Die Online-Bewegung der Arbeitsverweigerer in den USA schrumpft

Nie wieder Arbeit

Während der Covid-19-Pandemie wuchs die Reddit-Online-Community »Antiwork« rasant an, in der Nutzer feierlich von ihrer Kündigung berichteten oder einander arbeitsrechtliche Ratschläge gaben. Ebenso schnell fiel sie dann auch wieder in sich zusammen.

Das Instagram-Video ist fast schon wieder in Vergessenheit geraten, dabei war es zu Beginn der Covid-19-­Pandemie im März 2020 beinahe ikonisch: Madonna sitzt in einer mit Blüten gefüllten Badewanne und sinniert über das Virus, darüber, dass es keine Unterschiede mache zwischen den Berühmten und den Unbekannten, zwischen Reichen und Armen, es sei »the great Equalizer«.

Leider waren die bisherigen Jahre der Pandemie in keinem gesellschaftlichen Bereich eine Zeit sonderlich kluger Gedanken. Die Vorstellung vom Virus als »großem Gleichmacher« ist ein Beispiel dafür, sie wurde vielleicht am krassesten in den folgenden Monaten widerlegt. Miese Arbeitsverhältnisse wurden durch das Krankheitsrisiko noch mieser, Kurzarbeit ließ die Beschäftigten ganzer Branchen an die Grenze der Verarmung rutschen. Die Reichsten wiederum entschieden, es sei nun eine gute Zeit, um in den Weltraum zu fliegen.

Auf Reddit fand sich ein kurioses Nebeneinander von post- und präanarchistisch geprägter Lohnarbeits­feindschaft, bei dem insgesamt schwer auszumachen war, wer da was überhaupt ernst meinte. Diese Community traf nun auf einen tatsächlichen Anstieg von Arbeitskämpfen und Kündigungen in den USA.

Es sei hier auch daran erinnert, dass es ungefähr zu der Zeit, als ­Madonna ihr Video veröffentlichte, eine kurzlebige, naive Hoffnung gab, das Virus und die Pandemie würden irgendwie die Verhältnisse in Bezug auf Arbeit, Geld, gesellschaftliche Macht und Teilhabe verändern. Die Theorie ließe sich vielleicht so zusammenfassen: Das Zurückgeworfensein auf einen Zustand tiefer Verletzbarkeit und die damit einhergehende Reflexion auf die eigene Sterblichkeit führen dazu, dass Menschen die Notwendigkeit des nine to five, und erst recht des Lohnarbeitsalltags in prekären Verhältnissen, grundsätzlich in Frage stellen. Also: »The great Equalizer« plus Teilzeit und Homeoffice für alle.

All das blieb aus. Zumindest schien es auf den ersten Blick so. Denn während in Deutschland sehr schnell wieder diejenigen am lautesten wurden, die mit »Rückkehr zur Normalität« vor allem »Rückkehr zum Arbeitsplatz« meinten, wuchs in den USA erst langsam und dann immer schneller in der Anonymität digitaler Netzwerke die Masse der Unzufriedenen an. Auf dem social media-Dienst Reddit ist »r/Antiwork« der Name eines Subreddits, der seit 2013 besteht, im vergangenen Jahr aber plötzlich einen rasanten Anstieg der User-Zahlen verzeichnen konnte. Auf einmal waren unter dem Motto »Unemployment for all, not just the rich« über 1,7 Millionen Menschen versammelt, die sich über miese Arbeitsbedingungen, willkürlich agierende Chefs und den kleinen, alltäglichen Widerstand dagegen austauschten.

Wie auf allen Subreddits fand und findet sich auf »Antiwork« eine wilde Mischung aus Memes, Erfahrungsberichten (bei denen niemand sagen kann, wie vertrauenswürdig die jeweilige Quelle ist), Twitter-Screen­shots und tatsächlich hilfreichen Inhalten: Welche Rechte hat man, welche Möglichkeiten gibt es, sich gegen steigenden Druck am Arbeitsplatz zu wehren, und die große Frage: »Wie komme ich hier raus?« Der Niedriglohnsektor der USA schien sein »Arbeitslos und Spaß dabei« entdeckt zu haben.

Es herrschte ein kurioses Nebeneinander von post- und präanarchistisch geprägter Lohnarbeitsfeindschaft und can do-Attitüde unter anderen Vorzeichen (also in etwa: »Kündige deinen Job, um einen besseren zu finden, der dich erfüllt und nicht fertigmacht«), bei dem schwer auszumachen war, wer da was überhaupt ernst meinte und wer doch nur dem Motto »in it for the LOLs« folgte. Diese Community traf nun auf einen tatsächlichen Anstieg von Arbeitskämpfen und Kündigungen in den USA. Auf die »Great Resignation« – eine Kündigungswelle, die 2021 im Gastronomiebereich die Kündigungsrate auf 6,8 Prozent in einem Monat ansteigen ließ – folgte der »Striketober«, in dem etwa 100 000 Beschäftigte ihre Arbeit niederlegten.

Im Zuge dessen wurden Zeitungen und Nachrichtenplattformen auf »Antiwork« aufmerksam, wo diejenigen, die es ernst meinten mit »unemployment for all«, versuchten, aus dem wirren Durcheinander und der diffusen Ablehnung von Lohnarbeit so etwas wie eine Organisierung zu machen. Nach dem Streik bei McDonald’s, bei dem Beschäftigte unter anderem gegen sexuelle Beläs­tigung am Arbeitsplatz protestierten, wurden auf »Antiwork« die Stimmen lauter, die in den damals knapp 1,2 Millionen Usern eine kritische Masse sehen wollten: vom McDonald’s-Streik zum Generalstreik, sozusagen. Im November 2021 tauchte auf dem Subreddit der Slogan »Dollar25 or Walk« auf – über einem stilisierten McDonald’s-Arbeiter, der (aus welchen Gründen auch immer) vor maoistischen Sonnenstrahlen einen Hammer schwang.

Die New York Times interviewte anonym bleibende Reddit-Aktivisten und fragte sie, was sie sich von der Plattform versprächen. Antwort: ein zweites Gamestop. Anfang 2021 hatten Hedgefonds Leerverkäufe der Aktien des Computerspielvertriebs dieses Namens getätigt, weil sie auf fallende Kurse gehofft hatten. Dagegen organisierten sich auf dem Subreddit »r/Wallstreetbets« unzählige Kleinanleger, die dazu aufriefen, den Kurs »bis zum Mond zu treiben« und ­damit zumindest kurzfristig überraschend erfolgreich waren.

Verkauft wurde diese Aktion wahlweise als Kampf für den Einzelhandel, die Zukunft oder die Hoffnung auf immensen Reichtum, die dem kleinen Mann durch Aktienfonds gestohlen würde. Viele wollten aber wohl einfach nur sehen, was passiert. Das also sollte das Vorbild für das Überschwappen der digital geäußerten Antiarbeitsstimmung in die analoge Fabrikhalle sein: die Fortsetzung des Arbeitskampfs mit den Mitteln des Internet-Pranks. Es dürfte kein Zufall sein, dass die dezidiert politisch-strategischen Posts auf »Antiwork« diejenigen sind, die nicht unbedingt die meisten »Upvotes« bekamen.

Eine der Moderatorinnen des Sub­reddits, Doreen Ford, ging daraufhin in die Offensive und gab dem konservativen Sender Fox News im Januar 2022 ein Interview, das selbst Fans der Community als schwer aushalt­bare öffentliche Blamage beschrieben. In einem unordentlichen Raum, angestrahlt vom Licht ihres Bildschirms, nahm Moderator Jesse Watters sie ebenso höflich wie erbarmungslos auseinander. Die Community implodierte daraufhin und erging sich in der Diskussion, ob Ford überhaupt berechtigt gewesen sei, für »Antiwork« zu sprechen. Der Sub­reddit wurde für einige Wochen ­geschlossen, parallel dazu entstand ein ähnlicher unter dem Namen »r/Work­Reform«. Der Inhalt war in etwa der Gleiche.

Seitdem ist es stiller um beide Communities geworden. In den USA ist die Arbeitslosenquote mittlerweile auf einen historisch niedrigen Stand von 3,6 Prozent gesunken und die Kündigungswelle scheint vorbei zu sein. Gleichzeitig zeigen teilweise erhebliche Lohnsteigerungen, dass die Nachfrage es gerade Beschäftigten in der Gastronomie erlaubt, wesentlich mehr zu fordern. Konser­vative Kommentatoren sind besorgt, während der Ökonom Lawrence White von der New York University kürzlich der »Tagesschau« sagte, er gehe davon aus, dass schon bald wieder Normalbetrieb herrschen werde.

Und auf »Antiwork« werden weiterhin täglich Protokolle von Chats mit besonders dreisten Chefs geteilt, die unter anderem ankündigen, freie Tage bis auf Weiteres nicht mehr zuzulassen, weil die Organisation der Schichten sonst »zu kompliziert« werde. Irgendjemand freut sich in einem Post darüber, dass »die Bewegung« immer weiterwachse. Doch welche Bewegung? Zwei Millionen Mitglieder sind mittlerweile auf »Antiwork« versammelt, und das ist definitiv ein Symptom – fragt sich nur, wofür eigentlich. Für ein Interesse an dem Ende der Arbeit, wie wir sie kennen? Für ein wachsendes Unbehagen an einem System, das während der Coronakrise auf ebenso banale wie brutale Art seine Gesetze demonstrierte? Oder nur für das Bedürfnis, sich regelmäßig mit Gleichgesinnten über den Irrsinn des eigenen Arbeitsalltags auszutauschen?

Communities im Internet haben immer fransige Grenzen zur analogen Realität. Wechselwirkungen zwischen beiden werden aber weitaus öfter behauptet als tatsächlich nachgewiesen. Letztlich ist »Antiwork« ein riesiges, unüberschaubares Archiv der Verweigerung, sei sie nun real oder fiktiv. Beim Durch­scrollen möchte man jeder mutigen Kündigungsgeschichte glauben und weiß auf der anderen Seite, dass die Ausbeutung der Arbeitskraft im Niedriglohnsektor genauso grotesk funktionieren kann, wie manche der Chatverläufe und Gesprächsprotokolle zeigen, in denen beispielsweise einem Angestellten, der wegen eines Todesfalls in der Familie freinehmen will, mitgeteilt wird, er solle aufhören, »das Opfer zu spielen«. Es fällt leicht, den digitalen Selbsthilfecharakter, der im Austausch solcher Horrorgeschichten liegt, sympathisch zu finden. Praktische Solidarität findet allerdings meist woanders statt.