufmännchen«, umgeben von Halbheit und Verrat
Elsässers zielt auf die mehrheitlich DDR-sozialisierte Klientel von Compact und AfD. Dafür bietet er ein paar leninistische Weisheiten zur Wiedererkennung, preist Familienpolitik und konservative Normalität im Realsozialismus und präsentiert sich als denjenigen, der aus dem Scheitern der Linken in Ost und West nun die richtigen Lehren gezogen habe. Tatsächlich jedoch wiederholt sich in seiner Biographie immer dasselbe Schema: Er macht durch Lautstärke auf sich aufmerksam, es folgt ein steiler Aufstieg, bis er den Bogen überspannt und seinen Hut nehmen muss. Als alle Ecken der Linken abgegrast waren, musste etwas Neues her.
Mit dem Buch will er sich jetzt als neuer Mussolini interessant machen. Dieser habe nach seiner Konversion vom sozialistischen Redakteur zum faschistischen Volkstribun die Umsturzmethode Lenins noch »übertroffen«. Die Memoiren bestätigen jedoch eher die Unberechenbarkeit, die Elsässers Weggefährten durch die Jahrzehnte immer wieder an ihm beklagten. Vor allem berauscht er sich an sich selbst, als prinzipientreues »Stehaufmännchen« (das in Wirklichkeit jedoch die Prinzipien recht erratisch wechselt), stets umgeben von Halbheit und Verrat. Der Titel »Ich bin Deutscher« ist daher viel zu lang, nur »Ich« hätte es auch getan.
Aktualisiert am 16. Juli 2024