Am 7. Juli wird der erste Weltkiswahilitag gefeiert

Die Sprache der Dekolonisierung

Am 7. Juli wird zum ersten Mal der Weltkiswahilitag gefeiert. Die Sprache spielte eine besondere Rolle in der Dekolonisierung Afrikas und könnte auch heute eine Antwort auf die Sprachenfrage in Afrika liefern, die auch eine Klassenfrage ist.

Bei ihrer Gründung am 7. Juli 1954 erklärte die tansanische Unabhängigkeitspartei Tanganyika African National Union (Tanu) die Sprache Kiswahili zur zentralen Waffe im Kampf gegen den Kolonialismus. Fast 70 Jahre später feiert man deshalb am 7. Juli zum ersten Mal den World Kiswahili Language Day, den Weltkiswahilitag. Das hatte die Unesco im November 2021 auf eine Anfrage Tansanias hin entschieden. Die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur erkennt damit die wichtige Rolle an, die Kiswahili in der Bildung, der internationalen Zusammenarbeit, »beim Aufbau integrativer Wissensgesellschaften« und »bei der Mobilisierung des politischen Willens, die Vorteile von Wissenschaft und Technik zu nutzen« spiele.

Kiswahili ist der Unesco zufolge mit seinen 200 Millionen Sprecherinnen und Sprechern eine der zehn am meisten gesprochenen Sprachen der Welt. Wie vielen Menschen Kiswahili Muttersprache ist, darüber gehen die Schätzungen weit auseinander, von zwei bis zu 18 Millionen ist die Rede; Kiswahili dient vor allem als lingua franca, also als Verkehrssprache zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen im östlichen Afrika, besonders in Tansania, Kenia, der Demokratischen Republik Kongo, Uganda und Ruanda. Die Sprache gewinnt auf dem Kontinent an Bedeutung und dank computergestützter Sprachtechnologien wie Rechtschreibprüfungen und Maschinenübersetzung spielt Kiswahili besonders in der digitalen Kommunikation eine immer größere Rolle. Ein Team um die kenianische Autorin und politische Analystin Nanjala Nyabola übersetzt und popularisiert deshalb zurzeit im Rahmen eines digitalen Projektes für digitale Rechte Begriffe digitaler Technologie ins Kiswahili.

Kiswahili breitete sich im 18. Jahrhundert als Verkehrssprache des arabischen (Sklaven-)Handels in ganz Ostafrika aus und wurde später als Verwaltungssprache der Kolonie Deutsch-Ostafrika genutzt.

Auch außerhalb Ostafrikas steigt das Interesse an der Sprache. Südafrika begann 2020 ein Pilotprojekt, um Ki­swahili als weitere Fremdsprache an Schulen zu unterrichten; ähnliche Diskussionen finden in Botswana und Namibia statt. Kiswahili ist bereits seit 2003 offizielle Sprache der Afrikanischen Union (AU), doch als 2004 Joaquim Alberto Chissano, der damalige Präsident Mosambiks, die Versammlung der AU überraschend zum ersten Mal auf Kiswahili ansprach, brach Chaos aus, weil es nicht die nötigen Dolmetscherinnen und Dolmetscher im Saal gab. Der Weg zur Wiederbelebung afrikanischer Sprachen im öffentlichen und politischen Raum ist weit.

Afrikanische Sprachen wurden in der Kolonialzeit systematisch abgewertet und unterdrückt. Wer damals in der Schule Gikuyu (auch Kikuyu, eine Bantusprache Kenias) oder Luganda (eine Bantusprache Ugandas) sprach, wurde mit einem Rohrstock verprügelt. »Die Gewehrkugel war Mittel der physischen Unterwerfung. Die Sprache war das Werkzeug der geistigen Unterwerfung«, schrieb der kenianische Autor Ngugi wa Thiong’o in seiner 1986 erschienenen Essaysammlung »Decolonising the Mind: The Politics of Language in African ­Literature« (»Dekolonisierung des Denkens – Essays über afrikanische Sprachen in der Literatur«). Diese Sprachpolitik sei entscheidend gewesen »für die Beherrschung des geistigen Uni­versums der Kolonisierten«, so Ngugi. Das koloniale englisch- oder französischsprachige Bildungssystem, zu dem die meisten der Kolonisierten keinen Zugang hatten, spaltete die afrikanischen Gesellschaften in eine kleine, gebildete Führungsschicht, die Französisch oder Englisch sprach, und eine breite Masse von aus der offiziellen Kommunikation Ausgeschlossenen, die afrikanische Sprachen sprachen.

Nicht nur in den Schulen, auch in den Nachrichten und Parlamenten werden auch heute noch meist Kolonialsprachen wie Englisch oder Französisch verwendet. In den meisten Ländern beherrscht die Mehrheit der Menschen diese Sprachen aber nicht gut genug, um sich in ihnen an öffentlichen Debatten und politischen Entscheidungsprozessen zu beteiligen, und wird somit wird auch vom Zugang zu poli­tischer Macht und Ressourcen ausgeschlossen. Der Afrikalinguist Ekkehard Wolff ist sich sicher, »dass Sprache ein entscheidender Faktor beim Aufbau demokratischer Strukturen ist«. Bei der Förderung der Nutzung afrikanischer Sprachen wie Kiswahili geht es auch um demokratische Teilhabe und Selbstbestimmung.

Kiswahili breitete sich im 18. Jahrhundert als Verkehrssprache des arabischen (Sklaven-)Handels in ganz Ost­afrika aus und wurde später als Verwaltungssprache der Kolonie Deutsch-Ostafrika (1885–1918) genutzt. Doch die Sprache, die die Kolonialherren dort zur Herrschaftssicherung einsetzten, wurde später zur wichtigsten Waffe ­gegen ihr Regime. Antikoloniale Bewegungen nutzten Kiswahili zur Massenorganisation in Ostafrika, besonders in Tansania. Die Sprache ermöglichte eine einzigartige Allianz verschiedener Bevölkerungsgruppen im Maji-Maji-Aufstand 1905 bis 1907 gegen die deutsche Kolonialmacht. In den fünfziger Jahren mobilisierten kiswahilisprachige Pamphlete und Radiosender die Massen gegen das auf das deutsche folgende britische Kolonialregime. Es war die Sprache der Vernetzung des Widerstands, da sie, anders als viele andere Sprachen, nicht einer bestimmten ethnischen Gruppe zugeordnet wird.

In den sechziger Jahren erklärte Julius Nyerere, der Präsident des gerade ­unabhängig gewordenen Tanganjika (heute Tansania), mit Kiswahili eine ­afrikanische Sprache zur Landessprache. Er machte Kiswahili zur Sprache seiner Philosophie des »Ujamaa«, das oft mit Gemeinschaftssinn übersetzt wird und als Theorie des »Afrikanischen Sozialismus« gilt. Kiswahili sollte in Abgrenzung zur englischsprachigen Führungsschicht die stolze Sprache des Proletariats und der Bauernschaft werden. Es sollte Solidarität zwischen den 120 Bevölkerungsgruppen Tansanias stiften helfen, und Panafrikanisten wie Nyerere hofften, dass es auch die Einheit aller Afrikanerinnen und Afrikaner, auf dem Kontinent und sogar in der Diaspora fördern könnte. »Einheit wird uns nicht reich machen, aber sie kann es erschweren, Afrika und die afrikanischen Völker zu missachten und zu demütigen«, so Nyerere.

Beeindruckt von Nyereres afrikanischem Selbstbewusstsein, entdeckte auch die Black-Power-Bewegung in den USA in den sechziger Jahren Kiswahili als Sprache des »Mutterlands« für sich. Vor allem Maulana Karenga, ein nicht unumstrittener Vertreter des Schwarzen Nationalismus, der heute einen Lehrstuhl in Long Beach besitzt, propagierte den Gebrauch des Kiswahili für die Wiederbelebung afrikanischer Traditionen. Wie er gaben auch andere afroamerikanische Aktivisten und Aktivistinnen sich Nachnamen wie »Karenga«, sprachen von schwarzer Schwesternschaft als »dada« und schwarzer Tradition als »kawaida«.

Doch nicht alle Afrikanerinnen und Afrikaner sehen in Kiswahili die Antwort auf die Sprachenfrage in Afrika. In Uganda zum Beispiel gilt Kiswahili als Sprache des Militärs und wird bis heute mit der brutalen Diktatur Idi Amins (1971–1979) in Verbindung gebracht. Intellektuelle wie der nigerianische Autor Chinua Achebe sahen auch das vereinende Potential der Kolonialsprachen und traten für eine ­Afrikanisierung des Englischen oder Französischen ein, damit diese künftig auch afrikanische Erfahrung beschreiben können. Und auch der Einwand, Kiswahili sei auch die Sprache des arabischen Sklavenhandels und der deutschen Kolonialverwaltung gewesen, ist nicht gänzlich verschwunden.

Aber anders als im Fall des Englischen war die Ausbreitung des Kiswahili kein Ergebnis kolonialer Unterdrückung. Die Sprache breitete sich aus, weil Wanderarbeiterinnen und -arbeiter in den wachsenden Städten eine Sprache suchten, in der sie miteinander kommunizieren konnten. In der alltäglichen Aneignung durch Menschen verschiedenster Muttersprachen inkorporiert Kiswahili Elemente lokaler Sprachen und Lebensrealitäten und entwickelt sich weiter. Das bekannteste Beispiel ist der auf den Straßen von Kenias Hauptstadt Nairobi gesprochene urbane Dialekt Sheng. Dabei handelt es sich um ein Pidgin aus Swahili und Englisch, das auch Elemente von Sprachen der aus verschiedenen Regionen Kenias in die Stadt Migrierten in sich aufnimmt, wie Luhya, Gikuyu oder Luo. Dabei wandelt Sheng sich so schnell, dass Wörterbücher nach einem Jahr als veraltet gelten.

Wenn am Weltkiswahilitag eine lingua franca für die Dekolonisierung Afrikas gefeiert wird, dann darf nicht vergessen werden, dass auch andere ­afrikanische Sprachen ihren Platz in den Schulen, im Fernsehen und der Lite­ratur brauchen und die sprachliche Vielfalt auf dem afrikanischen Kontinent wertgeschätzt werden sollte. Hier sind ungefähr 2 000 Sprachen beheimatet – fast ein Drittel aller auf der Welt gesprochenen Sprachen. Afrikanisch sein, heißt vielsprachig sein, die meisten Menschen nutzen im Alltag zwei, drei oder sogar mehr Sprachen. Wie Ngugi schon 1986 schrieb, liegt die Zukunft Afrikas in der Einheit in seiner »vielsprachigen Unterschiedlichkeit«.