Israel stehen wieder einmal vorzeitige Neuwahlen bevor

Abgang mit Kalkül

Der israelische Ministerpräsident Naftali Bennett will das Parlament auflösen. Israel steuert auf die fünften Wahlen in nur dreieinhalb Jahren zu.
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Feierlaune dürfte im Büro von Ministerpräsident Naftali Bennett am 13. Juni gewiss nicht geherrscht haben. Zwar war seine Regierung an diesem Tag genau ein Jahr im Amt. Doch in der von Außenminister Yair Lapid und ihm angeführten Achtparteienkoalition kriselt es bereits seit Wochen heftig.

Erst verabschiedete sich die Abgeordnete Idit Silman am 6. April aus Bennetts rechter Partei Yamina, deren Fraktionssprecherin sie bis dahin war. Sie könne die »Beschädigung der jüdischen Identität des Staates Israel« nicht länger mittragen; zuletzt ging es um die Entscheidung, an Pessach gesäuertes Brot in Krankenhäusern zu erlauben. Damit verlor die Koalition ihre hauchdünne Mehrheit von 61 von 120 Sitzen in der Knesset.

Dann verweigerten Bennett auch Ghaida Rinawie Zoabi, die arabische Vertreterin der Linkszionisten von Meretz, Michael Biton von der zentristischen Gruppierung Blau-Weiß sowie die arabische Partei Ra’am zeitweise die Gefolgschaft. Zuletzt kam es noch zum Krach mit Nir Orbach, einem weiteren Yamina-Abgeordneten. Dabei ging es um das sogenannte Westjordanland-Gesetz, das das in Israel geltende Strafrecht und Teile des Zivilrechts auf die Siedlungen im Westjor­danland ausweitet. Diese Regelung besteht seit 1967, muss allerdings alle fünf Jahre verlängert werden. Kurzum, die Regierung war nicht mehr in der Lage, parlamentarische Mehrheiten zu organisieren. Die gescheiterte Abstimmung über die Verlängerung des Gesetzes Anfang Juni führte das allen überdeutlich vor Augen.

Am 20. Juni erklärten Bennett und Yair Lapid von der zentristischen Partei Yesh Atid, dem größten Mitglied der Koalition, überraschend, die Knesset auflösen zu wollen, um Neuwahlen zu ermöglichen. »Im Gegensatz zur Opposition, die die Sicherheit Israels zu einem politischen Spielball gemacht hat, habe ich mich geweigert, diese auch nur einen Tag lang zu gefährden«, so Bennett in seiner Begründung. Denn durch diesen Schritt gilt das Westjordanland-Gesetz automatisch für weitere sechs Monate.

Bennett und Lapid lenken damit jedoch nur von ihren eigentlichen Motiven ab. Denn das Duo, das sich auf der Pressekonferenz gegenseitig mit Komplimenten über die großartige Zusammenarbeit geradezu überhäufte, will etwas völlig anderes erreichen, und zwar eine Wahl, die sie selbst herbeiführen. Auf keinen Fall möchte man durch ein verlorenes konstruktives Misstrauensvotum in der Knesset zu einer demütigenden Regierungsübergabe gezwungen werden.

Dieses Szenario ist jedoch noch nicht vom Tisch. So verkündete Benjamin Netanyahu, dass sich seine oppositionelle konservative Partei Likud nun zwar auf den Wahlkampf vorbereite, eine Regierungsübernahme per Misstrauensvotum aber keinesfalls ausschließe. Abtrünnige aus den Reihen der Koalition, die sofort die Seiten wechseln, um mit ihm eine neue Regierung zu bilden, dürften sich schnell finden lassen. Das ist alles nur eine Frage des richtigen Angebots. Doch der nächste Ministerpräsident, wenn auch nur geschäftsführend, heißt erst einmal Lapid – das sieht der Koalitionsvertrag für den Fall einer vorzeitigen Auflösung der Knesset vor.

Sollten Neuwahlen beschlossen werden, rechnen Beobachter mit einem Termin im Oktober. Dann wird alles auf einen Zweikampf zwischen Lapid und Netanyahu hinauslaufen. Bennett hätte keine Chance, erneut Ministerpräsident zu werden, dafür ist seine Partei Yamina, wenn sie nicht schon vorher zerfällt, einfach zu klein. Aber er könnte der Königsmacher werden.

Der Wahlkampf dürfte wieder ganz nach dem Motto »Warum sachlich, wenn es auch persönlich geht« ablaufen. Netanyahu wird alles unternehmen, um Lapid als Marionette der Islamisten von der Partei Ra’am zu diffamieren. Umgekehrt kann der alte Slogan seiner Gegner, »Nur nicht Bibi«, durch die Schreckensvision eines Ministerpostens für Itamar Ben-Gvir von der rechtsextremen Partei Otzma Yehudit neue Aktualität gewinnen. Wer am Ende siegen wird, ist offen. Eines jedoch ist schon jetzt sicher: Sachthemen werden im Wahlkampf wieder einmal auf der Strecke bleiben.